© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Für das Recht auf Vaterland
200. Pegida-Demonstration: Volksfeststimmung in Dresden / Björn Höcke begeistert empfangen
Hermann Rössler

Test, eins, zwei, Lügenpresse.“ Das Mikrofon funktioniert. Die Menschen, die sich auf dem Neumarkt in Dresden versammelt haben, antworten gut gelaunt mit dem Ruf „Lügenpresse“. Der 200. Abendspaziergang der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) hat begonnen.

Ein „historischer Tag“, verkündet Pegida-Initiator Lutz Bachmann von der Bühne, auf der später der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke sprechen soll. 2014 gegründet, um einer Islamisierung Europas etwas entgegenzusetzen, stehe die Bewegung „inzwischen für den Kampf des kleinen Bürgers in einer breiten Palette von Ungerechtigkeiten“. Die Forderungen reichten von einer nachhaltigeren Renten- und Familienpolitik über eine Bildungspolitik „ohne Gendergaga“ bis zu einem Stopp der Waffenexporte.

Der Demonstrant Manfred S. (Name geändert) ist überzeugt, seinen Kindern und Enkelkindern etwas Gutes zu tun, indem er sich bei Pegida engagiert. „Die Islamisierung kommt. Später werden sie uns fragen, was habt ihr getan?“ Seit fünf Jahren geht der Rentner mit auf den Neumarkt. Mit festem, durchdringendem Blick sagt der 80jährige: „Ich stehe hier für mein Recht auf Vaterland.“

„Selig die, die Frieden stiften.“ Das Jesuswort aus der Bergpredigt steht auf einem an der Frauenkirche hängenden Banner. Schräg gegenüber ist am fünften Stock eines der den Neumarkt säumenden Häuser ein rotes Tuch befestigt: „Kein Fußbreit dem Faschismus“. Vor dem Kuppelbau der Kirche wehen thüringische, sächsische und fränkische Flaggen über den Köpfen der Demonstranten, die den Platz gut ausfüllen. Doch Schwarz-Rot-Gold ist die den Abend prägende Farbkombination. Neben den typischen Wirmer-Fahnen mit dem Balkenkreuz sind auch solche der AfD zu sehen sowie russische Flaggen. „Wir sind ein Leuchtturm der patriotischen Bewegungen und haben allen demokratischen Parteien den glühenden Stempel von Pegida ins Parteibuch gedrückt“, postuliert Versammlungsleiter Wolfgang Taufkirch.

CDU und FDP beteiligen sich an der Gegendemo

Pegida-Initiator Lutz Bachmann pflichtet dem bei: „Wir weichen keinen Millimeter vor der rotfaschistischen Einheitsfront zurück. Wir machen weiter, wo andere längst aufgegeben haben.“ Seine Zuhörer danken ihm mit Applaus und „Widerstand! Widerstand“-Rufen.

Die „Patriotischen Europäer“ sind nicht alleine auf dem Neumarkt. Getrennt durch eine Polizeilinie und einen laut Bachmann „antifaschistischen Schutzwall“ aus Deutschland-Fahnen haben sich unter anderem linksextreme Protestler von „Dresden nazifrei“ und der „Antifaschistischen Aktion“, aber auch die „Omas gegen Rechts“ positioniert. Zudem haben CDU und FDP unter dem Motto „Demokratie braucht Rückgrat“ zur Gegendemonstration aufgerufen. Den „Nie wieder Ramelow“-Parolen schlagen die „Nie wieder Deutschland“-Schreie entgegen. In sozialen Netzwerken kursieren Zahlen von 4.000 Pegida-Teilnehmern und etwa 2.000 Gegendemonstranten. Die Polizei macht dazu keine Angaben.

Katrin K. (Name geändert) nennt die Gegendemonstranten „dumm und naiv“. Diese hätten den „Sinn für die Realität verloren“, findet die 54jährige Chemnitzerin. Sie sei in der DDR groß geworden und erkenne Parallelen zu heutigen Entwicklungen. Trotz ihrer sichtlichen Erregung ist Katrin guter Stimmung und schaut freundlich hinter ihrer Brille hervor. Als „Kämpfer an der Front“ sieht sie sich. Bedauerlich sei, daß viele Jugendliche den Ernst der politischen Lage verkennen würden und sich auf die „falsche Seite“ schlügen. „Die Osteuropäer fassen sich an den Kopf. Wie ein Volk so selbstzerstörerisch sein kann, ist für mich unverständlich.“

