© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

AfD nach der Hamburg-Wahl
Ein Appell zur Abrüstung
Dieter Stein

Kurz nach dem Amoklauf von Hanau wäre niemand überrascht gewesen, wenn die AfD aus der Hamburger Bürgerschaft geflogen wäre. Obwohl die Motive des offenbar geisteskranken Täters verworren waren und es keine Bezüge zur AfD gab, wurde ihr quer durch alle Parteien und Medien eine Mitverantwortung angelastet. FAZ-Herausgeber Berthold Kohler schrieb gar in bezug auf die Morde von Hanau über die AfD: „Die haben Blut geleckt, die wollen mehr.“

Welche Wut sich gegen die AfD aufgestaut hatte und wie sehr die anderen Parteien auf sie fixiert sind, zeigte sich am Wahlabend, als es nach ersten Prognosen danach aussah, als habe die AfD den Sprung über die Fünfprozenthürde verfehlt. „Nazis raus“ wurde jubelnd auf Wahlpartys von Grünen, Linken und SPD skandiert. Doch dann zog die AfD doch ein, und statt dessen flog die FDP knapp aus dem Parlament.

Insgesamt erhielten Parteien des bürgerlich-nichtlinken Spektrums (CDU, FDP, AfD) in Hamburg nur gut ein Fünftel der Stimmen. Die CDU fuhr ihr historisch schlechtestes Ergebnis in der Hansestadt ein, das den Durchmarsch von Rot-Rot-Grün mit über 70 Prozent erlebte!

Die AfD ist in Hamburg unter den gegebenen Umständen noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen – konnte faktisch sogar die Stimmenzahl trotz Gegenwinds bei gestiegener Wahlbeteiligung halten. Wer die Potential-Analysen der Meinungsforscher kennt, weiß aber, daß die Partei schon seit längerem kaum noch Spielräume für Zugewinne hat und einer Mauer der Ablehnung gegenübersteht. Die östlichen Bundesländer mit ihren 25-Prozent-Wahlergebnissen für die AfD sind ein Sonderphänomen, das weniger mit dem dortigen Kurs als mit einer grundlegend anderen Prägung der Mentalitäten und des Parteiensystems zu tun hat.

Die AfD-Spitze wehrt sich gegen die hemmungslose Diffamierung nach Hanau, hat sich nach der Wahl aber auch erstaunlich selbstkritisch geäußert. Alexander Gauland erklärte wie schon zuvor die AfD-Chefs Chrupalla und Meuthen, man müsse jetzt „verbal abrüsten“, auf allen Seiten, und verurteilte die Morde von Hanau als Werk „eines geisteskranken Rassisten“. Postwendend wird der Ruf zur Mäßigung als „Kreide fressen“ verhöhnt, die Ernsthaftigkeit des Appells zum „Abrüsten“ als Polieren der „Fassade der Bürgerlichkeit“ (Berthold Kohler) angezweifelt. Kein einfacher Weg. 

Bis zur Bundestagswahl werden die Parteien von der Linken bis zur CSU versuchen, die AfD endgültig in einem Ghetto zu isolieren. Die AfD muß sich fragen, wer auf ihrer Seite freiwillig weiter durch Äußerungen und Auftreten Argumente für diese Strategie liefern will. Dies werden AfD-Wahlkämpfer schon bei den Kommunalwahlen in Bayern und NRW im Herbst spüren, wo es bereits immer schwerer gelingt, respektable Kandidaten zu gewinnen.