© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Ein Verbrechen wird ausgeschlachtet
Nach dem Amoklauf in Hanau: Hätte Tobias R. früher gestoppt werden können? / Einschlagen auf konservative Publizisten, Werte-Union und AfD
Ronald Berthold

Der Amokläufer von Hanau fühlte sich als Opfer. Dreimal erstattete Tobias Rathjen Anzeige – zuletzt im November beim Generalbundesanwalt. Ein „Geheimdienst“ habe seit seiner Geburt sein Gehirn besetzt, und das sei strafbar. Nach derzeitigem Kenntnisstand unternahmen die Beamten nichts, wirkten etwa vor dem Hintergrund seiner psychischen Auffälligkeit nicht darauf hin, seine Schußwaffen zu konfiszieren. Gleichzeitig haben Journalisten den Massenmord in einer in der Bundesrepublik bisher einmaligen Weise gegen liberal-konservative Publizisten, die AfD und die Werte-Union instrumentalisiert.

Rathjens Brief an die obersten Strafverfolger Deutschlands hatte fast denselben Wortlaut wie das Pamphlet, das er hinterließ und nun als „Bekennerschreiben“ durch die Medien geistert – aber keines ist. In keiner Zeile kündigt er ein Verbrechen an. Dennoch wirft der laxe Umgang damit Fragen auf.

„Parlamentarischer Arm   des Rechtsterrorismus“

Warum hat der Generalbundesanwalt keinen sozialpsychiatrischen Dienst eingeschaltet? Warum wurde der 43jährige nicht überprüft, der als Sportschütze mit Waffenbesitzkarte (seit 2013) ganz legal die Tatwaffe, eine Pistole des Typs Glock 17 im Kaliber 9 x 19 Millimeter, haben durfte? Hätten die Anschläge in Hanau und damit der Tod von elf Menschen verhindert werden können? Es kamen inklusive des Attentäters und dessen Mutter fünf Deutsche, ein Deutsch-Afghane, zwei Türken, je ein Rumäne, Bulgare und Bosnier ums Leben.

Auch die Rolle des Vaters ist noch unklar. Die Polizei holte Hans-Gerd unverletzt aus jener Wohnung, in der Tobias Rathjen seine Mutter und dann sich selbst erschoß. Nachdem die Beamten ihn zunächst als Zeugen vernahmen, schlossen sie jedoch nicht aus, daß er „tatbegünstigend“ auf seinen Sohn eingewirkt haben könnte. Der Mann, ein Betriebswirt, soll seine Nachbarn tyrannisiert, randaliert und die Behörden eingeschaltet haben. Er ist in Hanau bekannt, weil er im Ortsbeirat Kesselstadt 2011 für die Grünen kandidiert hatte.

Schon unmittelbar nach der Tat erweckten zahlreiche Journalisten den Eindruck, daß diese ihnen in einem Punkt nicht ganz ungelegen komme. Sie konnten ihr Mütchen am politischen Gegner – nicht nur von CDU-Mann Armin Laschet zum „Feind“ umdefiniert – kühlen. Als geistige Urheber machten sie vor allem die AfD aus. Sie gilt nun als der „parlamentarische Arm des Rechtsterrorismus“.

Aber dabei blieb es nicht. ZDF-Komiker Jan Böhmermann und Verleger Jakob Augstein schoben einträchtig den Publizisten Roland Tichy und Henryk M. Broder die Schuld zu. Augstein fügte noch Thilo Sarrazin hinzu. Vor allem die AfD schaffe „eine Grundlage“ für „genau dieses Gedankengut”, gab CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Ton vor. Damit meinte sie die wirre Welt des mutmaßlichen Mörders Rathjen (siehe nebenstehenden Text).

