© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Ländersache: Thüringen
Gerangel um die Macht an der Gera
Jörg Kürschner

Von einem Überraschungscoup und Befreiungsschlag war am späten Montagabend in Erfurt die Rede, eher seltene Termini in einem allzu oft in ausgetretenen Pfaden verlaufenden Politikmanagment. Was war geschehen? Thüringens Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte den verdutzten Koalitionspartnern SPD und Grünen sowie der CDU seinen vorläufigen Verzicht auf eine Kandidatur für das Amt des Regierungschefs erklärt. Stattdessen schlug er seine Vorgängerin Christine Lieberknecht (CDU) als Übergangs-Ministerpräsidentin bis zu Neuwahlen vor. Etwa 70 Tage nach ihrem Einzug in die Staatskanzlei sollte der Landtag neu gewählt werden. Bis dahin könne sie drei rot-rot-grüne Kabinettsmitglieder ernennen, etwa Finanzen, Staatskanzlei und Justiz, so Ramelows Vorschlag. Doch die zerstrittene CDU-Landtagsfraktion zeigte dem Linken die kalte Schulter, lehnte ab. „Uns hilft eine 70-Tage-Regierung nicht weiter, und wir wollen keine Neuwahlen“, erklärte CDU-Generalsekretär Raymond Walk am Dienstag nachmittag.

Ramelows Schachzug sollte vorgeblich die Blockade im Landtag auflösen, die seit der überraschenden, mit AfD-Stimmen erfolgten Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Regierungschef besteht. Er war von seiner Bundespartei und auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Koalitionspartner SPD massiv zum Rücktritt gedrängt worden. Als geschäftsführender Ministerpräsident kann er aber keine neuen Minister ernennen, regiert deshalb mit den im Amt verbliebenen Staatssekretären. Der Linke Ramelow will aber nur zum ersten Wahlgang antreten, wenn CDU oder FDP ihm die vier, einer rot-rot-grünen Koalition zur absoluten Mehrheit fehlenden Stimmen zusichern. Dieses Ansinnen lehnen beide Parteien ab, zumal Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow verlangte, dieses müsse „dokumentiert werden“. Ramelow scheut eine Wahl, befürchtet er doch, die AfD könne für ihn stimmen, um so seine erneute Rückkehr in das Ministerpräsidentenamt zu verhindern. Eine solche Wahl würde er nicht annehmen, versicherte Ramelow mehrfach.

Die gespaltene CDU-Fraktion wurde von Ramelows Coup kalt erwischt. Viele Parlamentarier müßten befürchten, ihr erst Ende Oktober errungenes Mandat bei Neuwahlen wieder zu verlieren. Das Erfurter Meinungsforschungsinstitut Insa bewertete Ramelows Vorschlag zurückhaltend. „Wenn die CDU auf sein vergiftetes Angebot einginge, würde ihr das bei bald stattfindenden Neuwahlen schaden“, erklärte Insa-Chef Hermann Binkert gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Ramelows bisherige Koalitionspartner hatten unterschiedlich reagiert. Während SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee Ramelow für seinen Vorschlag Respekt gezollt hatte, konnten die Grünen diesem erst nach einiger Überlegung etwas abgewinnen. Wie die FDP hatten sie die Fünf-Prozent-Hürde nur knapp übersprungen. Die Linke dagegen wäre mit ihrem populären Spitzenkandidaten Ramelow den Umfragen zufolge Gewinnerin der Thüringer Krise. 

Und die AfD? „Die Thüringer Rest-CDU wird zum Hofnarren von Ramelow“, hatte der Thüringer Bundestagsabgeordnete und Vize-Bundessprecher Stephan Brandner geätzt. Die AfD-Fraktion hat Neuwahlen bisher abgelehnt, ungeachtet der für sie günstigen Umfragen.