© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Hightechsohlen mit wenig Feinstaubabrieb
Was technische Wunderkammern für die grüne Mobilitätswende vorbereiten / Schwärme autonomer Autos?
Christoph Keller

Bettina Gundlers „kleines Panorama technischer Entwicklungen“ auf dem Experimentierfeld der Mobilität präsentiert sich eingangs mit der Computeranimation eines Flugtaxis. Doch die Münchnerin, die im Deutschen Museum als Kuratorin für den Bereich Verkehr zuständig ist, läßt sich – anders als bayrische Bundesminister und Lilium-Investoren – nicht von wolkigem Start-up-Sprech beeindrucken. Flugtaxis hätten vielleicht als Spielzeug, aber nicht als Fortbewegungsmittel eine Zukunft, da sie sich allenfalls für „Premiumkunden“, nicht für den Massenverkehr eigneten (Kultur & Technik, 2/19).

Auch beim E-Scooter – laut Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eine „echte Zusatzalternative zum Auto“ – fragt Gundler, ob der wirklich „mehr als ein mobiles Lifestyle-Angebot“ ist. Nicht anders als elektrische Skateboards, Monowheels, „Schuhe mit Hightechsohlen, die wenig Feinstaubabrieb“ emittieren, oder Lieferroboter und Paketdrohnen, die die Logistikbranche derzeit in Großstädten ausprobiert, um Doppelfahrten ihrer Zusteller zu vermeiden. Da man bei DHL, Hermes & Co. aber gleichzeitig erwägt, kräftiger auf Lastfahrräder zurückzugreifen, scheint dort das Zutrauen in die Technik des 19. doch größer zu sein als das in die des 21. Jahrhunderts.

Schnellere Abkehr von fossilen Energieträgern

Ebenso skeptisch beurteilt Gundler eine weitere Idee: Weil preisgünstiger als automatisierte U-Bahnen und autonome Busse, helfen in Südamerika Seilbahnen im ÖPNV. In La Paz ist ein Netz von 33 Kilometern Länge entstanden, das Siedlungen auf den umliegenden Hügeln mit dem Zentrum des bolivianischen Regierungssitzes verbinde. In Koblenz gibt es seit 2010 und in Berlin seit 2017 eine Seilbahn. Weitere könnten in der Hauptstadt folgen. Auch München prüfe, ob sich so innerstädtisch stündlich bis zu 6.000 Personen befördern lassen. Das liege zwischen der Transportleistung von Bus und Straßenbahn – was aber „nur in besonderen Fällen sinnvoll“ sei.

Gundler, die überzeugt davon ist, die „Mobilitätswende“ hänge weniger von „technischen Trends“ als von den Weichenstellungen der Politiker und der Konsumenten ab, reserviert den Ingenieuren drei Kernbereiche, auf denen sie mitgestalten können: Erstens, indem sie mit neuen Antrieben und synthetischen Kraftstoffen die Abkehr von fossilen Energieträgern beschleunigen und CO2-Emisionen begrenzen. Zweitens durch Vernetzung und Automatisierung von Fahrzeugen und Infrastrukturen helfen, den Verkehrsfluß zu optimieren, sicherer zu machen und den ÖPNV zur echten Alternative in Ballungsräumen auszubauen. Drittens die „digitale Durchdringung von Fahrzeugtechnik“ sowie die fortgesetzte Digitalisierung öffentlicher Verkehrsmittel inklusive der Miet- und Sharing-Angebote voranzutreiben.

Daß selbst Daimler und BMW Verluste im gemeinsamen Carsharing einfahren und etliche Konkurrenten diese Marktnische schon aufgaben, irritiert Gundler nicht. Bei der staatlich geförderten Elektromotorisierung sieht sie hingegen kaum Anlaß zu Optimismus. Nicht nur, daß der grüne Energieanteil im Strommix der Ladesäulen noch zu wünschen übrig lasse. Auch die Umweltbilanz der E-Autos, vom kleinen BMW i3 über den VW ID.3 bis zu schwergewichtigen SUV à la Audi e-tron und Tesla X sei „kritisch“ zu betrachten. Nach einer ADAC-Berechnung der CO2-Bilanzen verschiedener Antriebsarten von 2018, bezogen auf den gesamten Lebenszyklus von der Produktion bis zur Verschrottung, schneiden E-SUVs sogar schlechter ab als Diesel-Pkws. Ein Befund, der auch von Hans-Werner Sinn (ifo Schnelldienst 8/19) bestätigt wurde und der nicht gerade dafür spreche, daß der Systemwechsel zum E-Auto den Zweck der Energiewende erfülle.

