© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Es kann nur einen geben
Christdemokraten: Aus der Führungskrise ist eine innerparteiliche Zerreißprobe geworden / Thüringer stellen Abgrenzung zur Linken in Frage
Jörg Kürschner

In Folge des Wahldesasters in Hamburg und des Pakts mit der Thüringer Linken ist in der CDU der Machtkampf um die Nachfolge von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und die Kanzlerkandidatur in vollem Gange. Nachdem das CDU-Präsidium AKKs Absicht widersprochen hatte, die Neuordnung der Parteiführung mittelfristig selbst „von vorn“ regeln zu wollen, überschlugen sich die Ereignisse. 

Der laut Umfragen populärste Bewerber Friedrich Merz sowie als Tandem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärten ihre Kandidaturen für die Parteiführung im Stundenrhythmus. Eine Woche zuvor hatte überraschend bereits Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen seinen Hut in den Ring geworfen. Damit hatte sich das Bemühen der scheidenden Parteichefin um eine „Teamlösung“ erledigt. Die Entscheidung über den Parteivorsitz soll auf einem Sonderparteitag am 25. April in Berlin fallen. Die CSU beharrte auf ihr Mitspracherecht bei der Nominierung eines gemeinsamen Kanzlerkandidaten.

„CDU ist in der größten  Krise ihrer Geschichte“

Bei der überstürzt angesetzten Bundespressekonferenz des Duos Laschet/Spahn stellten die beiden Bewerber den Gedanken der Volkspartei in den Vordergrund, die widerstreitende Interessen zusammenführen müsse. „Die Volksparteien sind nicht tot.“ Laschet beweise jeden Tag in Nordrhein-Westfalen seine integrativen Fähigkeiten, Liberale und Konservative zusammenzuführen, meinte Spahn, der in der CDU als Konservativer gilt. „Klar ist auch, es kann nur einen Parteichef geben.“ Er werde nicht antreten, sondern Laschet unterstützen. Ob der 39jährige Spahn als Mitglied eines Kabinetts Laschet oder CDU/CSU-Fraktionschef vorgesehen wäre, blieb offen. „Die CDU befindet sich in der größten Krise ihrer Geschichte“, analysierte er den Zustand seiner Partei. Diese drastische Aussage habe er sich lange überlegt, gestand er ein.

Beide Politiker machten deutlich, daß sie sich nach ihrer möglichen Wahl im April um ein einvernehmliches Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bemühen wollten. Deren Amtszeit ende im Herbst 2021, er richte sein Augenmerk auf die Zeit danach, fiel Laschets Antwort zu möglichen Konflikten zwischen Parteizentrale und Kanzleramt diplomatisch aus. Er habe Merkel aber nicht über seine Kandidatur und seinen Auftritt mit Spahn informiert, bemühte sich der 59jährige zugleich um Distanz. An der Ämtertrennung CDU-Vorsitz/Regierungschefin war AKK nach nur 14 Monaten gescheitert. Und an Mitbewerber Merz waren offenbar auch Gespräche über eine „Teamlösung“ gescheitert, jedenfalls seufzte Laschet tief auf die Frage nach der Teamfähigkeit seines Gegenspielers. „Fragen Sie ihn doch gleich selbst“, empfahl er schmunzelnd. Laschet hatte kaum seinen Stuhl geräumt, da stellte Merz klar: „Ein Team muß geführt werden.“ Die Alternativen des offenen Wettbewerbs seien nun „Kontinuität oder Aufbruch und Erneuerung“. Der Einzelkämpfer unterscheidet sich deutlich von dem integrativen Ansatz des Duos Laschet/Spahn. Eine „Richtungsentscheidung“ wolle er der CDU nicht ersparen, die zu einer stärkeren Betonung liberaler und konservativer Werte führen soll. Was ein Vorsitzender Merz auch durch Personen an der Parteispitze zum Ausdruck bringen würde. „Zu sehr verengt“ habe sich die Partei, so Merz’ Befund. Von einem Rechtsruck ist nicht die Rede, Merz spricht lieber von einer „Verbreiterung des Fundaments der CDU“. 

Die CDU als Partei der linken Mitte, sie wäre im Fall seiner Wahl wohl Geschichte. Selbstbewußt formulierte der 64jährige: „Ich spiele auf Sieg, nicht auf Platz.“ Überlegungen, als Laschets Parteivize anzutreten, hätten sich durch die Bildung des Tandems mit Spahn erledigt. Im Falle seiner Wahl will er eine Frau als Generalsekretärin vorschlagen.

