© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Das Fiasko westlicher Entwicklungshilfe
Afrika: Trotz hehrer Ziele stehen Berlin und Brüssel mit ihrer Politik auf dem Nachbarkontinent auf verlorenem Posten
Paul Leonhard

Im Senegal half Deutschland, daß 300 Dörfer an Solarenergieanlagen angeschlossen wurden. Marokko wird beim Bau eines riesigen Solarthermie-Kraftwerks unterstützt, das einmal mehr als zwei Millionen Menschen mit Strom versorgen soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mächtig stolz auf das während der G20-Präsidentschaft Deutschlands angeschobene Projekt „Compact with Africa“. 

Allein ist selbst das gesamte europäische Engagement auf dem schwarzen Kontinent lediglich Peanuts verglichen mit den Zahlen, mit denen die Chinesen aufwarten. So finanzierten sie Kamerun einen Tiefseehafen, Nigeria eine mehr als 1.400 Kilometer lange Eisenbahnlinie von Lagos bis Calabar, dem Sudan den zweispurigen Ausbau der Eisenbahnlinie von Khartum bis Port Sudan. 

Mit den chinesischen Milliarden können weder die europäischen Staaten noch die USA mithalten. In der kongolesischen Sonderwirtschaftszone Brazzaville sollen bis Ende des Jahres 21.000 Arbeitsplätze entstehen. Quasi nebenbei beseitigten chinesische Unternehmen sie behindernde Engpässe in der Infrastruktur und Energieversorgung.

Auch konnten viele Länder den Kreditangeboten nicht widerstehen. Angola hat sich 14,5 Milliarden, Ghana 13 Milliarden, Nigeria 8,4 Milliarden, die Demokratische Republik Kongo 6,5 Milliarden und Äthiopien drei Milliarden Dollar für Infrastruktur-Projekte geliehen. Insgesamt bewilligte China in Afrika zwischen 2000 und 2017 Kredite in Höhe von 136 Milliarden Dollar. Der  Tschad, Mosambik, São Tomé und Príncipe, Südsudan, Sudan und Simbabwe seien dadurch nach Angaben des Internationalen Währungsfonds in finanzielle Notlage geraten.

2025 hat Nigeria soviel Einwohner wie die EU  

Vor allem aber stellen die Kommunisten in Peking nicht lästige Vorbedingungen, etwa nach transparenten politischen Rahmenbedingungen und der Einhaltung von Menschenrechten, wie die Wirtschaftsförderer aus Berlin und Brüssel. Mit seiner strikten Nichteinmischungspolitik in die inneren Angelegenheiten afrikanischer Staaten haben es die Chinesen zum größten Handelspartner Afrikas gebracht. Nach einer Umfrage des unabhängigen afrikanischen Instituts Afrobarometer sehen 63 Prozent der Afrikaner die wachsende chinesische Präsenz auf ihrem Kontinent „positiv“ oder „eher positiv“.

China nutzt dabei geschickt sein Image als ehemaliges Entwicklungs- und Schwellenland, das es geschafft hat, zum ebenbürtigen Partner Rußlands, der EU und der USA zu werden. Dies strebt auch die 2002 nach europäischem Vorbild gegründete Afrikanische Union (AU) mit ihrer 2013 verabschiedeten Agenda 2063 „The Africa we want“ („Das Afrika, was wir wollen“) an.

Daß es Zeit zum Handeln sei, bekundeten übereinstimmend die Staats- und Regierungschefs der AU. Seitdem bemühen sich die aktuell 55 Mitgliedsländer, vor allem ihren in Addis Abeba beschlossenen Plan für eine panafrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur umzusetzen. 

Kein leichtes Unterfangen auf einem Kontinent, der 85mal so groß wie Deutschland ist, auf dem 3.000 Volksgruppen leben, 3.000 Sprachen gesprochen werden und es zahllose Religionsgemeinschaften gibt.  Voller Ehrfurcht resümierte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Michelle Müntefering vergangene Woche: „2050 wird allein Nigeria in etwa so viele Menschen beheimaten wie die gesamte EU“.

