© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Effizientere Proteine
Harvard-Genetiker kreieren einen Organismus, der gegen Viren immun ist
Dirk Glaser

Ob das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), das neue Coronavirus Sars-CoV-2 oder der jährliche Grippeerreger – in jedem Fall ist ein Virus ein biologischer Apparat, der sich nur innerhalb einer geeigneten Wirtszelle vermehren kann, von der er sich kopieren läßt. Dazu greift das Genvehikel eine bakterielle, tierische oder menschliche Zelle an und injiziert seine DNA. Die vom Virus gekaperte Zelle beginnt daraufhin, anhand dieses fremden Bauplans, zahllose Kopien des Eindringlings anzufertigen.Die Zelle bildet neue virale Proteine und platzt mitunter innerhalb von Minuten. So setzt sie die vervielfältigten Kopien des Virus frei, die wiederum andere Zellen befallen. Zelle für Zelle wird der Organismus geschwächt. Nicht nur bei krankheitserregenden Viren funktioniert diese feindliche Übernahme.

Gehäuse mit erweiterter synthetischer Funktionalität

Alle Organismen verwenden dasselbe Codiersystem, das auf den Nukleinsäuren der DNA basiert. Wie der US-Wissenschaftsjournalist Rowan Jacobsen berichtet, legen Forscher von der Harvard Medical School aber Hand an, um dem einen Riegel vorzuschieben (Spektrum der Wissenschaft, 9/19). Unter der Leitung der Biologin Nili Ostrov ist ein Bakterium der Art Escherichia coli gentechnisch umprogrammiert worden. Zum ersten Mal im „ewigen Zweikampf zwischen Virus und Zelle“ könne die manipulierte Zelle die Virus-DNA darum nicht mehr lesen, und deshalb auch nicht mehr vervielfachen. Die zelluläre Maschinerie sei damit immunisiert und des Angreifers – vielleicht für immer – entledigt.

Ein künstlicher Organismus, dem kein Virus etwas anhaben kann: das ist das Ziel des bisher aufwendigsten Gen-Editierungs-Projekts der Medizingeschichte. Ostrovs Team änderte dazu 148.955 DNA-Abschnitte des Bakteriums, um die Zelle vor Viren zu schützen. So verlasse demnächst, wie Ostrov schwärmt, „ein einzigartiges Gehäuse mit erweiterter synthetischer Funktionalität“ ihr Labor, um in der Biotechnologie breite Anwendung zu finden. Denn mit Hilfe ihrer umcodierten Mikroben ließen sich neue Arten von Proteinen produzieren. Was für die Wirkstoffentwicklung ein Segen sei, da sie die Effizienz vieler Proteine in Krebsmedikamenten und Immuntherapeutika steigern würden.

Soweit wie der Harvard-Genetiker George Church, zu dessen Arbeitsgruppe Ostrov gehört, die Vision umcodierter virusresistenter menschlicher Zellen verfolgt, betonen Kritiker jedoch eher den Fluch als den Segen des Projekts. Vor unkalkulierbaren „schwerwiegenden Nebenwirkungen“ des „Umschreibens des menschlichen Genoms“ warnte deshalb der Virologe Vincent Racianello von der Columbia University.

 wyss.harvard.edu

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