Und wie würde ein Parteichef Merz mit seiner Intimfeindin Merkel zusammenarbeiten? Er mahnte eine „deutlichere und klarere Aufgabenverteilung“ an und nannte beispielhaft die Turbulenzen um die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen zum thüringischen Ministerpräsidenten. Die Intervention Merkels („unverzeihlicher Vorgang“) während einer Auslandsreise würde er sich als Parteichef nicht gefallen lassen. „Das ist Sache der Partei.“ 

Einen Grund für das Scheitern von AKK sieht er in ihrer fehlenden Autorität gegenüber der CDU-Landtagsfraktion in Erfurt. Wie Laschet schließt auch Merz jede Zusammenarbeit mit der Linkspartei aus. Baldige Neuwahlen seien für Thüringen das Beste. Die AfD empfindet Merz als „Provokation“. Stärker als Laschet macht er deutlich, daß er in der AfD den Hauptgegner der CDU sieht, dessen Stimmenanteil es zu halbieren gelte. Laschet hingegen hatte darauf hingewiesen, daß er die AfD in Nordrhein-Westfalen mit rund sieben Prozent „klein gehalten“ habe. Im übrigen habe die CDU erhebliche Stimmen auch an die Grünen verloren. Sicher nicht zufällig hat der als liberal geltende derzeitige CDU-Bundesvize im Falle seiner Kanzlerschaft eine Zusammenarbeit mit Umweltverbänden in Aussicht gestellt. Schon in den neunziger Jahren gehörte der Jungpolitiker Laschet zu der sogenannten Pizza-Connection, die zu Zeiten Helmut Kohls Kontakte zur Ökopartei gesucht hatte. Aus seiner Zeit als Integrationsminister in Düsseldorf haftet ihm der Spitzname „Türken-Armin“ an.

Ungeachtet der personellen Vorentscheidungen in der Bundesspitze bleibt die CDU in Thüringen offenbar bei ihrer Verabredung mit Rot-Rot-Grün. Danach ist im Ergebnis mehrerer Verhandlungsrunden vorgesehen, dem früheren Ministerpräsidenten Bodo Ramelow am kommenden Mittwoch wieder ins Amt zu verhelfen. Nach einem Gespräch mit der Bundes-CDU sprach Generalsekretär Raymond Walk von einer „ganz besonderen Ausnahmesituation“, die trotz kritischer Debatte anerkannt worden sei. 

Obwohl dem Linksblock vier Stimmen zur erforderlichen absoluten Mehrheit fehlen, soll die CDU nach dem Willen von Rot-Rot-Grün Ramelows Wahl im ersten Wahlgang sicherstellen. Vereinbart wurde zwischen der vierköpfigen CDU-Verhandlungsgruppe zudem, daß die CDU bis Ende 2020 nicht mit der AfD gegen Vorhaben einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung stimmen wird. Beide Seiten haben sich auch auf ein Investitionsprogramm für die Kommunen geeinigt. Neuwahlen sollen am 25. April des kommenden Jahres stattfinden. 

Mit dieser Tolerierung, die von der Linken als „Stabilitätsmechanismus“ umschrieben wird, würde die CDU im Erfurter Landtag gegen den Unvereinbarkeitsbeschluß der CDU verstoßen, der jede Zusammenarbeit mit der Linken und der AfD ausschließt. 





Von außen eingemischt – zu Recht?

Mit ihrer Aussage, die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit den Stimmen von CDU und AfD sei ein „unverzeihlicher“ Vorgang, dessen Ergebnis „wieder rückgängig gemacht werden muß“, habe Angela Merkel ihre Kompetenzen „eindeutig überschritten“, konstatierte der Staatsrechtler Dietrich Murswiek in der Schweizer Weltwoche. „Sie darf sich als Bundeskanzlerin nicht einmischen in die Regierungsbildung auf Ebene der Länder“, stellt der emeritierte Jura-Professor fest. Zwar habe Merkel das Demokratieprinzip nicht angetastet, da ja nach wie vor die Entscheidungen formal in Thüringen getroffen werden; durch den „massiven Druck“ jedoch, der auch unter Zuhilfenahme der Straße aufgebaut wurde, sei „das freie Mandat der Abgeordneten in Gefahr“, ist Murswiek überzeugt. Die Meinung der Bundesbürger dazu ist mehrheitlich allerdings eine andere. 41,2 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut Insa Befragten stimmen der Aussage zu, wonach es richtig sei, daß die Bundeskanzlerin „bezüglich der thüringischen Ministerpräsidentenwahl Einfluß auf die CDU Thüringen ausgeübt hat“. 31,5 Prozent widersprechen dieser Ansicht. Gegenläufig ist der Trend allerdings bei den Wählern von FDP und AfD. Bei den Wählern der Liberalen stimmen 33,8 Prozent der Aussage zu, Merkels Handeln sei richtig gewesen, eine relative Mehrheit von 44,7 Prozent stimmt nicht zu. Noch deutlicher fällt die Abweichung bei den AfD-Wählern aus: Lediglich 6,7 Prozent sehen hier Merkels Einflußnahme positiv, die deutliche Mehrheit von 82,7 Prozent lehnt es ab. Zum Vergleich: Die Wähler von CDU/CSU pflichten Merkels Aktion zu 64 Prozent bei, 21 Prozent stimmen der Aussage, das sei richtig gewesen, nicht zu. Fast genauso sehen das die Wähler von Linkspartei und Grünen: 61,2 beziehungsweise 60,6 Prozent stimmen zu, 23,3 bzw. 18,8 Prozent stimmen nicht zu. Auch regional gibt es Abweichungen vom Trend, der Aussage, Merkel habe richtig gehandelt, mit relativer Mehrheit zuzustimmen. Befragte im Westen sehen das zu 43,2 Prozent genauso, bei 29,8 Prozent Ablehnung. Anders im Osten: Hier teilen 32,7 Prozent die Ansicht, die Kanzlerin habe zu Recht Einfluß in Thüringen genommen, 38,9 Prozent tun dies nicht. (vo)