Nur 63.281 E-Autos bei 3,6 Millionen Neuzulassungen

Voriges Jahr wurden 3,6 Millionen Pkw neu zugelassen. Davon waren 63.281 E-Autos (1,8 Prozent). 6.000 Euro Umweltbonus sollen das ab diesem Jahr ändern. Die künftig mit 4.500 Euro subventionierten Plug-in-Hybride (schwere Verbrenner, die theoretisch bis zu bis 50 Kilometer elektrisch fahren können) kamen nur auf 45.348 Neuzulassungen (1,3 Prozent). Echte Hybridautos (Toyota Prius & Co.), die als Taxis und im Stadtverkehr wirklich Benzin sparen, fanden auch ohne Steuerzahlerhilfe 193.902 Käufer (5,3 Prozent). Die Mehrheit kaufte weiter Benziner (59,2 Prozent) und Diesel (32 Prozent). Und: SUV waren mit 1,13 Millionen (31,2 Prozent) die beliebteste Karosserieform.

Für eine Million E-Mobile würden mindestens 33.000 Ladepunkte bundesweit benötigt, 20.650 standen Mitte 2019 immerhin zur Verfügung. Sie bewirkten allerdings keinen E-Auto-Boom. Brennstoffzellenfahrzeuge würden hingegen nicht mit langen Ladepausen nerven. Ihr nötiger Wasserstoff könne schnell nachgetankt werden. Mit eher gutem ökologischen Gewissen, wie eine Fraunhofer-Studie dokumentiert. Das Problem von Hyundai Nexo, Toyota Mirai oder Mercedes F-Cell sei jedoch, daß ihre Technik „trotz vieler Entwicklungsansätze“ noch nicht voll serienreif und „relativ teuer ist“.

Immerhin scheint die Automatisierung und Digitalisierung großstädtischer Verkehrsnetze erfolgreicher zu sein. Nürnberg vermeldet die erste fahrerlose U-Bahn in Deutschland. Die Hamburger Hochbahn testet den Einsatz eines autonomen Kleinbusses in der Hafencity. Mitte 2020 sollen Passagiere einsteigen. Vorbild war Deutschlands erster fahrerloser Bus, der in Bad Birnbach (Niederbayern) seit Ende 2017 eine nur kurze Strecke von 700 Metern bedient und bislang 20.000 Personen beförderte.

Für Stefan-Alexander Schneider, der sich an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kempten mit Fahrassistenzsystemen befaßt, führen automatisierte Fahrzeuge zur „digitalen Disruption“ in der Autoindustrie und damit zum Durchbruch in der Mobilitätswende. Will Gundler „Optimierungsperspektiven“ im „komplexen Terrain“ des Großstadtverkehrs eher bei Kleinbussen und Sammeltaxis erkennen, sieht Schneider, der Autos zu den „faszinierendsten Errungenschaften der Menschheit“ zählt, keine Grenzen des Machbaren. „Schwärme autonomer E-Fahrzeuge“ würden bald den Transportbedarf rund um die Uhr befriedigen, nachhaltig, da CO2-reduzierend.

Dagegen gibt Jonas Eliasson, Professor für Transportwesen an der Universität Linköping, nordisch kühl zu Protokoll: „Was den Stadtverkehr betrifft, sehe ich nichts Revolutionäres kommen“ (Kulturaustausch, 3/19). In Stockholm habe die von ihm 2006 initiierte Pkw-Maut das Verkehrsaufkommen um ein Fünftel gesenkt. Solche simpel-teuren Gebührenschranken, nicht selbstfahrende Autos entlasteten die Innenstädte. Schneiders Hightech-Pkws verbannt der 51jährige damit auf Autobahnen, wo sie mit niedrigem Gefährdungspotential zwischen Städten „pendeln“ sollten.

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