© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Frankfurter Charmeoffensive
Geldpolitik: Ausgleich für Sparerverluste? / EZB wirbt um Vertrauen / Beschränkung ihres Mandats notwendig
Dirk Meyer

Null- und Negativzinsen liegen wie zäher Nebel über den Geldanlagen. Sie trüben nicht nur den Blick auf bislang gültige ökonomische Zusammenhänge und eine wirkungsvolle geldpolitische Steuerung. Sie lasten auf Sparern, die ihr Geld auf Konten liegen haben oder Lebensversicherungs- und Bausparverträge befüllen. Zum einen haben Trends wie die erhöhte Sparneigung alternder Gesellschaften („Sparschwemme“), eine niedrige Produktivität und ein geringes Wachstum für fallende Realzinsen gesorgt.

Zum anderen haben die massiven Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB, günstige Zentralbankkredite für Banken und der negative Zentralbank-Einlagenzins für das nicht abgerufene Zentralbankgeld der Banken die Zinsen gedrückt. Gemäß verschiedener Studien wirkt die „außergewöhnliche Geldpolitik“ der EZB mit -0,4 bis -1,3 Prozentpunkten auf den Kapitalmarktzins der Eurozone. Bei Einlagen deutscher Sparer und Unternehmen von insgesamt 3.648 Milliarden Euro verursacht die EZB damit einen jährlichen „Zinsschaden“ von etwa 15 bis 47 Milliarden Euro.

Weitaus größere Schäden gehen mit den unerwünschten Nebenwirkungen einher. In ihren Finanzstabilitätsberichten (2019) weisen Bundesbank und EZB ausdrücklich auf Risiken für die Finanzmarktstabilität hin. So sieht die Bundesbank im Bankensektor die Kreditrisiken unterschätzt, da die Zinsrisiken deutscher Banken aufgrund der ausgeweiteten Fristentransformation (langfristige Kredite werden durch kurzfristige Einlagen finanziert) hoch seien.

Vertrauen ins Geldsystem in Frage gestellt

Zudem würden die Werthaltigkeiten von Kreditsicherheiten (etwa Immobilien) überschätzt. Die EZB hebt eine geringe Profitabilität der Banken und den Risikoappetit von Kapitalsammelstellen (Versicherungen, Fonds) hervor. Als Wachstumsbremse wirkt eine „Zombifizierung“ (JF 51/19 ) der Wirtschaft: Unproduktive, hochverschuldete Firmen werden durch billige Bankkredite künstlich am Leben erhalten, um Kreditausfälle zu vermeiden. Arbeitnehmer und Kapital werden so gebunden und können nicht in produktive Verwendungen wandern. Der Wettbewerb erlahmt. Schließlich verliert die EZB durch einen Negativzins ihre Steuerungsfähigkeit in zukünftigen Krisen, da eine weitere Absenkung des Zentralbankzinses die Zinsspanne bei Banken weiter reduziert und zur Bargeldhortung führt. Der sogenannte Umkehrzins, bei dem die negativen Effekte einer Zinssenkung überwiegen, scheint erreicht.

Der Euro als Papierwährung ohne inneren Eigenwert beruht einzig auf dem Vertrauen, daß auch zukünftig seine Anerkennung im Wirtschaftsverkehr und seine Kaufkraft gewahrt bleiben. Offensichtlich diskreditieren sich Zentralbanken zunehmend als vertrauensschaffende Institution selbst, indem immer mehr Bürger ihr Vertrauen in unser Geldsystem in Frage stellen. Dies zeigen mögliche Alternativwährungen wie Bitcoin sowie die Diskussionen um das „Stable Coin“ Libra und den digitalen Krypto-Euro (JF 41/19). Mit einer Charmeoffensive wird versucht, gegenzusteuern: „Wenn die Menschen immer wieder hören, daß die EZB ihnen mit ihrer Politik schade, ist das irreführend und gefährdet das Vertrauen. Das macht mir Sorgen“, erklärte die frühere Wirtschafsweise und neue EZB-Direktorin Isabel Schnabel in der Welt. Und Bundesbankpräsident Jens Weidmann kündigt an, daß die Notenbank „mehr zuhören“ will. Doch das sind wünschenswerte, aber keine hinreichenden Bedingungen einer stabilen Euro-Währung.

Verbot von Negativzinsen verfassungskonform?

