© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/20 / 28. Februar 2020

Gras bringt Moos
Cannabis: Nach den USA wächst auch in Deutschland der Markt für berauschende Produkte / Der Staat verdient mit
Boris T. Kaiser

Die Forderung nach der Legalisierung sogenannter weicher Drogen spaltet seit jeher die politischen und gesellschaftlichen Lager. Dabei zieht sich die unterschiedliche Positionierung nicht nur entlang der klassischen Trennlinien zwischen links und rechts oder liberal und konservativ. Vielmehr gibt es auch innerhalb der einzelnen Strömungen sehr unterschiedliche und individuelle Haltungen. 

Die Befürworter der Freigabe von Cannabis gehen längst weit über das übliche linksgrüne „Kiffer-Milieu“ hinaus. Vor allem in den USA, wo Staaten wie Kalifornien oder Colorado die Legalisierung der Droge bereits vollzogen haben, findet die Maßnahme Unterstützer bis weit in die Reihen der republikanischen Wählerschaft. Insbesondere für einige junge libertäre Trump-Fans ist das Recht auf Rausch inzwischen fast so selbstverständlich wie das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Waffenbesitz. Dies dürfte auch daran liegen, daß der Verkauf der Hanf-Produkte ein riesiges Geschäft ist. 

So wurde Gras in den USA, entgegen den Erwartungen vieler Konsumenten, durch die große Nachfrage im Zuge der Legalisierung erst einmal deutlich teurer. Die Preissteigerungen waren so stark, daß viele Kunden mittlerweile wieder auf dem Schwarzmarkt kaufen, wo man für Rauschmittel mitunter nur ein Zehntel dessen zahlt, was es im öffentlichen Coffeeshop kostet. 

Auch der Fiskus verdient kräftig mit am Drogenverkauf. Einige Staaten schlagen bis zu 45 Prozent auf den Verkaufspreis im legalen Geschäft obendrauf. Dies führt zu der schier unglaublichen Situation, daß in den Graslagern in den USA und Kanada Hunderte Tonnen des Stoffs ungenutzt vor sich hingammeln. Die Aktienkurse der Hanfunternehmen sind, nach einem ersten Mega-Boom zu Beginn der Legalisierung, im Jahr 2019 um mehr als 30 Prozent gefallen. Damit das 2020 wieder anders wird, investiert die Marihuana-Lobby Millionen von Dollar, um politisch gegen die hohen Steuersätze und die noch vorhandenen gesetzlichen Beschränkungen des Marktes mobil zu machen. Hinzu kommen neue CBD-Produkte und Firmen.

Auch in Deutschland werden die Rufe nach einer Legalisierung immer lauter. Dabei ist die Freigabe in den letzten Jahren weit vorangeschritten. So kann Cannabis bereits zur Behandlung schwerer Krankheiten, wie Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzen, verordnet werden. Aber auch zur Linderung von Schlafstörungen, Migräne, ADHS und vieler weiterer Erkrankungen darf Cannabis inzwischen verschrieben werden. Die Betonung liegt hier allerdings auf „darf“. In der realen Praxis sind viele deutsche Ärzte, sehr zum Ärger der Hanf-Lobby und vieler Patienten, aktuell noch sehr zurückhaltend mit der Ausstellung eines entsprechenden Rezepts.

Die Wirkung ist umstritten

Aber auch wer keins der begehrten Betäubungsmittelrezepte bekommt, kann Cannabis legal erwerben; wenn auch nicht in seiner berauschendsten Variante. Cannabidiol (CBD), ein nicht-psychoaktives Cannabinoid aus dem weiblichen Hanf, ist gerade dabei den deutschen Markt im Sturm zu erobern. Ganz vorne dabei das Berliner Start-up „Sanity Group“, das den Stoff mit seiner Beauty-Marke „Vaay“ in Form von Ölen, Mundsprays, Inhalatoren und anderer Konsummöglichkeiten unter das Volk bringt und zu dessen internationalen Investoren unter anderem der US-Rapper Snoop Dogg und der Musikmanager und Justin-Bieber-Entdecker Scooter Braun gehören. Das Unternehmen strebt an, die größte CBD-Marke Europas zu werden. 

Schon jetzt soll es das Kölner Konkurrenz-Start-up „Cannamedical“ um YouPorn-Gründer Fabian Thylmann, das im vergangenen Jahr 15 Millionen Euro von seinen Geldgebern generieren konnte, um rund fünf Millionen überholt haben.

Bei einer Erhebung des Bundesamts für Gesundheit gaben drei von zehn der insgesamt mehr als 1.500 Befragten an, fast täglich CBD zu konsumieren. Neben speziellen CBD-Shops verkaufen mittlerweile auch viele Supermärkte, Apotheken und Drogerieketten CBD-haltige Produkte, zum Beispiel gegen Menstruationsbeschwerden oder Schlafstörungen. Wobei die Dosis der Substanz oft so gering ist, daß deren Wirksamkeit wissenschaftlich umstritten ist. Einige Cafés bieten trotzdem ihren Kaffee mit CBD-Schuß an, und auch ein Branchenverband Cannabiswirtschaft hat sich bereits gegründet. Immerhin: Da in CBD-Öl allenfalls ein sehr geringer Anteil an Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten ist, birgt es laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kein Sucht- oder Mißbrauchspotential. 

Allerdings warnen deutsche Kritiker vor der jugendlichen Präsentation, beispielsweise bei CBD-Kaugummis oder -Schokoladen, die besonders Kinder gefährden würde. Hersteller müssen laut Beschluß des EU-Parlaments für jedes CBD-Produkt eine Zulassung als Arzneimittel oder als Lebensmittel beantragen und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) muß die Sicherheit der Erzeugnisse überprüfen.