© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

Das Foto auf der FAZ-Titelseite erinnert N., maßgeblich beteiligt an der Filmproduktion „Babylon Berlin“, an Herbert Wehner. Bevor er das Café der Sowjetzone verläßt, erklärt er mir: „Der Wehner fehlt, der würde die AfD mit einem großen Eisenbesen rausfegen.“ Wer weiß, vielleicht würde der seine Genossen auch in die langersehnte Grundrente schicken, schließlich werden auch sie zu „Asche und Staub“, oder wie ich es mir jüngst im Morgengrauen während der „Desinformationen am Morgen“ (Deutschlandfunk) zusammenreimte: „Mit dem Rücken zur Wand dank Saskia Esken / Der letzte Rest der SPD sind Fresken.“ Dabei sieht es für die CDU nicht viel besser aus, seit Elmar Brok die Werte-Union als akutes „Krebsgeschwür“ diagnostiziert hat. Entsprechend müßte die Abkürzung CDU für „Cancer Disease Urgency“ stehen. Das sieht auch Friedrich Merz so, als er im überfüllten Ballhaus Berlin auftritt, das – im schummrigen Licht und der aufgeheizten Atmosphäre – die 20er Jahre dieses Ambientes für einen Augenblick lebendig werden läßt. Unter den Blicken der zwei Karyatiden, deren an Angela Merkel gemahnenden Gesichter die vollbusigen Hügel unter ihren Augen inspizieren, erinnere ich mich flüchtig an jene queere Burlesque-Show am selben Ort, als eine lesbische Aktivistin unter dem irren Jubel des gesamten Saales die Entfernung ihrer Brüste feierte. Hier also, wo Merz am Cateringstand bereits symbolisch durch „Dicke Sauerländer“ und den Typus „Grober Westfale“ vertreten ist, mahnt der bisherige Blackrocker, die Union befinde sich „in ähnlicher Gefährdungslage wie die SPD“. Wirklich überzeugend wirkt er nicht, da er das Primat der Klimakirche anerkennt – doch gerade das scheint das einzig Richtige: Muß er doch Gretas Geßlerhut grüßen und die AfD verteufeln, will er seine Chance auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur nicht vorzeitig begraben. 


Schließlich wird, wer dem Zeitgeist die Stirn bietet, sofort als „Nazi“ gebrandmarkt – so auch ich, als ich zu einer Geburtstagsfeier im Café des Westsektors von einer Dame, als litte diese am Tourette-Syndrom, ein halbes Dutzend Mal über den Tisch hinweg als „Faschist“ angerufen werde. Der Mann neben mir im roten Troyer, statt zu vermitteln, agitiert mich letztlich in fanatischer Weise, seine Gesichtszüge entgleiten – es ist, als schaute ich dem ersten XR-Terroristen in die Augen. Allen Ernstes ist für ihn das Klimaproblem total einleuchtend, „wenn selbst eine 16jährige das kapiert!“ Heilige Einfalt! Oder: „Auf die Klimarettung schwören / Industriestandort zerstören.“