© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Eine strikte Nachrichtendiät ist geboten
Der Schweizer Publizist Rolf Dobelli hält ein Plädoyer, mehr und bewußter zu lesen
Ansgar Lange

Durch die Digitalisierung haben sich News von einem harmlosen Unterhaltungsmedium in eine Massenvernichtungswaffe gegen den gesunden Menschenverstand verwandelt.“ Mit Sätzen wie diesen polarisiert der Schweizer Bestseller-Autor und Unternehmer Rolf Dobelli. 

Brauchen wir überhaupt Nachrichten? Diese Frage wird Journalisten wie Mediennutzer zunächst irritieren. Dobelli bezeichnet die News-Industrie als Blinddarm einer Gesellschaft – „permanent entzündet, aber ohne Funktion“. Am besten, man schneide ihn weg. In seinem jüngsten Werk „Die Kunst des digitalen Lebens“ plädiert er, der selbst für die NZZ, die FAZ, Zeit und andere Zeitungen regelmäßig Kolumnen schreibt, für einen radikalen Verzicht auf Nachrichten. Der Konsum von News via Fernsehen, Internet oder Tageszeitung sei sinnlos, schädlich und mache unglücklich

News sind für den Geist wie Zucker für den Körper

Dobelli war vor Jahren selbst abhängig und konsumierte Kurznachrichten wie im Rausch. Doch seit einiger Zeit ist er „clean“. Er berichtet, wie er vom News-Junkie zum Abstinenzler wurde. Er will diese Lebensphilosophie seinen Lesern nahebringen. Und er nennt auch gleich das Gegenprogramm zu den Kurznachrichten: lange Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Essays, Features, Reportagen, Dokumentarsendungen und Bücher. Daher ist Dobellis Streitschrift auch ein Plädoyer dafür, mehr und bewußter zu lesen. Viele Formate im Internet, Fernsehen, Radio oder Zeitungen und Zeitschriften sind allzu oft nur Weißbrot und schädlich für den Organismus. Lange Artikel in Qualitätsmedien und in Fachzeitschriften sowie „gute“ Bücher sind das Schwarzbrot, das uns gesund erhält. 

Um es mit Dobelli zu formulieren: „In bezug auf News sind wir heute an dem Punkt, wo wir in bezug auf Zucker und Fast Food vor zwanzig Jahren standen, denn: News sind für den Geist, was Zucker für den Körper ist. News sind appetitlich, leicht verdaulich und gleichzeitig höchst schädlich.“

Wer Wert auf einen gesunden Blutdruck, Seelenfrieden und Gleichmut legt, sollte sich vom hektischen News-Konsum verabschieden. Schon der Philosoph Seneca wußte: „Wenn jemand die ganze Zeit unterwegs ist, hat er viele Bekanntschaften, aber keine Freunde.“ Stoiker konsumieren nicht hektisch Nachrichten. 

Hat der Journalismus also überhaupt keine Zukunft? Krawalljournalismus oder auch der in gewissen Kreisen angesagte moralisierende Haltungsjournalismus können sie nicht sein. Einem investigativen und erklärenden Journalismus, der komplex und teuer ist, gehört laut Dobelli stattdessen die Zukunft. „Machen Sie doch mal das Experiment und schauen Sie, wie oft Sie bei der Lektüre dieses gut geschriebenen schmalen Buches auf Ihr Smartphone, den PC oder auf den Fernseher schauen. Wenn Ihnen eine möglichst ablenkungsfreie Lektüre gelingt, dann sind Sie noch nicht news-verseucht. Alle anderen sollten vielleicht ihren Fernseher verkaufen und lieber ein Buch lesen.“

Übrigens: Wer nicht ganz auf Nachrichten verzichten kann, dem empfiehlt Dobelli, eine Wochenzeitung zu lesen. Nun nennt er die JUNGE FREIHEIT zwar nicht ausdrücklich. Aber ihr Kauf könnte ein guter Weg sein, sich der Hektik der Nachrichtenwelt zu entziehen und sich einmal in der Woche einen Überblick über die Geschehnisse dieser Welt zu verschaffen. 

Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern. Piper Verlag, München 2019, gebunden, 256 Seiten, 20 Euro