© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Im Westen ausgeflogen
Deutsches Vogelmonitoring: Feldvögel bleiben unter Druck / Klimawandel bevorteilt Waldbewohner
Paul Leonhard

Vogelgezwitscher Vorpommern Hier ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest aus Sicht der rund 11.000 deutschen Feldornithologen und Vogelbeobachter. Es gibt genügend Brachen und mageres Grünland, auch breite Ackerrandstreifen und nicht asphaltierte Feldwege, auf denen sich Insekten und Vögel wohlfühlen. Das geht aus der jetzt erschienenen Publikation „Vögel in Deutschland – Übersichten zur Bestandssituation“ hervor. 

Seit 1992 sind 14 Millionen Vögel verlorengegangen

„Artenreiche Vogelgemeinschaften“ bescheinigen darin der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA), die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (VSW) und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) den nordostdeutschen Agrarlandschaften. Im dicht besiedelten Westen und vielen Regionen Süddeutschlands haben viele gefährdete Vogelarten wie die Grauammer dagegen im wahrsten Sinne das Feld geräumt. Hier droht ein „stummer Frühling“.

Dank des bundesweiten Vogelmonitorings konnten die Avifaunisten zu Jahresbeginn gleich mehrere Analysen vorlegen, mit denen sie hoffen, die Deutschen für ihre heimischen Vogelarten zu sensibilisieren. Denn einiges liegt im argen: „Wir haben uns die fast 1,5 Millionen in den Monaten September bis November bei Ornitho.de gemeldeten Vogelbeobachtungen einmal genauer angeschaut und festgestellt, daß hier nicht alles nach Durchschnitt verlief“, schreibt der DDA. Dabei sei der vergangene Herbst nur leicht zu warm und „fast schon erstaunlich durchschnittlich“ gewesen.

Besonders wunderten sich die Ornithologen über die Anfang September einsetzende Invasion von Eichelhähern. Aber auch der Durchzug von Ringeltauben und Buchfinken war ungewöhnlich groß. Als Raritäten wurde das Sichten von Prachteider- und Pazifiktrauerente, mehrerer Fahlsegler, einer Bergkalanderlerche und erstaunlich vieler eigentlich in Mittel- oder Ostasien beheimateter Dunkel- und Tienschan-Laubsänger sowie Blauschwänze gemeldet.

Große Sorgen bereitet den Vogelfreunden das Verschwinden der Feldvögel. Zu diesen zählen Fasan, Feld- und Ohrenlerche, Feldsperling, Rebhuhn, Rothuhn, Spießflughuhn, Kiebitz, Grauammer – alles Arten, die am Boden brüten. Allein der Rebhuhn- und Kiebitzbestand – früher häufige Begleiter des Bauern – ging zwischen 1992 und 2016 um 90 Prozent zurück. Insgesamt hat Deutschland in diesem Zeitraum rund 14 Millionen Vögel verloren – die meisten bis 2005.

Einst flächendeckend vorhandene Allerweltsarten wie Feldlerche oder Turteltaube sind nur noch selten anzutreffen, in vielen Regionen sogar ganz ausgestorben. Auch bei Wiesenpieper, Bekassine, Uferschnepfe und Braunkehlchen sind die Bestände drastisch geschrumpft. Brachpieper und Steinschmätzer haben sich dagegen in ehemalige Tagebaue und auf Truppenübungsplätze zurückgezogen, die beide als Ersatzbiotope gelten.

Der Naturschutzbund (Nabu) geht für Deutschland von einem Schwund von mehr als 40 Prozent der Feldvögel seit 1980 aus. Diese Zahlen seien auch deswegen alarmierend, weil Vögel zuverlässig anzeigen, wie gesund eine Landschaft ist, sagt Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Daß es immer weniger Feldvögel gibt, liegt an den tiefgreifenden Veränderungen in der Agrarlandschaft. „Mehr Mais, weniger Brachen“, dies sei das Problem. Eine immer intensivere Landwirtschaft mit größeren Feldern und Traktoren und wirksamere Pestizide, dezimierten die Insekten als Nahrungsgrundlage vieler Vögel. Auch wirke sich der großflächige Maisanbau negativ auf die Brutpaarzahlen aus. Und die frühe und oft wiederholte Mahd zerstöre Gelege und töte Küken.

Der Rückgang kann noch gestoppt werden

Zum Rückgang der Feldvogelpopulationen – wie Star, Feldlerche und Braunkehlchen – hat der Wegfall der EU-Stilllegungsprämien 2007 geführt. Seitdem nutzen die Landwirte vermehrt Grünland als Ackerflächen. Zusätzlich forcierte das fast zeitgleich in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den großflächigen Anbau von Bioenergie-Pflanzen wie Raps und Mais für Biosprit. Mögliche Beeinträchtigungen durch Windenergieanlagen betrachten die Autoren in der Studie allerdings nicht.

Aber es gibt auch einen gegenläufigen Trend: Im Gegensatz zur Agrarlandschaft haben sich die Vogelbestände im Wald und in Siedlungen deutlich erholt. Im Zeitraum 2005 bis 2016 seien etwa 1,5 Millionen Waldvögel und eine halbe Million Vögel in den Siedlungsbereichen dazugekommen, vermeldet der DDA. Warum insbesondere seit 2010 die Bestände von Waldvogelarten deutlich zugenommen haben, ist noch unklar. Die Wissenschaftler verweisen darauf, daß viele Wälder inzwischen naturschonender bewirtschaftet werden, es mehr Mischwälder gibt und auch die Zahl der Naturwaldreservate zugenommen hat.

Eine wichtige Rolle könnte für einige Vogelarten auch das Älterwerden der Wälder spielen. Gleichzeitig wirke der Klimawandel sich über einen stärkeren Samenansatz von Bäumen in kürzeren Abständen positiv aus: Standvögel finden im Winter so mehr zu fressen. Im Siedlungsbereich profitieren einige Arten auch von der zunehmenden Begrünung und damit dem Strukturreichtum der Städte. Für die Vogelschützer ist auch die Entwicklung bei den Feldvogelarten nicht unumkehrbar. „Auch wenn die Verluste ein düsteres Bild des Zustands unserer Agrarvögel zeichnen, können wir den Rückgang stoppen“, versichert Stefan Jaehne vom der VSW. „Wir wissen in vielen Bereichen, was getan werden muß, um einen wirksamen Schutz der biologischen Vielfalt zu gewährleisten.“

Jaehne verweist in diesem Zusammenhang auf die erfolgreichen Artenschutzprogramme für Großtrappe und Wiesenweihe. Allerdings würden die für den Erhalt von Arten erforderlichen und aufwändigen Maßnahmen meist erst dann ergriffen, wenn es schon fast zu spät ist: „Vorausschauender Vogelschutz muß hier künftig deutlich eher handeln.“ Der Nabu fordert, daß mindestens zehn Prozent der Fläche jedes Agrarbetriebs der Natur zur Verfügung stehen müßten. Bei gleichzeitiger Reduktion der Mais- und Rapsanbauflächen würden die Feldvogelbestände dann um 60 Prozent zunehmen. Ein stabiles Ökosystem, Artenreichtum und Vogelgezwitscher wären der Lohn.

Dachverband Deutscher Avifaunisten:

 www.dda-web.de

 www.bfn.de