© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Der Unhold und die verdeckte Ermittlerin
Kriminaltheater: „Judith: Béla Bartóks Konzert für Orchester / Herzog Blaubarts Burg“ an der Bayerischen Staatsoper
Erich Drosen

Wer ab 20.15 Uhr das Abendprogramm von ARD oder ZDF einschaltet, hat gute Chancen, in einen Pistolenlauf oder auf eine Leiche zu blicken, wird doch der Bildungsauftrag dieser öffentlich-rechtlichen Institutionen vor allem auf dem Krimisektor erfüllt. Die Bayerische Staatsoper verfeinert nun diese Kultursparte mit einer Inszenierung der britischen Regisseurin Katie Mitchell (55) von Béla Bartóks einziger Oper „Herzog Blaubarts Burg“, einer Version der Erzählungen um den Lustfolterer Blaubart, in Verbindung mit seinem „Konzert für Orchester“, zusammen als „Judith“. Wer gerne bedrückender Verirrung menschlicher Phantasien nachspürt, ist hier bestens aufgehoben.

Blaubart führt eine Kriminalbeamtin, die er Judith nennt, von Tür zu Tür durch seine blutbefleckte Burg: seine Folter-, Schatz-, Waffenkammer, einen düsteren Garten darf sie sehen, einen Blick in sein großes Reich werfen, dann geht’s in ein schmuddelig gekacheltes Gemach, in dem sich ein Bassin mit Wasser befindet, von dem Blaubart behauptet, das seien Tränen.

Die verdeckt ermittelnde Beamtin muß dem coolen Lüstling, damit sie von Tür zu Tür weiterkommt, gesteigerte Liebesbeschwörungen vorgaukeln. Am Tränenbassin verlangt Blaubart nun Elementares und umarmt Judith gierig. Die Beamtin entwendet ihm dabei seine Pistole und hält ihn fortan damit in Schach. Sie zwingt ihn, auch die letzte Tür zu öffnen. Dort befinden sich drei Frauen, eine im Foltergerät gefangen. Blaubart erklärt, daß eine für seine Morgenlust da sei, die anderen für mittags und abends. Judith soll die für die Nacht werden. Nachdem die drei armen Frauen, gewiesen von der Beamtin, befreit hinausgehuscht sind, knallt diese das Monster Blaubart ab, der Vorhang fällt. 

Die Gesangspartien, Judith und Blaubart, dargeboten von zwei Schweden, der Meisterin dramatischer Opernrollen, Nina Stemme, und John Lundgren, folgen dem sich langsam entwickelnden Spannungsbogen von Handlung und Musik aufs Trefflichste, in ungarischer Originalsprache übrigens. Die inzwischen in München hoch geschätzte Dirigentin Oksana Lyniv, Mitarbeiterin von Kyrill Petrenko, versteht es wunderbar, die Bartóksche Musik, meisterhaft vorgetragen vom Bayerischen Staatsorchester, den Gedanken des gebannten Zuschauers kompatibel beizuordnen.

Filmeinspielungen zeigen die Vorgeschichte

Wer in diesem spannend-bedrückenden Geschehen nach psychologischen Ausdeutungen gründeln wollte, denkt vielleicht an die Liebessehnsucht eines in die Grausamkeit verirrten Menschen oder auch an den Zwiespalt in Frauen, die nach Reichtum und Macht streben, sich aber bewußt sind, daß sie dafür ihre Seele schmerzhaft einengen müssen. Sie können sich entscheiden, Herzog Blaubart stellt ihnen zu Beginn seiner Burgpräsentation immerhin mehrmals eine Rückkehr aus seinem düsteren Anwesen anheim.

Zu Beginn der Vorstellung wird ein in mehr oder weniger passende Bildeinspielungen ausfransender Film gezeigt, der den Erkundungsgang der Kriminalbeamtin Anna Barlow alias Judith in Blaubarts Burg erklärt: Sie beobachtet an den Bildschirmen von Video-Überwachungskameras einen Mann, der ihr verdächtig ist, Damen aus dem Begleit-Service-Milieu verschwinden zu lassen. Dazu wird vom Opernorchester, nach alter Stummfilmmanier, Musik gespielt: Alban Bergs „Konzert für Orchester“, ein zur Musik der Oper verwandtes Werk. Allerdings läßt sich dabei nicht vermeiden, daß oft Ton und Bild gegeneinander wirken.

Filmtheater in der Oper? Hier ist das Zusammenspiel von Musik und Film durchaus stimmig, da es ein nachvollziehbarer Regiegedanke ist. Dazu allerdings eine Anmerkung: Es ist üblich geworden, daß Vorspiele, Ouvertüren, Zwischenspiele, ja ganze Konzerte mit optischen Zugaben garniert werden. Offenbar wollen Theaterschaffende vorzugsweise fernsehgesteuerten Besuchern das alleinige Hören von Musik ohne Bildgeflimmer nicht mehr zumuten. Was für eine Mißachtung des genußvollen Zuhörens – ganz anders gedachte Musik wird zu Untermalungszwecken degradiert, zu Filmmusik. 

Alles in allem ist die Münchner „Judith“ eine perfekt gelungene Inszenierung eines düsteren Krimis. ARD und ZDF werden sich bald um die Wiedergaberechte balgen.

Die nächsten Vorstellungen der Bayerischen Staatsoper von „Judith: Konzert für Orchester / Herzog Blaubarts Burg“ am Münchner Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2, finden am 16., 27. und 29. Februar statt. Kartentelefon: 089 / 21 85 01  www.staatsoper.de

Bis zum 10. März steht auch eine Aufzeichnung in der Videothek zur Verfüngung:  https://operlive.de