© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Deutsche Meistererzählungen vom „Sommer der Migration“
Bedrohung oder Bereicherung
(ob)

Der Sommer 2015 hat gute Chancen, als ‘langer Sommer’ der Migration in die deutsche und europäische Geschichte einzugehen.“ Allerdings stünden sich, wie der Neuzeithistoriker Joachim C. Häberlen (University of Warwick) zu bedenken gibt, zwei recht konträre „Meistererzählungen bundesrepublikanischer Geschichte“ gegenüber: „Flüchtlingskrise“ versus „Willkommenskultur“ (WerkstattGeschichte, 27/2019). Nicht zufällig seien es Historiker wie Heinrich August Winkler, Alexander Demandt oder Manfred Hettling gewesen, die die afroorientalische Massenzuwanderung frühzeitig als krisenhafte Bedrohung für die gesamte „politische Kultur des Westens“ interpretiert hätten. Dafür sei sogar die Parallele des Untergangs bemüht worden, wie ihn das Römische Reich zur Völkerwanderungszeit erlebte. Nicht hilfreich sei auch Hettlages Hinweis auf die gelungene Integration der Vertriebenen aus den Ostprovinzen, „weil sie Mitglieder der gemeinsamen deutschen Nation waren“. Solche „Lehren aus der Geschichte“ taugten nichts und würden lediglich herangezogen, um „Fremde aus anderen Kulturkreisen“ als Bedrohung darzustellen. Allerdings kranke auch das Narrativ der „Willkommenskultur“ mit „rührenden Büchern“ und seiner entpolitisierenden, naiven „Rhetorik der Humanität“ daran, keinen konstruktiven Beitrag zur Integration der „Neubürger“ leisten zu können. 


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