© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Natürlich ist Heuchelei ein Laster. Natürlich ist Heuchelei eines jener Schmiermittel, die das Getriebe der Gesellschaft laufen lassen. Wer sich seiner gekonnt bedient, wird deshalb mit größerem Lebenserfolg rechnen dürfen. Wer es verschmäht, kann nicht unbedingt auf Glück, aber auf Zufriedenheit hoffen.

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In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat Claudius Seidl über die Mühen geklagt, die es bedeute, „immer wieder, jahrelang, die Selbstverständlichkeiten (wie das die amerikanische Unabhängigkeitserklärung nennt) der liberalen Demokratie“ auszubuchstabieren und daß man davon auch nicht klüger werde. Was vor allem daran liegt, daß Leute wie Seidl es tunlichst vermeiden, die Geltung dieser sogenannten „Selbstverständlichkeiten“ zu prüfen. Ob zum Beispiel das „self evident“ der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auf erkenntnistheoretischen Annahmen fußt, die heute noch irgend jemand teilt. Dürfte doch den meisten der Glaube an den im Text genannten „Schöpfer“ – der eine Garant der Evidenz – oder eine harmonische Natur – der andere Garant der Evidenz – längst abhanden gekommen sein. Nur nebenbei: In der amerikanischen Verfassung steht kein Wort von „Demokratie“. Der Begriff roch den Verfassungsvätern nach der Dekadenz Athens. Man zog das römische Modell der „Republik“ vor, eine Republik, in der Washington, Jefferson, Hamilton und die übrigen das Patriziat stellten, zusammen mit etwa vier Prozent der wohlhabenden Bürger, denen ein Wahlrecht zustand.

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Mobbing I: Als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, das Redemanuskript von Donald Trump demonstrativ zerriß und die Präsidentin des thüringischen Landtags dem neugewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich den Blumenstrauß vor die Füße warf, handelte es sich um Symbolpolitik. Man wollte Empörung demonstrieren und tat das bewußt vor den Kameras. Aber solches Pathos verbraucht sich schnell, und Herr Jedermann wird weniger den Akt des gefahrlosen Widerstandes in Erinnerung behalten, eher den Mangel an Souveränität, der Verunsicherung signalisiert.

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Der Schöpfer bestimmte den siebenten Tag zum Ruhetag; von Wochenende war keine Rede.

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René Scheu in der Neuen Zürcher Zeitung (Ausgabe vom 9. Februar) über die Bei-Trost-Gebliebenen: „Irgendwann werden sie aufstehen und sagen, was sie wirklich denken: Das Patriarchat ist ein Pappkamerad. Der Neomarxismus ist Bullshit. Es gibt keine moralische Hierarchie. Die neue Metaphysik ist rassistisch. Der Kaiser ist nackt.“

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Im Hinblick auf die Erklärung der Evangelischen Jugend, sie werde sich einem „Kompetenznetzwerk“ anschließen, das Islamfeindlichkeit bekämpfen soll, eine persönliche Bemerkung: Als wir vor eineinhalb Jahrzehnten unsere Tochter im nächstgelegenen evangelischen Kindergarten anmelden wollten, fragten wir, nach welchen Prinzipien man die religiöse Erziehung gestalte. Die Leiterin war irritiert. Falls wir so etwas wie Tischgebet oder Morgenkreis oder den Besuch des Pastors vor den wichtigen christlichen Feiertagen meinten, müsse sie uns enttäuschen. Derlei finde nicht statt. Das würden die mehrheitlich muslimischen Eltern der Kinder auch kaum dulden. Dafür gebe es extra Ruhezeiten während des Ramadans.

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Mobbing II: Zu dem Kongreß „Nationalkonservatismus – Gott, Ehre, Vaterland“ waren etwa 300 Besucher gekommen und mehr als 100 Journalisten angemeldet. Die sind nicht alle erschienen und nicht alle geblieben, als bekannt wurde, daß der eigentlich als Redner vorgesehene Lega-Chef Salvini seine Teilnahme zurückgezogen hatte. Aber aufschlußreich war in jedem Fall das Gebaren der Pressevertreter. Während das Publikum interessiert zuhörte, mehr oder weniger aufmerksam den Ansprachen folgte, gab man sich betont gelangweilt, scrollte auf seinem Smartphone oder Tablet herum. Viele tippten irgend etwas oder sprachen halblaut mit dem Nachbarn. Wenn unerwartet einer in den eigenen Reihen applaudierte, wandten sich dem Unverfrorenen alle Blicke zu, und das Rudel tat, was Rudel in solchen Fällen tun: Es „mobbte“, das heißt es reagierte genau so, wie die Verhaltensforschung typische Gruppenreaktionen gegen Abweichler beschreibt.

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Ich kann mir den Namen meines Landesbischofs nicht merken.

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Wenn man die Via Sacra vom Colosseum zum Cäsarforum betrachtet, wird einem bewußt, wie sehr der Aufwand seit der Antike gewachsen ist, um die Massen zu beeindrucken. Nicht nur, daß der Arc de Triomphe in Paris um ein Vielfaches größer ist als der Titusbogen, auch die Champs-Elysées sind wesentlich breiter und die Strecke von der Place de la Concorde her ist wesentlich länger als die in Rom.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 28. Februar in der JF-Ausgabe 10/20.