© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Das konnte doch keiner ahnen
Grundrente: Union und SPD einigen sich auf Budget von 1,4-Milliarden Euro / Verwaltungsbehörden halten den Einführungszeitplan für unrealistisch
Paul Leonhard

Eines hat die Große Koalition mit ihrem Grundrentenmodell für Geringverdiener bereits erreicht: Millionen Deutsche sind verunsichert. Zumal die Einführung der Grundrente ab 1. Januar kommenden Jahres schon wieder in Zweifel gezogen wird: Zur Zeit können noch keine individuellen Beratungen erfolgen“, wiegelt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auf ihrer Internetseite ab. „Für die endgültige Ausgestaltung der Grundrente muß das weitere Gesetzgebungsverfahren abgewartet werden.“ Trotzdem fühlt sich die Versicherung nicht zu Unrecht diesbezüglich als erster Ansprechpartner und hat für das Wichtigste einen Fragen- und Antwortenkatalog erstellt.

Gleichzeitig wird versucht zu beruhigen: „Rentnerinnen und Rentner müssen derzeit nichts unternehmen, um die Leistung zu erhalten. Ein Antrag ist derzeit weder erforderlich noch möglich.“ Tatsächlich hat das Bundeskabinett am 19. Februar – nach monatelangem Streit vor allem über eine Bedürftigkeitsprüfung – lediglich einen Gesetzentwurf zur Grundrente verabschiedet, dem überdies Bundesrat und Bundestag noch zustimmen müssen.

„Insgesamt werden rund fünf Prozent der Versichertenrenten über eine Grundrente aufgestockt, wobei der Anteil bei den Männern rund drei Prozent und bei den Frauen rund sieben Prozent beträgt“, heißt es im Gesetzentwurf. „Etwa drei Viertel der Berechtigten leben in den alten und etwa ein Viertel in den neuen Bundesländern.“

Als einen „richtigen und wichtigen sozialpolitischen Schritt“ und „notwendigen Beitrag im Kampf gegen Altersarmut“ feierte Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) den Gesetzesentwurf, der das „Vertrauen in den Sozialstaat“ stärke. Er dürfte aber auch das letzte Wahlgeschenk von Schwarz-Rot für Geringverdiener sein, allerdings eines, das den Steuerzahler 2021 1,4 Milliarden Euro kosten soll – angesichts von 362 Milliarden Euro Bundeseinnahmen eigentlich „Peanuts“. Zur Zeit sieht es aber danach aus, daß nachdem Union und SPD zu einem Kompromiß gefunden haben, sich die Verwaltung querstellt. Die „erheblichen fiskalischen Zusatzlasten“, wie das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft warnt, fallen wohl ohnehin später an.

Als sei er von den Absichten der Regierung völlig überrascht worden, teilt der Arbeitskreis Personalvertretung der Rentenverwaltung mit, daß der Zeitplan völlig unrealistisch sei: „Mehrere tausend neue Stellen sind erforderlich, deren Besetzung den Kauf oder das Anmieten von neuen Büroräumen – überwiegend in Ballungsgebieten – zur Folge haben kann. Zusätzlich muß die technische Infrastruktur geschaffen werden“, heißt es in einem Brief der Arbeitsgruppe Personalvertretung der Deutschen Rentenversicherung an Sozialminister Heil und die Fraktionsvorsitzenden der Union und SPD, aus dem die FAZ zitiert. Man bitte daher „dringend um eine verwaltungspraktikable Ausgestaltung der geplanten Grundrente“. Die DRV verweist auf ihre Erfahrungen mit der Riesterrente und der Mütterrente und fordert dem Bericht zufolge eine Vorlaufzeit von mindestens zwei Jahren.

Geringverdienern den Gang zum Sozialamt ersparen

Widerstand gibt es auch seitens des CDU-Wirtschaftsrates. Die Unionsfraktion im Bundestag müsse den „unausgegorenen Gesetzesentwurf der SPD geschlossen zurückweisen“, verlangt Generalsekretär Wolfgang Steiger. Die Umsetzung der Grundrente, mit der kleine Renten im Schnitt um 70 bis 80 Euro monatlich aufgestockt werden, sei in ihrer jetzigen Form bis 2021 nicht zu schaffen. Die SPD sieht das Behördenproblem zwar auch, weiß aber eine Lösung: das Streichen der von der Union und Arbeitgeberverbänden durchgesetzten Einkommensprüfung. Ohne diesen „monströsen bürokratischen Aufwand“ könne die Grundrente zum 1. Januar problemlos eingeführt werden, so der rentenpolitische Sprecher der Linken, Matthias Birkwald. „Dann hätten gut drei Millionen Menschen etwas von der sogenannten Grundrente und nicht nur 1,1 bis 1,3 Millionen.“

Die Einkommensprüfung soll aber sichern, daß tatsächlich nur sozial Bedürftige die Grundrente erhalten. Berechtigt sind all jene, die mindestens 33 Jahre Beiträge für Beschäftigung, Erziehung oder Pflege eingezahlt haben, deren Verdienst aber nicht hoch genug für eine auskömmliche Rente war. Es geht also um die Würdigung einer Lebensleistung, die den Gang zum Sozialamt erspart. Wer Anspruch auf die Grundrente hat, soll durch einen automatischen Datenabgleich mit den Finanzämtern ermittelt werden. Aber auch für diesen fehlen noch die technischen Voraussetzungen.

Ein wenig Aufschub ohne eigenen Gesichtsverlust käme der Bundesregierung zupaß. Schließlich steht auch die Gegenfinanzierung noch nicht. Denn Heil will für die Grundrente kein Geld aus der Rentenversicherung nutzen, sondern die Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer. Die gibt es aber noch nicht, da sich andere EU-Länder gegen diese Steuer sperren.

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