© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Naturromantik reloaded
„Bushcrafting“: Deutsche Youtuber zeigen der digitalen Gesellschaft, wie man im Wald überlebt
Tobias Dahlbrügge

Ein Bundeswehr-Biwak kennen junge Leute heute nur noch vom Hörensagen. Urbane Hipster tragen selbst auf dem Weg zum nächsten Bäcker Funktions-Outdoor-Bekleidung. Flächenfraß, Versiegelung und Intensiv-Landwirtschaft lassen unsere „Wildnis“ immer stärker schrumpfen. Mit der allgemeinen Entfremdung von der Natur steigt aber bei vielen im gleichen Maße die Sehnsucht nach ihren rauhen Herausforderungen. Großstädter verlassen ihre Komfortzone – natürlich ausgestattet mit hochwertiger Ausrüstung im Wert von mehreren hundert Euro – und versuchen im nächsten erreichbaren Stadtpark zwölf Stunden am Stück zu überleben. 

Mountainbiker und Nordic Walker bekommen jedoch nun Konkurrenz von Amateur-„Buschmännern“ mit durchaus ernstzunehmenden Ansätzen. „Bushcrafting“ nennt sich der neue Draußen-Trend. In Tarnmuster-Anzügen, mit schwerem Rucksack, Lederhut, Stirnlampe und Dschungelmesser erkunden sie, wie man Wasser aus Pfützen trinkbar macht, sich vor Dauerregen schützt oder Borkenkäferlarven als lebensrettende Eiweißnahrung aufspürt.

Wem das zu unbequem ist, der bleibt einfach zu Hause und schaut sich einen der vielen Youtube-Kanäle an, auf denen Bushcraft-Profis ihre Abenteuer präsentieren. Die Szene ist vielfältig, und längst spielen Deutsche ganz vorne mit. Der bedächtig-ruhige Gerhard Eder von backpacker-wilderness.com liegt gut getarnt im Moos und gibt Anfängern Tips, wie man sich möglichst unentdeckt im Wald bewegt. Allein, ihm dabei zuzuschauen, hat eine meditative Wirkung. 

Fritz Meinecke erinnert manchmal an Fynn Kliemann, wenn er wie der ländliche Heimwerker-Star auf Youtube oft Jugendsprüche raushaut („Ich feier’ es mega!“). Lustig war seine Idee, sich Damenbesuch in sein selbst gebautes Survival-Camp einzuladen und der stylischen Mode-Influencerin Stella dabei zuzusehen, wie sie versucht, einen Totholz-Ast mit der Axt zu einem Zeltpfosten anzuspitzen. Meinecke nimmt seine Zuschauer mit zur Landrover-Tour in Afrika oder zum Wohnexperiment in der G-Klasse.

Viele Kanäle, die von Ausrüstern wie der Firma von Outdoor-TV-Legende Bear Grylls unterstützt werden, erreichen Hunderttausende Abonnenten und Klicks. „Die Naturensöhne“ Andy und Gerrit sind mit Sack und Pack in Wald und Flur unterwegs – beispielsweise in der Sächsischen Schweiz –, testen neue Werkzeuge, kochen Soljanka oder zeigen, wie man ein Holzbett oder eine Feuerstelle baut. 

„Überleber“ Ingo und seine Kamerafrau Sandra sind Fortgeschrittene, die ihre Fans visuell auf spektakuläre Expeditionen mitnehmen. Zu Heavy-Metal-Hintergrundmusik erfährt man, wie man Zunder herstellt oder den ebenso seltenen wie energiereichen Chaga-Pilz findet. Eher humoristisch kommt „Survival-Mattin“ daher, dessen Selbstversuchs-Filme („Mattin übernachtet draußen …“) Untertitel tragen wie „… und überlebt nur knapp!“

Berührungspunkte mit der Prepper-Szene

Leichte Überschneidungen – zum Beispiel wenn es in den Prepper-Bunker geht – hat die Waldläufer-Gemeinschaft mit der „Prepper-Szene“, die sich auf Katastrophen und Krisen vorbereitet, kommt aber weder untergangshysterisch noch ideologisch daher.

Wer nun gleich loslaufen will, um in der Natur Abenteuer zu erleben, sollte unbedingt einiges beachten: Grundsätzlich ist es jedermann gestattet, den Wald zum Zwecke der Erholung zu betreten. Das Kampieren im Wald bedarf aber einer Genehmigung. Wer sich nachts dort aufhält, muß die Nacht nicht mit einer 1000-Lumen-Lampe zum Tag machen; schwaches Rotlicht tut’s auch. Bitte im Sommer nicht Rauchen oder Feuer machen. Vorsicht mit „Survival“-Messern: Das Führen könnte einen Verstoß gegen das Waffenrecht darstellen. Einhand-Taschenmesser dürfen nicht zugriffsbereit getragen werden, es müssen „mehr als drei Handgriffe“ zum Öffnen nötig sein. Im Mai und Juni, wenn viele Wildtiere Nachwuchs haben, sollte auf Störungen generell verzichtet werden – aber ein echter Überlebenskünstler geht ohnehin nur bei unter 10 Grad und Regen in die Botanik. In diesem Sinne: Raus ins Grüne!