© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Ist der beschlossene Kohleausstieg teilweise verfassungswidrig?
Große Prozeßrisiken
Marc Schmidt

Die Bundesregierung bleibt ihrer Linie treu, im Energiebereich keine völlig rechtskonformen Gesetze vorzulegen. So umfaßt auch der aktuelle Entwurf zum Kohleausstiegsgesetz – wie zuvor beim Atomausstieg und trotz Kommissionen sowie diversen Gipfeln – Ansatzpunkte für erfolgversprechende Klagen, insbesondere seitens der Kraftwerksbetreiber.

Deren Rechtsgutachten monieren grundgesetzwidrige Eingriffe durch Stillegungszwänge ohne angemessene Fristen und Entschädigungen. In der Entschädigungsfrage sollen Braun- und Steinkohlekraftwerke unterschiedlich behandelt werden. Betreiber von Braunkohlekraftwerken in strukturschwachen Regionen erhalten Milliarden-Entschädigungen. Diese werden den Steinkohlependants ohne belastbare Begründung nicht zugebilligt. Vielmehr müssen sie, wenn sie nicht ab 2027 riskieren wollen, entschädigungslos enteignet und abgeschaltet zu werden, an einem bis 2026 begrenzten und in der Höhe gedeckelten Auktionsverfahren teilnehmen. Auch ohne tiefe wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse leuchtet ein, daß die Betreiber alte, voll abgeschriebene Kraftwerke weiterlaufen lassen, für die wenig Entschädigung zu erwarten gewesen wäre. An den Abschaltauktionen werden die umweltfreundlichen neueren Kohlekraftwerke teilnehmen, die sonst einen Gesamtverlust bei Enteignung und Frühabschaltung einbringen würden.

Da für diese jüngeren Kraftwerke teilweise langfristige Kohleabnahme-, Fernwärme- und Stromlieferverträge bestehen, ist der Gesetzentwurf auch ein Eingriff in die Rechte Dritter, die nicht entschädigt würden. Steinkohlekraftwerke, die für die Stabilität der Energienetze unverzichtbar sind, sind von den Abschaltauktionen ausgenommen, werden jedoch nicht von der entschädigungslosen Abschaltung nach 2026 befreit. Beschließt die Bundesregierung den aktuellen Entwurf, ist wieder einmal nicht die Stromversorgung, aber das milliardenschwere Prozeßrisiko für den Steuerzahler sicher.