© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Dominanz der Kleriker zementieren
Iran: Die Opposition steht schon vor der Wahl auf verlorenem Posten
Marc Zoellner

Mit einem Paukenschlag begann vergangene Woche der Wahlkampf im Iran: „Für Leute, die Angst haben, gegen unsere Feinde im Ausland die Stimme zu erheben, ist im Parlament kein Platz vorhanden“, verkündete Ali Chamenei vergangene  Freitag in einer Fernsehansprache – und schoß im Anschluß unerwartet hart gegen die Lager der Reformer als auch der Konservativen. Seit dem Tod des Ayatollah Khomeini im Juni 1989 herrscht Chamenei als Staatsoberhaupt sowie „Oberster Führer“ nahezu uneingeschränkt über den schiitisch-islamischen Gottesstaat. Nach den blutigen Novemberprotesten in den Großstädten sowie den im Januar folgenden schwersten Zerwürfnissen mit den USA seit Beginn der Revolution von 1979 plant der Kleriker für diesen Monat, seine Dominanz über die iranische Politik endgültig zu zementieren.

Der Wächterrat säuberte rigoros die Wahllisten 

Diesen Freitag sind gut 58 Millionen Wähler der 83 Millionen Einwohner zählenden Nation zur Parlamentswahl an die Urne gerufen. Zu wählen haben sie nach Chameneis Rede freilich nicht mehr viele Optionen. Zwar hatten sich über 14.000 Kandidaten im Vorfeld registrieren lassen. Doch wer im Iran ein politisches Amt bekleiden möchte, muß sich zuvor vom Wächterrat bestätigen lassen. Dessen zwölf Mitglieder wiederum werden zur Hälfte vom Parlament, zur anderen Hälfte von Chamenei selbst ernannt. Zulässig als Abgeordneter ist laut iranischer Verfassung lediglich, wer mindestens dreißig Jahre alt ist, einen hervorragenden Leumund besitzt und gläubiger Muslim ist. Nur fünf der 290 zu vergebenden Sitze sind für die religiösen und ethnischen Minderheiten reserviert.

Daß eine Vielzahl an Bewerbern schon im Vorfeld vom Wächterrat abgelehnt werden, ist bei Wahlen im Iran längst keine Überraschung mehr. Doch in diesem Jahr läßt Chamenei die Kontrollschrauben besonders fest ziehen: Jeder zweite Kandidat wurde vom Wächterrat noch bis kurz vor dem Wahltermin abgelehnt; darunter auch über einhundert derzeit amtierende Parlamentarier der Reformisten und der Konservativen. 

„Eigentlich ist das nicht mehr als Rennen zu bezeichnen“, beklagte ein Abgeordneter im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.  Der Wächterrat habe so wenig Bewerber übriggelassen, daß das Lager der Reformisten selbst im Falle eines Wahlsiegs keine 230 Sitze mehr füllen könne. „Die Hardliner wollen die Präsidentschaft. Das ist das Ende moderater Politik für mindestens ein Jahrzehnt, wenn nicht noch länger.“

Durch die vom Wächterrat gesäuberten Wahllisten sitzt Hassan Rohani in seiner zweiten Amtszeit als Präsident des Iran nun endgültig zwischen den Stühlen. Noch im Mai 2017 durfte der studierte Jurist mit Hilfe der Reformisten einen großartigen Wahlerfolg gegen den erzkonservativen Gelehrten Ebrahim Raisi verbuchen. Seinen Wählern versprach Rohani einen Wirtschaftsaufschwung. Parallel dazu sicherte er zu, das Land gegenüber dem Westen zu öffnen – doch vor allem versprach Rohani mehr persönliche Freiheiten gegenüber dem klerikalen Regime. 

Wahlbeteiligung als einziger Gradmesser der Stimmung 

Doch gerade die vergangenen Jahre waren vom Gegenteil dieser Versprechen überschattet: Nach der Aufkündigung des Atomabkommens mit den USA wurde über den Iran ein Erdölexportstopp verhängt. An den verbliebenen Auslandsdevisen zehren die iranischen Stellvertreterkriege in Syrien sowie im Jemen. Auch traf die Bürger vergangenen Herbst ein rasanter Preisanstieg für Gas und Benzin – was schließlich zu den Novemberprotesten führte, die von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden. Bis zu 1.500 Demonstranten sollen in diesen ihr Leben verloren haben. Die Arbeitslosenrate liegt derzeit bei zwölf, die Inflation bei zehn Prozent.

„Viele Iraner, die Rohani gewählt hatten, haben ihre Hoffnung auf Reformen längst verloren“, konstatiert ein ehemaliger Reformist.“ Sie haben kein Vertrauen mehr in die Reformistenbewegung. Sie wollen nur noch Veränderung.“ Das kommende Parlament wird ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen wollen. Denn von den vier großen Wahllagern, die sich im Vorfeld etablieren konnten, stehen gleich drei absolut loyal ihrem „Obersten Führer“ Ali Chamenei gegenüber. Das Gros der Reformisten sammelt sich diesmal in der 1996 gegründeten Partei des ehemaligen reformistischen Präsidenten Ali Rafsandschani, der technokratischen „Executives of Construction of Iran Party“ („Ausführende des Aufbaus des Iran“).

Irans Präsident Rohani weiß um die desaströsen Ausgangsbedingungen seiner Reformisten zu Wahlbeginn – einschließlich der Aufrufe vieler oppositioneller Gruppen, die Wahlen schlicht zu boykottieren. „Ich bitte euch, nicht untätig zu sein“, rief er die reformistischen Wähler am 11. Februar noch auf. „Dreht den Wahlurnen nicht euren Rücken zu.“ Doch da kaum mehr reformistische Kräfte zur Wahl zugelassen worden sind, werten internationale Beobachter gerade die Höhe der Wahlbeteiligung als Meßlatte für die verbliebenen Sympathien der Iraner zu ihrem Regime. Ayatollah Chamenei indessen dürfte es gleich sein, wie viele Iraner überhaupt noch zur Wahl gehen. Sein Wunschparlament wurde im Vorfeld bereits vom Wächterrat zusammengestellt – und dient ihm nun in den kommenden Jahren im Inneren wie Äußeren als hinreichende Legitimation einer noch rigideren, noch konfrontativeren Politik dem Westen sowie seinen sunnitischen Nachbarstaaten gegenüber.