Als dann Höcke die Bühne betritt, empfängt ihn das Publikum mit dem Rufen seines Nachnamens. Der Politiker spricht über die Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD. Daß die „Kartellparteien“ und ein großer Teil der Medien die Wahl Kemmerichs als „Dammbruch“ verunglimpften und somit einen demokratischen Vorgang ablehnten, zeichne ein Bild der „Arroganz der Macht“ der Berliner Regierung. Dennoch habe das gezeigt: „Die Politiker spüren den chronischen Machtverlust.“ Trotz aller Diffamierungen seiner Person und dem „Nazi-Tourette“, das Höcke Teilen der Gesellschaft attestiert, plädiert er dafür, den Humor nicht zu verlieren. „Wenn wir uns das kleine, private Glück nicht nehmen lassen, werden wir den großen Kampf durchstehen und siegreich beenden.“

Der 23jährige Dresdner Sven F. geht seit fünf Jahren hin und wieder zu den Kundgebungen. Er sagt, Pegida habe keine große Bedeutung mehr. „In Berlin interessiert das keine Sau.“ Der 55jährige Klaus P. (Name geändert) ist Angestellter einer Automobilfirma. Er steht ein Stück abseits der Menge. Seine Meinung zu den Demonstrationen, die sich gegenüberstehen? „Ganz ehrlich, ich find’ beide Seiten beängstigend.“ Die Polizei schreibt in ihrem Einsatzbericht: „Das Versammlungsgeschehen verlief störungsfrei.“





Chronik

20. Oktober 2014

An jenem Montag findet der erste Pegida-Abendspaziergang in Dresden statt. Etwa 350 Menschen nehmen teil. 

Pegida wird Verein

Der Verein zur Pegida-Bewegung wird am 19. Dezember 2014 eingetragen. Trotz erheblicher Vorstrafen wird Lutz Bachmann zum Vorsitzenden gewählt, zusammen mit Siegfried Däbritz. Verbindungen zwischen Pegida und der AfD gibt es von Anfang an. Im ersten Pegida-Orgateam wirkte mit Achim Exner ein Doppelmitglied von Pegida und AfD.

Höhepunkte

Zur Demo am 22. Dezember 2014 kommen 18.000 Teilnehmer, am 12. Januar 2015 mehr als 25.000 Menschen. Nach deutlichem Abflauen im Frühjahr nehmen Mitte Oktober angesichts der Flüchtlingskrise wieder bis zu 20.000 Personen teil. In den Folgejahren geht der Zuspruch kontinuierlich zurück.

Prominenz

Immer wieder kann das Orgateam bekannte Personen und Lokalmatadoren einbinden: Der Publizist Udo Ulfkotte hält im Januar 2015 eine Rede, der niederländische Politiker Geert Wilders spricht im April 2015 von der Pegida-Bühne, der Schriftsteller Akif Pirinçci tritt zum ersten Jahrestag der Demonstrationen am 19. Oktober 2015 auf, die Aktivisten Martin Sellner (IB) und Christoph Berndt (Bürgerinitiative Zukunft Heimat/Cottbus waren Gastredner. Der Verleger Götz Kubitschek sowie der Querfrontler Jürgen Elsässer sprechen in mehreren Jahren viele Male als Hauptredner.

Programm

Mit den Dresdner Thesen gibt sich der Pegida-Verein noch 2014 ein Zehn-Punkte-Programm. Ein Ausschnitt:  These 1: Der Schutz und der Erhalt unserer deutschen Identität muß Verpflichtung der Regierenden sein! These 2: Verschwendung von Steuergeldern muß Straftatbestand werden. These 3: Qualitative Zuwanderung statt ungeregelter Masseneinwanderung. These 9: Sofortige Normalisierung der Verhältnisse zur Russischen Föderation.

Verhältnis zur AfD

Pegida-Frontmann Bachmann ist wegen volksverhetzender Facebook-Posts verurteilt. Gegenwärtig wird wegen neuerlicher Aussagen gegen ihn ermittelt. Für das Amt des Dresdner Oberbürgermeisters kandidierte 2015 Tatjana Festerling von Pegida gegen den AfD-Bewerber. Verständlich, daß die AfD-Führung auf Distanz zu Pegida gegangen ist. Mitgliedern der Partei ist es verboten, Parteisymbole auf Pegida-Demos zu zeigen. Beim Jubiläum in Dresden mußte auf Drängen der AfD-Führung streng darauf geachtet werden, daß Höcke mit Bachmann nicht auf ein Foto kommt.