© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

„Grenzen des Sagbaren erheblich nach rechts verschoben“
NS-Wegbereiter oder nicht? Eine überraschungsfreie Lokalstudie zur Geschichte der DNVP in Potsdam
Oliver Busch

Die schier endlose Debatte über den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche (zuletzt JF 7/20), die jüngste mediale Empörung über die Entschädigungsforderungen des Hauses Hohenzollern, diverse Straßenumbenennungen sowie die Veitstänze zur vermeintlichen Allianz zwischen CDU/FDP und der als „faschistisch“ stigmatisierten AfD nach der auf Befehl des Kanzleramts wieder „rückgängig“ gemachten Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen – bei keiner dieser Inszenierungen fehlte der von historischer Kenntnis ungetrübte Hinweis auf die „Schuld“, die der preußisch-deutsche Konservativismus als „Wegbereiter“ der NS-Machtergreifung auf sich geladen habe.

In der sich seit 1990 belebenden Forschung zur stärksten konservativen Kraft der Weimarer Republik, der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), hat eine Studie Manfred Kittels die kontroverse Einschätzung zu deren Agieren in der Weimarer Republik auf eine griffige Alternative gebracht: „‘Steigbügelhalter Hitlers’ oder ‘stille Republikaner’?“ (2007). Der 2014 als wissenschaftlicher Leiter des Zentrums gegen Vertreibung der „polnischen Lobby“ geopferte Kittel neigt darin zur Auffassung, daß die monarchistische, verfassungsfeindliche, „rechtsextreme“ DNVP den Aufstieg der NSDAP und schließlich deren Machtübernahme 1933 wesentlich begünstigt habe. Während Kittels Kollege Thomas Mergel der Partei bescheinigt, zumindest bis 1928, als Alfred Hugenberg die Führung übernahm, in Richtung systemloyaler, demokratischer Partei gesteuert zu haben. Daneben gab es andere Stimmen, wie die von Larry E. Jones und Wolfram Pyta, die die nicht eben marginale Hugenberg-Opposition der sich 1930 abspaltenden „Tories“ vom Schlage des „letzten Preußen“ Kuno Graf von Westarp betonten. 

Ungeachtet einer inzwischen ansehnlichen Literatur zum Thema, bleibt noch viel zeithistorische Kärrnerarbeit zu leisten, um ein detailliertes Bild von den politischen Glücksentwürfen rechter Parteien, ihrem Personal, ihrer Strategie und Taktik zu gewinnen. Dazu scheint der Ansatz, den der Berliner Historiker Matthias Grünzig mit einer Lokalstudie über die Potsdamer DNVP wählt, sehr geeignet (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1/2020). Obwohl die Stadt, tatsächlich eine der „wichtigsten Hochburgen rechts-nationalistischer Kräfte in Deutschland“, mit ihrer von Adel, Militär, Beamten, Pensionären und reichlich ehemaligen Hofbediensteten geprägten „außergewöhnlichen Sozialstruktur“ ein eher atypisches konservatives Milieu repräsentiert.

In Potsdam jedenfalls stellte die DNVP bis 1933 den Oberbürgermeister, dominierte mit der stärksten Fraktion  ununterbrochen die Stadtverordnetenversammlung, lag dort bei Reichs-, Landtags- und Kommunalwahlen bis Ende der 1920er regelmäßig zwischen 30 und 50 Prozent und zählte unter den 62.000 Einwohnern (1925) nicht weniger als 6.000 Parteimitglieder in ihrem Kreisverein.

DNVP schuf Grundlagen für die NS-Machtübernahme

War die Potsdamer DNVP nun eine „rechtsextreme oder eine eher konservative Partei, die die verfassungsmäßige Ordnung der Weimarer Republik grundsätzlich bejahte?“ Auf diese ahistorisch über den Leisten eines undefinierten Demokratiebegriffs geschlagene, daher nur rhetorische Frage gibt Grünzig, der bereits mit dezidiert linker Geschichtsideologie in Sachen Garnisonkirche auf den Plan trat (JF 29/18), eine überraschungsfreie Antwort. Ja, die „eindeutig rechtsextreme“ Potsdamer DNVP habe zum „geistigen Klima“ beigetragen, „in dem Demokratiefeindlichkeit, Kriegshetze und Antisemitismus fast schon als gesellschaftsfähig galten“. Ja, sie habe die „‚Grenzen des Sagbaren‘“, wie sich Grünzig im anbiedernd aktualisierenden Jargon ausdrückt, „erheblich nach rechts verschoben und damit wesentliche Grundlagen für die Machtübernahme der Nationalsozialisten geschaffen“.

Beweis? Grünzigs der Potsdamer Tageszeitung entnommene Zitatfetzen aus den überwiegend zu nationalen Themen gehaltenen Reden auswärtiger Gäste und der Lokalmatadore. Eine tiefenscharfe Ausleuchtung kommunalpolitischer Positionen unterbleibt hingegen. So kommen Grünzigs Schablonen nirgends hinaus über die Wiederholung von Winfried R. Garschas 50seitigem DNVP-Artikel im faktensatt soliden, wenn auch naturgemäß SED-Vorgaben folgenden vierbändigen „Lexikon zur Parteiengeschichte 1789–1945“ (zweite, erheblich erweiterte Auflage, Berlin-Ost 1984).

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