© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Bis die Weinflaschen flogen
Einem Zwischenfall mit französischen Offizieren im Berliner Hotel „Adlon“ folgte eine bilaterate Krise der Kriegsgegner
Jürgen W. Schmidt

Die französisch dominierte und vom französischen Divisionsgeneral Nollet geleitete Interalliierte Militärkontrollkommission hatte in den nicht besetzten Teilen Deutschlands die Umsetzung der Festlegungen des Versailler Vertrags zwecks Demilitarisierung zu überwachen. 

Besonders die französischen und belgischen Offiziere dieser Kommission traten dabei oft herausfordernd und scharfmacherisch auf, während die englischen, italienischen und japanischen Offiziere umgänglicher agierten. Besoldet, und zwar großzügig, wurden die Mitglieder dieser Kommission vom Kriegsverlierer Deutschland. Am Abend des 6. März 1920 kam es im Berliner Nobel-Hotel „Adlon“ zu einem Vorfall, der kurzzeitig Frankreich und Deutschland heftig erregte. An diesem Abend ertönte im Gastsaal des „Adlon“ auf Wunsch eines später nicht mehr festzustellenden Hotelgastes seitens der hauseigenen Kapelle unter Kapellmeister Stern das „Deutschlandlied“. 

Obzwar damals noch nicht als offizielle deutsche Nationalhymne anerkannt, erhoben sich während des Vorspielens spontan alle anwesenden Deutschen inklusive der anwesenden russischen und amerikanischen Gäste. Nur am Tisch 43, an welchem die beiden französischen Hauptleute Klein und Rougevin mit ihren Gattinnen und dem französischen Diplomaten Helonis tafelten, nahm man davon keine Kenntnis. Als immer lauter an sie gerichtete Rufe „Aufstehen“ ertönten, steckte ein Offizier sitzend demonstrativ die Hände in Hosentaschen, während sich der andere ebenso demonstrativ eine Zigarette ansteckte. Darauf begannen zuerst Kerzen, danach Aschenbecher und sogar Weinflaschen in Richtung von Tisch 43 zu fliegen. Spontan entwickelte sich eine handgreifliche Auseinandersetzung, in deren Folge die beiden französischen Offiziere mit zerrissener Kleidung gewaltsam aus dem Saal entfernt wurden. 

Der erste große politische Prozeß der jungen Republik

Vor Gericht gab der französische Hauptmann Klein an, viele Faustschläge eingesteckt, aber selbst auch kräftig ausgeteilt zu haben. Die Damen der beiden Offiziere wurden indessen unbelästigt durch Hotelpersonal aus dem Saal geleitet, und der Diplomat Helonis hatte sich gleich zu Beginn der brenzligen Situation schnell vom Ort des Geschehens entfernt. Am Folgetag schäumte General Charles Nollet, und mit ihm ganz Frankreich, vor Wut, und er forderte eine offizielle Entschuldigung der deutschen Regierung sowie die strenge Bestrafung aller Schuldigen. 

Die offizielle Entschuldigung der deutschen Regierung folgte prompt, und Reichskanzler Hermann Müller (SPD) übte sogar persönlich Druck auf den preußischen Justizminister zwecks Bestrafung der Schuldigen aus, weshalb die Berliner Politische Polizei intensive Ermittlungen und Zeugenbefragungen durchführte. Doch wie so oft in solchen Fällen von Massentumult widersprachen sich die vielen befragten Zeugen in fast allem ganz gravierend. Der Anstifter des Vorfalls wie auch die direkten Täter waren nicht mehr zweifelsfrei zu ermitteln. 

Dagegen schossen sich die demokratische Berliner Presse, die regierende SPD und die vielen seit November 1918 in Deutschland existierenden Republikaner auf die Person des an diesem Abend zufällig im Hotel „Adlon“ anwesenden Prinzen Joachim Albrecht von Preußen aus einer Nebenlinie der Hohenzollern ein. Unter heftigem französischen Druck wurden der Prinz Joachim Albrecht von Preußen, der Erbprinz von Hohenlohe-Langeburg sowie ein Rittmeister a. D. von Platen zuerst in eine knapp einmonatige „Schutzhaft“ genommen und alle drei am 16. April 1920 wegen „Nötigung“ beziehungsweise Körperverletzung unter Anrechnung der erlittenen Haft vom Landgericht I Berlin zu Geldstrafen von zwischen 300 und 1.000 Mark verurteilt. Dies war der der erste große Prozeß der neuen Weimarer Republik, welcher zum Erschrecken vieler Juristen überaus deutlich erkennen ließ, daß Urteile in sogenannten „politischen Prozessen“ nunmehr unter starkem politischen Druck auf die Richter gefällt würden.