Dennoch will Afrika als politisch, wirtschaftlich und kulturell gleichwertiges Gegenüber Europas und Nordamerikas anerkannt werden. Die Agenda 2063 beruht auf sieben Säulen: Integration und Einheit, integratives Wachstum und nachhaltige Entwicklung, Demokratie, Menschenrechte, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Sicherheit, Kultur und gemeinsame Werte, von der Bevölkerung mitbestimmte Entwicklung sowie ein Afrika als globaler Akteur und Partner. „Wir wollen Frieden, wir wollen ein Afrika, in dem jeder integriert ist, mit offenen Grenzen und freiem Handel“, heißt es in der Zukunftsvision.

Diese sieht aber auch vor, daß 2020 „alle Überreste des Kolonialismus“ zu liquidieren sind und die „afrikanischen Gebiete unter Besatzung“ vollständig befreit werden sollen. Wörtlich heißt es: „Wir werden Maßnahmen ergreifen, um die rechtswidrige Besetzung des Tschagos-Archipels und der komorischen Insel Mayotte“ zu beenden. Eine Forderung, die  höchst bedenklich ist. Das Tschagos-Archipel ist nicht nur britisches Überseegebiet, sondern beherbergt auch einen Marine- und Luftwaffenstützpunkt der USA.

 Zwar gibt es ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, wonach der britische Souveränitätsanspruch völkerrechtswidrig und die  Inselgruppe im Indischen Ozean bis November 2019 an Mauritius zu übergeben ist, aber London hat die Frist kommentarlos verstreichen lassen. Der zweite Fall betrifft die EU direkt, Mayotte gehört ihr als Übersee-Departement Frankreichs an. 

Aber nicht nur die „Befreiung“ von Mayotte und Tschagos-Archipel stehen für 2020 auf der Agenda 2063 der Afrikanischen Union, sondern ebenso das Ende aller innerafrikanischen bewaffneten Konflikte, des Terrorismus, Extremismus, der geschlechtsspezifischen Gewalt, von Drogen, Menschenhandel, organisiertem Verbrechen und anderer Formen von kriminellen Netzwerken wie Waffenhandel und Piraterie. 

Um diese Ziele zu erreichen, müßten die Regierungen „Wunder bewirken“, konstatiert die südafrikanische Denkfabrik „Institute for Security Studies“ (ISS). Selbst wenn auf der Haben-Seite des AU-Sicherheitsrates der Friedensschluß zwischen Äthiopien und Eritrea steht und das Ende der innenpolitischen Krise auf Madagaskar, brechen immer neue Konflikte aus. 

Afrikas Freihandelszone auf gutem Wege

Aktuellstes Beispiel ist Mosambik, wo es in der nördlichen Provinz Cabo Delgadio seit Jahresbeginn 28 Attacken von bewaffneten Terroristen auf die Bevölkerung gab und nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen mehr als 100.000 Menschen auf der Flucht sind.

Bei den Verhandlungen zwischen den libyschen Konfliktparteien blieb die AU außen vor. Es war Kanzlerin Angela Merkel, die die Berliner Libyen-Konferenz als Erfolg verbuchte, verbunden mit der Hoffnung, daß sich die Situation im Niger, Burkina Faso, Tschad und Mali nicht verschärft. Merkel mahnte an, daß „ohne afrikanischen Sachverstand“ das Problem nicht zu lösen sei.“ Bei ihrem Südafrika-/Angola-Besuch vom 5. bis 9. Februar griff sie das Thema ebenfalls auf: „Wir alle wissen: Entwicklung kann nur gelingen, wenn es Sicherheit gibt.“

Wie das gesamte Jahr stand auch das 33. Gipfeltreffen der AU, das vom 21. Januar bis 10. Februar in Addis Abeba stattfand, unter dem Motto „Die Waffen zum Schweigen bringen“. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, der den AU-Vorsitz vom ägyptischen Staatschef Sisi übernahm, will in seiner Amtszeit die bewaffneten Konflikte beenden. Daß ihm das gelingt, glaubt angesichts der zahlreichen Konfliktherde kaum jemand: Bürgerkrieg im Südsudan, Auseinandersetzungen im Kongo, der Zentralafrikanischen Republik und in Libyen. Terroranschläge in Mali, Somalia, Mosambik und dem Tschadbecken, ethnische und religiöse Auseinandersetzungen in Äthiopien.