Wie der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), bezeichnete nicht nur Zeit- und taz-Autorin Seyda Kurt die Oppositionspartei als „den parlamentarischen Arm des rechten Terrors“. Zu keinem anderen Ergebnis kam der Professor an der Bundeswehr-Uni in München, Carlo Masala: „Die AfD und ihr Umfeld bereiten den Boden für solche Taten. Sie ist der parlamentarische Arm des Rechtsterrorismus.“

Obwohl im Rundumschlag gegen alles Nichtlinke auch die Journalisten des Axel-Springer-Verlags als „geistige Brandstifter“ (Autor O?uz Y?lmaz) herhalten mußten, schloß sich dessen Vorstandsvorsitzender, Mathias Döpfner, dem Mainstream an. Schon im Einstiegssatz seines Kommentars in der Welt meinte er: „Hanau zeigt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen AfD-Haßpredigern und rechtsextremen Gewalttaten.“ Er forderte: „Teile der AfD müssen – wie radikale Splittergruppen in anderen Parteien auch – konsequenter, umfassender und kritischer durch den Verfassungsschutz beobachtet werden.“ Daß die Partei demokratisch gewählt sei, „darf keine Entschuldigung für Untätigkeit sein. Demokratisch gewählt wurde schon so mancher in der deutschen Geschichte“. Die letzten Worte verlinkte Döpfner mit einem Artikel über den Wahlsieg der NSDAP 1930.

Die Welt-Redaktion nannte die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen dann auch folgerichtig in einem Atemzug mit dem Massenmord: „Die Geschehen in Hanau und Erfurt überschatten die Eröffnungsgala der Berlinale.“

FAZ-Herausgeber Berthold Kohler hieb in seiner Zeitung im Stil der Antifa auf die AfD ein: „Die Gaulands, Höckes und Klonovskys kann man nicht bekehren. Die haben Blut geleckt, die wollen mehr.“ Und weiter: „Wer AfD wählt, stärkt radikalen, völkischen Wahn in den Parlamenten und auf den Straßen. Er sollte auch nicht überrascht sein, wenn leicht verführbare Menschen – nützliche Idioten in einem neuen Sinn – das exekutieren, was Volksverhetzer wie Höcke mehr oder minder deutlich vordenken.“

Zur Forderung, alle Werte-Union-Anhänger aus der CDU auszuschließen und AfD-Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst zu „entfernen“, nutzte der Hamburger Kriminalwissenschaftler und frühere Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter André Schulz den Anschlag. Außerdem verlangte er: „Sofortige Beobachtung der gesamten Partei durch Verfassungsschutz und Verbotsverfahren einleiten!“

Belege, daß die AfD jemals zur Gewalt aufgerufen hätte, blieben alle schuldig. Noch bevor der Beschuß ihrer Partei richtig begonnen hatte, twitterten die Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alice Weidel und Alexander Gauland: „Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten den Opfern dieser grauenvollen Gewalttat und ihren Angehörigen. Den Verletzten wünschen wir eine schnelle Genesung.“ Aber das fand medial genauso wenig Beachtung wie die Tatsache, daß der Vater des Attentäters für die Partei kandidierte, der sich die meisten Journalisten verschrieben haben.

Unterdessen schrieben die beiden AfD-Bundessprecher, Tino Chrupalla und Jörg Meuthen, in einem offenen Brief an die Parteimitglieder: „Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußert, handelt ehrlos und unanständig.“





Pressezitate

Hanning Voigts in der Frankfurter Rundschau:

„Was es daher jetzt braucht, ist ein massiver Abwehrkampf gegen die Bedrohung von rechts. (...) Dazu gehört, daß die demokratischen Parteien alle Flirts mit der AfD einstellen und sich auf die Verteidigung der Demokratie konzentrieren müssen.“ (20. Februar)

Ingo Lierheimer beim Bayerischen Rundfunk:

„Denn genau in der Hetze der AfD gegen das Fremde, gegen unsere Gesellschaft, ihre Institutionen und Vertreter finden Einzelgänger wie in Hanau ihre Legitimation. “ (21. Februar)

Robert Misik in der taz:

„Natürlich hat Herr Höcke auch in Hanau nicht selbst den Abzug gedrückt. Das machen dann immer andere (...).“ (21. Februar)