© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Keine wechselseitige Befruchtung des Mannigfaltigen mehr
Von Weltliteratur zu Welteinheitsliteratur
(wm)

Unter den zehn Sprachen, aus denen am meisten ins Deutsche übersetzt wird, befindet sich nur das Japanische als außereuropäische Sprache. Bei den europäischen Sprachen, dem mit 64 Prozent dominierenden Englisch folgend, rangiert Französisch mit 11,5 Prozent an zweiter, Italienisch mit 2,6 Prozent an dritter Position, während Russisch, Polnisch, Spanisch oder Schwedisch sich beinahe schon der Promille-Zone nähern. Dieses Bild von einem dem Prinzip Einbahnstraße gehorchenden Literaturaustausch komplettiert der emeritierte Berliner Romanist Wolfgang Asholt mit dem Hinweis, daß in der umgekehrten Richtung der Anteil von Übersetzungen ins angloamerikanische Englisch bei drei Prozent liege, der niedrigsten Rate weltweit (Sprache im technischen Zeitalter, 57/2019). Eine derartige angelsächsische Monotonisierung der Buchmärkte habe wohl nichts mehr mit Goethes Verständnis von Weltliteratur als „wechselseitige Befruchtung des Mannigfaltigen“ zu tun. Die im Zeichen der Globalisierung in den letzten zwanzig Jahren entwickelten aktuellen Weltliteratur-Modelle zeigen hingegen auf, wie Goethes idealistisches Konzept unter die Räder der Ökonomie gerät, die mit den Nationen ihre Nationalliteraturen und sogar die „europäische Literatur“ auszulöschen drohe. Das sich abzeichnende „Weltliteratursystem“ der „homogenisierenden Globalisierung“ lasse bereits jenseits der heutigen „Heterogenität des Multiplen“, sprachlicher, kultureller, räumlicher Mannigfaltigkeit, die am Weltmarkt orientierte und durch internationale Verlagskonzerne gestiftete kosmopolitische „Einheit“ erkennen – „und sei es in Form der Totalität“. 


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