© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Ein böser Blick zurück auf das Fontane-Jahr 2019
Allenfalls zweite Reihe
(wm)

Wohl um die Jubiläumslaune im Fontane-Jahr 2019 nicht zu trüben, publiziert der Literaturhistoriker Ingo Meyer sein Scherbengericht über das Werk des märkischen Wanderers mit höflichem Abstand zu den verklungenen Geburtstagsliedern (Merkur, 1/2020). Fontane, so befindet der eher in der vierten Reihe seiner Disziplin hausende Bielefelder Privatdozent, habe keine Weltliteratur produziert, er sei daher „allenfalls zweite Reihe“. Zubilligen könne man ihm „drei, vier rundum gelungene Erzählwerke“, was mehr sei, als seinen Verehrern Thomas Mann, Günter Grass oder Uwe Johnson „je vorzulegen vergönnt war“. Am meisten überschätzt werde, in diesem einzigen Fall trifft Meyer sogar ins Schwarze, „Effi Briest“. Erschöpfe sich die intellektuelle Phantasie heutiger Studenten in bezug auf Effi doch „ausnahmslos in Applikationen von Gender-Theoremen (Frau immer Opfer)“. Zur Zwangsernüchterung schade es nicht, an eine uralte Provokation Bernd W. Seilers zu erinnern, der die Ehebrecherin eine ungebildete „blöde Kuh“ nannte, die die Spielregeln nicht begriff, die im Kaiserreich für jede Frau aus der Oberschicht galten. Zu den besten unter den siebzehn „überaus lesbaren“, aber nicht „weltliterarischen“ Romanen und Novellen Fontanes zählt der dampfplaudernde Meyer den politischen, dänische Dekadenz als Menetekel zu 1864 inszenierenden Roman „Unwiederbringlich“, die Berliner Leben realistisch erfassenden „Poggenpuhls“ und die Auswanderergeschichte „Quitt“. Hingegen vom „Stechlin“ könne der Leser höchstens viel über die wilhelminische Gesellschaft lernen, aber nur, wenn er bereits „eine Menge darüber weiß“. 


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