© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/20 / 21. Februar 2020

Knapp daneben
Blöße zeigen
Karl Heinzen

In Unternehmen sollte Datenschutz längst Chefsache geworden sein. Bis zu Helena Helmersson, der neuen Vorstandsvorsitzenden des Modekonzerns H&M scheint sich dies aber noch nicht herumgesprochen zu haben. Seit Oktober 2019 wird die 600 Mitarbeiter zählende Nürnberger H&M-Kundenzentrale durch eine Spitzelaffäre erschüttert, die von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aufgedeckt wurde. Statt sich dieses Problems anzunehmen, demonstriert Helmersson aber lieber gelassene Unwissenheit. Sie kenne die Details nicht, erklärte sie in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehsender SVT, man solle sich an ihre dafür zuständigen Mitarbeiter wenden.Diese Details sind allerdings einfach zu merken, und sie haben es in sich. Auf wessen Anordnung auch immer, wurden in Nürnberg sensible persönliche Daten über Mitarbeiter gesammelt. Zu allem Überfluß scheinen diese dann auch noch in einem offen zugänglichen Ordner archiviert worden zu sein. 

In einer solidarischen Gesellschaft ist individueller Datenschutz nicht erwünscht.

Falls jemand dort recherchiert haben sollte, wird er seine Kollegen viel besser kennengelernt haben. Er erfuhr über Blasenschwächen und Menstruationsverläufe, Ehestreitigkeiten und Urlaubs­erlebnisse, Krankheiten und Todesfälle im sozialen Umfeld. Angezapft wurde die Belegschaft nicht nur in Personalgesprächen, sondern gerade auch in losen Plauderrunden beim Essen oder in Raucherpausen. Nachrichtendienste können sich an der Effektivität dieses Vorgehens eine Scheibe abschneiden.Was für Deutsche ein unerträgliches Problem ist, dürften die meisten anderen Europäer aber auf die leichte Schulter nehmen. Deutsche sind kontaktscheue und verschlossene Wichtigtuer. Sie glauben allen Ernstes, ihre belanglosen Daten wären werthaltig und schützenswert. Im europäischen Ausland sind die Menschen weniger von sich eingenommen. Sie öffnen sich gegenüber Mitmenschen und haben keine Scheu, dabei auch Blöße zu zeigen. Ihnen erscheint Datenschutz als Auflage, die das Individuum zum anonymen Rädchen herabwürdigt. Mit einer humanen und solidarischen Gesellschaft, in der die Menschen einander kennen und schätzen, ist er nicht zu vereinbaren.