© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Die Unruhe nach den Schüssen
Amoklauf von Hanau: Ihre Gegner werfen der AfD vor, den Nährboden für die Tat bereitet zu haben / Partei sieht sich als Opfer von Hetze
Christian Vollradt

Der Rechtsextremismus sei momentan „die größte Bedrohung für die Sicherheitslage“, stellte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) einen Tag nach dem Amoklauf im hessischen Hanau (Seite 7) fest. Auch seine Kollegin im Justizressort, Christine Lambrecht (SPD), nannte den Rechtsterrorismus „die größte Gefahr für unsere Demokratie zur Zeit“. Die Tat, der neun Menschen ausländischer Herkunft und die Mutter des Tatverdächtigen Tobias R. zum Opfer fielen, sei „eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag“, so Seehofer. Verweise auf den Geisteszustand des Täters dürften nicht zur Relativierung herangezogen werden: „Der rassistische Hintergrund dieser Tat ist vollkommen unbestritten.“

Die Frage aus den Reihen der Hauptstadtjournalisten, ob – und wenn ja, inwiefern – die AfD möglicherweise eine Mitverantwortung daran trage, versuchte Seehofer vorsichtig zu bejahen. Denn das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit eine Klage der Partei gegen den Innenminister, der womöglich mit Äußerungen gegen die AfD sein ministerielles Mäßigungsgebot überschritten haben könnte (JF 7/20). Aussagen wie „Der Nationalsozialismus ist nur ein Vogelschiß in der deutschen Geschichte“, so Seehofer am Freitag, seien für ihn Teil des „Nährbodens für Rassismus und Rechtsextremismus“. 

„Haben uns manchmal in der Wortwahl vergriffen“

Andere Mitglieder der Bundesregierung äußerten sich weniger zurückhaltend. „Das Milieu von Taten wie in Hanau wird ideologisch genährt von Faschisten wie Höcke“, twitterte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD). „Demokratie­verachtung, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus & Islamfeindlichkeit fallen auf fruchtbaren Boden.“ Deshalb bleibe er dabei: „Die AfD ist der politische Arm des Rechtsterrorismus!“ 

Sein Genosse Ralf Stegner sekundierte im Handelsblatt, AfD-Funktionäre hätten im Staatsdienst nichts zu suchen. Wer dieser Partei angehöre, identifiziere sich mit einer völkischen, nationalistischen, rechtsextremen Politik, die mit ihrer rassistischen Hetze maßgebliche Mitverantwortung für den Rechtsterrorismus in Deutschland trage. Mit dieser demokratiefeindlichen Grundhaltung könne man nicht gleichzeitig im öffentlichen Dienst und damit in einem besonderen Treue- und Loyalitätsverhältnis für einen Staat tätig sein. Ähnlich ließ sich FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle vernehmen: „Man kann nicht im Öffentlichen Dienst sein und gleichzeitig die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen.“ Er befand zudem, das „Pamphlet des Täters von Hanau liest sich wie eine Rede von Gottfried Curio (AfD) im Deutschen Bundestag“. Und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) meinte in der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Natürlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Erstarken der AfD und der Zunahme rechter Gewalt.“

Es sind solche Äußerungen, die den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, erschüttern, wie er am Montag in der Bundespressekonferenz bekannte. Was seine Partei nach den Morden von Hanau erfahren habe, sei „Hetze“, wie er sie sich nicht habe vorstellen können. Zu Zeiten des Terrors der Roten Armee Fraktion in den siebziger Jahren, erinnerte sich Gauland, sei mit deren Unterstützerumfeld differenzierter in den Medien umgegangen worden als nun mit der AfD. Er sehe darin tatsächlich die Gefahr einer Spaltung des Landes – „aber nicht durch uns“.

Parteichef Tino Chrupalla ergänzte am Montag: „Auch die Berichterstattung, die uns mit diesen schrecklichen Taten in Verbindung zu bringen versucht, hat uns erschüttert.“ Der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete aus Sachsen forderte jedoch ebenso eine „Selbstreflexion“ der eigenen Partei. In einer Rundmail an die Mitglieder hatten Chrupalla und sein Co-Vorsitzender Jörg Meuthen noch einmal betont, man werde nicht „zulassen, daß der politische Gegner und Teile der Medien uns in diesem Kampf für Freiheit, Demokratie und den Rechtsstaat ausgrenzen und in die Nähe des Rechtsextremismus rücken wollen.“ 

Man müsse sich allerdings auch fragen, „warum es unseren politischen Gegnern gelingt, uns überhaupt mit solch einem Verbrechen in Verbindung zu bringen“. Dem „müssen wir uns stellen, auch wenn es schwerfällt“. Und während unmittelbar nach dem Amoklauf stets betont wurde, es habe sich um „die schreckliche Tat eines völlig zweifelsfrei psychisch schwerkranken Irren“ gehandelt, heißt es im Mitgliederbrief: „Um es ganz deutlich zu sagen: Die Tat von Hanau ist ein rassistisches Verbrechen. Ihr Motiv war Ausländerhaß.“

Dieser Passus sei nicht Ausdruck eines Sinneswandels, betonte Chrupalla. Es sei doch eigentlich selbstverständlich, daß man erst einmal die Ermittlungsergebnisse abwarte. Der Amoklauf sei die Tat eines Wahnsinnigen, sein Manifest habe jedoch einen rassistischen Hintergrund. „Auch ein krankes Hirn kann eine rassistische Motivation haben“, ergänzte Gauland. Auch er sprach sich dafür aus, daß alle politischen Parteien sowie die Medien in sich gehen und verbal abrüsten sollten. „Auch wir haben uns manchmal in der Wortwahl vergriffen“, gestand der Ehrenvorsitzende der AfD ein. 

Nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT soll der Brief überwiegend aus der Feder eines kürzlich für die Medienstrategie der AfD nach Berlin geholten Mitarbeiters stammen. Der Hinweis auf den rassistischen Tathintergrund im Fall Hanau sei auch auf Drängen von Parteichef Chrupalla eingefügt worden. Ausschlaggebend war unter anderem die Empörung inner- wie außerhalb der Partei über ein von der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion herausgegebenes „Malbuch für Erwachsene“, in dem klischeehaft fremde Kulturen verächtlich gemacht wurden. Nachdem Fraktionschef Markus Wagner die Kritik zunächst als „absurd“ und gegen die Kunstfreiheit gerichtet abgetan hatte, räumte er dies später als Fehler ein und ließ verlauten: „Das Buch hätte in dieser Form nicht erscheinen dürfen.“ Im Rundschreiben der AfD-Bundesvorsitzenden heißt es daher nicht ohne Grund: Wer sich „verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt ehrlos und unanständig und damit gegen Deutschland und gegen die AfD.“