EZB-Chefin Christine Lagarde sieht Negativzinsen „unter den gegenwärtigen Umständen als rein positiv“ – was die Politik herausfordert: So schlägt die CSU-Landesgruppe ein kostenloses Basiskonto für jeden Verbraucher vor – ohne den Hinweis, daß die jetzt schon gebeutelten Banken mit neuen Gebühren für Kontodienstleistungen (Barein- und Auszahlungen am Schalter, Geldautomatennutzung) reagieren werden. Ein weiterer Vorschlag ist die Wiedereinführung einer fünfjährigen Spekulationsfrist für private Wettpapiergeschäfte, die jetzt der Abgeltungssteuer von 25 Prozent unterliegen. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder rät gar zu einem Verbot von „Strafzinsen“ auf Guthaben bis 100.000 Euro.

Auf Anweisung von Olaf Scholz (SPD) prüft das Bundesfinanzministerium seit August 2019, ob ein Verbot von Negativzinsen verfassungskonform sei – bislang ohne Ergebnis. Nach einem Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) sind hier Negativzinsen nicht erlaubt – ein bevormundender Eingriff in die Vertragsfreiheit. Seitens des Bundesfinanzministeriums werden außerdem eine Erhöhung des Sparerfreibetrages um 50 auf 851 Euro (Mindereinnahmen: 50 Millionen Euro jährlich) und ein Sonderausgabenabzug von 30 Euro für Altersvorsorgeprodukte als neuer Pauschbetrag (Mindereinnahmen: 170 Millionen Euro jährlich) diskutiert. Vergleicht man diesen Steuerausfall mit dem „Zinsschaden“, so gleichen diese eher „Peanuts“. Steuersystematisch wäre zu fordern, das „Verwahrentgelt“ (Negativzins) klar als negative Einkommenserzielung zu benennen und diese entsprechend steuermindernd anzuerkennen. Außerdem sollten die Werbungskosten aus Kapitalanlagen wieder unbegrenzt zugelassen werden.

Die Diskussion um eine Entschädigung bzw. Entlastung der Sparer geht jedoch in die falsche Richtung. Sie können nur Symptome kurieren, ohne das Grundübel zu beseitigen – die Mandatsüberschreitung der EZB. Geschützt durch ihre bewußt geschaffene, formale Unabhängigkeit von Regierung und Parlament soll die EZB die Preisstabilität sichern (Artikel 127 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Dies gelingt ihr überaus erfolgreich.

Darüber hinaus übernimmt sie aber Aufgaben, für die sie nicht autorisiert ist: Staatenrettungen, die Sicherstellung eines subventionierten Kreditzugangs hoch verschuldeter Staaten und demnächst gegebenenfalls die Klimarettung durch einen bevorzugten Ankauf „Grüner Anleihen“. Da die Unabhängigkeitsposition der EZB nicht demokratisch kontrolliert wird, sollte ihr der Handlungsrahmen enger vorgegeben werden. Beispielsweise könnte ihr Instrumentenkasten enger definiert werden, um Risiken zu vermeiden. In diesem Sinne dürfte die Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichtes in Sachen „Anleihenkaufprogramm der EZB“ am 24. März von hohem Interesse sein.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





„Verwahrentgelte“ für Girokonten?

Die Sparkasse Vogtland ist mit jährlich 136 Euro für Girokonto und Mastercard kein Billiganbieter. Doch nach 175 Jahren wollte das Geldinstitut erstmals sogar ein „Verwahrentgelt“ einführen – für Neukunden mit einem Kontostand von über 5.000 Euro. Die Verbraucherzentrale Sachsen (VZS) schlug Alarm – nach dem Motto: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! Und die mit 114.000 Konten eher kleine Sparkasse knickte ein: Die Berechnung der Negativzinsen von minus 0,7 Prozent für die ab Februar eröffneten Konten wurde vorerst ausgesetzt. Minuszinsen sind derzeit in Deutschland bei Kontoständen ab 100.000 Euro üblich. Und das Landgericht Tübingen urteilte 2018, daß Verwahrentgelte bei gebührenpflichtigen Girokonten nicht erlaubt seien (Az. 4 O 187/17 und 4 O 225/17). Doch was ist, wenn mit Einlagen kein Geld mehr zu verdienen sei, klagte Ralf Oberdorfer, FDP-Oberbürgermeister von Plauen in der Freien Presse. „Zunehmend würden Kunden anderer Banken ihre Guthaben bei der Sparkasse abparken“, so der Chef des öffentlich-rechtlichen Zweckverbands für die Sparkasse Vogtland. (fis)