Auf gutem Weg scheint die afrikanische Freihandelszone (AfCFTA) zu sein. Bisher haben 24 Staaten das Abkommen  unterzeichnet. Schwerer tun sich die Nationalstaaten mit der Idee eines einheitlichen Reisepasses, obwohl bei einem Sondergipfel im März 2018 ein Protokoll von 27 Staaten abgesegnet wurde. Ähnlich sieht es beim innerafrikanischen Flugabkommen aus. Anfang 2018 unterzeichnet, sollte es allen Mitgliedsländern freien Zugang zu allen Flughäfen ermöglichen, umgesetzt ist es ebensowenig wie die Idee eines Hochgeschwindigkeitsnetzes, das alle afrikanischen Hauptstädte miteinander verbinden soll. 

Afrika braucht afrikanische Lösungen, haben die Experten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beim Studium der „Agenda 2063“ erkannt. Allerdings ist in den initiierten Eckpunkten für einen „Marshallplan mit Afrika“ bzw. „Compact with Africa“ von 2017 wenig von einer Neuausrichtung der Zusammenarbeit mit Afrika zu spüren, sondern sehr viel von alten Methoden. Es geht um einen engen „politischen Dialog“, „partnerschaftliche gegenseitige Verpflichtungen“, „gute Regierungsführung“, Unterstützung von „Reformbemühungen“ und „Entwicklungskräften“. Müntefering zufolge soll die Wirtschaftszusammenarbeit  „ganz entscheidend helfen“. Ebenso aber „auch die Bildung und Ausbildung von Frauen“.

Im Rahmen von „Reformpartnerschaften“ sollen nach deutschen Maßstäben als besonders reformorientiert geltende Länder gezielt unterstützt, Gelder nach Erreichen vorab definierter Reformerfolge ausgezahlt werden. Überlesen haben die deutschen Afrika-Versteher die Forderung, daß die internationale Gemeinschaft aufhören müsse, sich in afrikanische Angelegenheiten einzumischen. 

Wenn Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) betont, daß ein politisch stabiler und wirtschaftlich attraktiver Kontinent nicht nur im afrikanischen, sondern auch im deutschen Interesse ist, dann ist das nur die halbe Wahrheit. 

Gebildete Afrikaner wird es nach Europa ziehen 

Mit zunehmendem Wohlstand werde der „Migrationsdruck von Afrika nach Europa über die nächsten zwei Generationen erheblich zunehmen“, ist sich der US-amerikanische Afrikanist Stephen Smith sicher: „Gute Wirtschaftsdaten aus Afrika werden in den nächsten 30 Jahren gute Nachrichten für China sein – aber schlechte Nachrichten für Europa, weil immer mehr Afrikaner Geld und Möglichkeit haben werden, ihr Glück in Europa zu versuchen.“

Experten wie Smith raten den Europäern, die Vorgehensweise der Chinesen in Afrika zu analysieren, auch weil deren Erfolge „das ganze Fiasko der westlichen Entwicklungshilfe“ offenlegen. China lenkt nicht nur Geld nach Afrika, sondern sorgt auch dafür, daß es dort nicht versickert. 15 Jahre chinesisches Engagement haben deutlichere Spuren hinterlassen als ein halbes Jahrhundert westlicher Entwicklungshilfe. Schnell, preiswert und gut sichtbar seien die Stärken der Entwicklungszusammenarbeit made in Peking, während Europa mit  gut gemeinten Phrasen von Wertschöpfung statt Ausbeutung, Aufwertung des Handwerks und dem Abbau bestehender Handelshemmnisse daherkomme.