© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Am Ende werden alle nur verlieren
Europäischer Grüner Deal: Der Vorschlag der EU-Kommission zum „klimaneutralen“ Umbau der Wirtschaft entzweit Europa
Josef Hämmerling

Am europäischen Wesen soll die Welt genesen: So könnte man den kürzlich von der EU-Kommission verabschiedeten „Grünen Deal“ bezeichnen, der besonders in Deutschland Zustimmung in Politik und Industrie findet. Durch drastische Veränderungen in praktisch allen Bereichen des öffentlichen Lebens sollen die EU-Länder nach Wunsch von Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen bis 2050 „klimaneutral“ sein. Hierzu wurden zehn Maßnahmen beschlossen, darunter eine „Industriestrategie für eine saubere und klimaorientierte Wirtschaft“, eine „intelligente Mobilität“, die Berücksichtigung von Umweltbelangen in der Gemeinsamen Agrarpolitik, der Schutz der Biodiversität, ein Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstoffreie Umwelt sowie die Einbeziehung der Nachhaltigkeit in alle Politikbereiche der EU.

Ausgaben für Klimaschutz um 60 Prozent aufstocken

Für jede dieser Maßnahmen, die bis 2030 insgesamt eine Billion Euro verschlingen und durch Umverteilungen in den Haushalten finanziert werden sollen, sieht die EU-Kommission einen konkreten Zeitplan vor: So soll es zum Beispiel im März 2020 einen konkreten Vorschlag für ein europäisches „Klimagesetz“ zur Verankerung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050 geben. Bis zum Sommer soll es einen umfassenden Plan zur Anhebung des Klimaziels der EU für 2030 „auf mindestens 50 Prozent mit Tendenz zu 55 Prozent in verantwortungsvoller Weise“ geben. Und im schönsten EU-Deutsch heißt es, daß bis zum Juni 2021 „Vorschläge für die Überarbeitung der einschlägigen Legislativmaßnahmen zur Erreichung der ambitionierteren Klimaschutzziele im Anschluß an die Überprüfung der Richtlinie über das Emissionshandelssystem, der Lastenverteilungsverordnung, der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft, der Energieeffizienz-Richtlinie, der Erneuerbare-Energie-Richtlinie und der CO2-Emissionsnormen für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge“ feststehen sollen. Immerhin bis zum Juni 2021 will sich die EU Zeit mit der „Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie“ lassen.

So geht es weiter: über die „Initiative ‘Renovierungswelle’ für den Bausektor“ (2020), „Initiativen zur Förderung von Leitmärkten für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte in energieintensiven Industriezweigen“ (ab 2020), den „Vorschlag für strengere Grenzwerte zu Luftschadstoffemissionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor“ (2021) über „Maßnahmen zur Förderung entwaldungsfreier Wertschöpfungsketten“ (ab 2020), der „Ermittlung von Unstimmigkeiten in Rechtsvorschriften durch die Interessenträger und Beseitigung dieser Unstimmigkeiten, die die Wirksamkeit der Umsetzung des europäischen Grünen Deals beeinträchtigen“ (ab 2020) bis hin zur „Überprüfung der Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und der Verordnung über das transeuropäische Verkehrsnetz“ (2021) und „Initiativen zur Erhöhung und besseren Verwaltung der Kapazitäten des Schienenverkehrs und der Binnenwasserstraßen“ (ab 2021).

Hierzu will die EU-Kommission im nächsten langfristigen EU-Haushalt 2021–2027 die Mittel für Umwelt- und Klimapolitik um knapp 60 Prozent erhöhen und den Klimaschutz in alle wichtigen EU-Ausgabenprogramme integrieren. Einer Umfrage zufolge unterstützen 48 Prozent der Deutschen diese Ausrichtung des EU-Haushalts auf den Klimaschutz und sind der Ansicht, daß die finanziellen Mittel der EU ihren politischen Zielen entsprechen sollten.

Beim Eurobarometer wurden die Bürger auch gefragt, wie sie die Maßnahmen gewichten, mit denen die EU den Grünen Deal erreichen will. Danach befürworten 59 Prozent der Deutschen und 54 Prozent der übrigen EU-Europäer die Nutzung sogenannter erneuerbarer Energien. Eine Vorreiterrolle Europas im Kampf gegen Kunststoffabfälle und Einwegplastik unterstützen 57 Prozent der Deutschen und 53 Prozent der Europäer. Die Förderung der „Kreislaufwirtschaft“ für den Erhalt natürlicher Ressourcen und weniger Abfall finden 44 Prozent der Deutschen und 33 Prozent der Europäer sinnvoll.

Auch bei der deutschen Industrie stößt der Grüne Deal dem Vernehmen nach auf breite Zustimmung. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) mit Hauptsitz in Frankfurt ist mit rund 3.300 Mitgliedern Europas größter Industrieverband. Auf der VDMA-Mitgliederversammlung in Nürnberg bewertete der Vorsitzende Uwe Lauber die Pläne der EU-Kommission sehr positiv und sah bei richtiger Umsetzung große Wachstumschancen, insbesondere auch für die deutsche Industrie. Allerdings werde die EU das von ihr gesteckte Klimaziel ohne die Umwandlung von grünem Strom in andere Energieformen wie Gas oder Flüssigbrennstoffe („Power-to-X“) nicht erreichen. „Die EU muß Power-to-X als Lösungsmöglichkeit in den Green Deal einbeziehen und klare Wege hin zum Einsatz von CO2-neutralen Kraftstoffen aufzeigen“, forderte Lauber.

Gegenwärtig könnten allerdings weder grüner Wasserstoff noch daraus hergestellte synthetische, klimaneutrale eFuels im Wettbewerb mit fossilen Kraftstoffen bestehen. Um dieses zu gewährleisten, müßten die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben in den EU-Mitgliedstaaten angepaßt werden. Ohne klare Rahmenbedingungen und damit Sicherheit für die Unternehmen blieben dringend notwendige Investitionen aus, so der VDMA-Vorsitzende.

Kritik an Plänen von rechts und von links

Lauber betonte, daß die Industriemotorenbranche sich bereits seit längerem beispielsweise für die Energiewende auch auf dem Meer einsetze. Diese Pläne hätten eine klimaneutrale Schiffahrt zum Ziel. Neben der Hybridisierung und dem Einsatz von LNG-Gasmotoren sehe diese insbesondere den sukzessiven Austausch fossiler Kraftstoffe durch eFuels vor.

„Als Motorenbranche sehen wir das enorme Potential, das die Power-to-X-Technologie für die Schifffahrt bietet. Mit im Power-to-X-Verfahren hergestellten eFuels ist die Maritime Energiewende möglich“, betonte auch Reiner Rößner, Vertriebsleiter bei MAN Truck & Bus und Gastgeber der Mitgliederversammlung des Fachverbands. CSU-Generalsekretär Markus Blume forderte, Deutschland müsse Vorreiter beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sein. Die Power-to-X-Technologien böten deutschen Unternehmen „hervorragende Exportchancen“, so Blume.

Doch es gibt nicht nur ungeteilte Zustimmung zu den Plänen der EU-Kommission. So forderten der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und sein tschechischer Amtskollege Andrej Babiš, auch Atomkraft müsse als saubere Energiequelle anerkannt werden. Sie würdigten, daß der Passus „Einige Mitgliedstaaten haben erklärt, daß sie als Teil ihres nationalen Energiemixes Kernenergie nutzen“ in das Kompromißpapier des Klimagipfels aufgenommen wurde.

Polens Premier Mateusz Morawiecki (PiS), dessen Land rund 80 Prozent seines Energiebedarfs mit Kohle deckt, betonte, Polen werde „die Klimaneutralität in seinem eigenen Tempo“ erreichen. Warschau hatte zudem „spezifischere“ Finanzgarantien für seinen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gefordert und daher der Übereinkunft nicht zugestimmt. Eine Entscheidung solle erst im Sommer 2020 fallen, hieß es aus Brüssel. Mit Ausnahme Polens hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf dem Klimagipfel zum Ziel bekannt, bis 2050 eine klimaneutrale EU zu erreichen.

Von der anderen Seite reagierte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mit „Enttäuschung“ auf die Pläne der EU-Kommission. Diese blieben nach Worten des BUND-Vorsitzenden Olaf Bandt „weit hinter dem Notwendigen zurück“. So müsse die Emissionsminderung bis 2030 um mindestens 65 Prozent zurückgehen. Der Plan sei in vielen Bereichen ein „grünlackiertes ‘Weiter so’“. Sofern es nicht auch noch eine komplette Neuplanung der Gemeinsamen Agrarpolitik geben würde, bleibe der Green Deal „nur Etikettenschwindel“.

Die viertgrößte Fraktion im EU-Parlament, die „Identität und Demokratie“ (ID), zu der die AfD gehört, stimmte gegen die Pläne der Kommission und präsentierte einen eigenen Entwurf zum Klimaschutz. Ihrer Ansicht nach wird die Senkung des EU-Schwellenwerts für die Verringerung der Treibhausgasemissionen auf 50 oder 55 Prozent einen nicht tragfähigen verwaltungsmäßigen und finanziellen Druck auf Unternehmen in der EU erzeugen und die Abwanderung in billigere Länder außerhalb der EU beschleunigen. Dadurch werde die Deindustrialisierung vorangetrieben und der unlautere Wettbewerb aus Drittländern verstärkt.

Es sollte jedem Mitgliedstaat überlassen bleiben, die Besteuerung von Energieerzeugnissen so festzulegen, wie er es für die Verwirklichung der Umweltziele am geeignetsten hält, forderte die ID. Deswegen lehne man auch eine einheitliche EU-Steuerpolitik ab. Zudem würden restriktive Ziele zur Verringerung der CO2-Emissionen nachteilige Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen haben, die mit dem zunehmenden Wettbewerb aus Drittländern, die nicht dieselben Umweltnormen anwenden, konfrontiert seien. Auch würde der Ausbau der Elektromobilität ohne deutlich sinkende Preise für Akkus und Batterien zu einer Umverteilung führen, von der lediglich die Wohlhabenden profitierten. Ein Alternativplan der ID zur Klimapolitik wurde vom EU-Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt.

 Alle Details zum „Grünen Deal“ in einer Mitteilung der EU-Kommission: https://ec.europa.eu/