© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Absturz in die Gosse
Kriegsrhetorik: Die FAZ und ihre Ansichten zur AfD
Thorsten Hinz

Bis in die neunziger Jahre hinein und darüber hinaus genoß das Herausgeber-Kollegium der FAZ den Ruf einer Kurfürsten-Versammlung, die in einer politischen und gleichzeitig halbsakralen Sphäre agierte. Während in der Redaktionskanzlei auf zumeist hohem Niveau das Tagesgeschäft erledigt wurde, thronten darüber die Inhaber republikanisch modifizierter Erzämter. Der für Wirtschaft zuständige Würdenträger entsprach dem Erztruchseß, der für Außenpolitik Zuständige dem Marschall. Der Kämmerer kümmerte sich um Innenpolitik und der Mundschenk um das Feuilleton. Wenn sie sich auf Seite eins äußerten, war das keine in Akkordarbeit entstandene, flüchtige Meinungsäußerung, sondern – von der gelegentlichen Exzentrik eines Frank Schirrmacher abgesehen – eine Art halbamtliches Bulletin: kenntnisreich, durchdacht, klar in der Sache, dezent im Ton. Den fixierten Standpunkt mußte man nicht teilen, aber ernst nehmen auf jeden Fall.

Der Würzburger Historiker Peter Hoeres hat in seinem Buch „Zeitung für Deutschland“ die Sonderstellung der FAZ anschaulich herausgearbeitet und dargelegt, daß der Begriff „Staatszeitung“ seine Berechtigung hat („Spöttisch gegen Konservative“. JF 43/19). Gerade das „politische Ressort ist mit der erst diskutierten, dann entschiedenen West-orientierung, (…) am ehesten ein Abbild der allgemeinen Geschichte der Bundesrepublik, zumal es sich vorbehaltlos mit der Bundesrepublik identifizierte“.

In der Sickergrube übler Tagespolemik

Wobei diese Bundesrepublik als Dachstaat für ein künftiges Gesamtdeutschland verstanden wurde, das zuerst noch bis an die Memel, dann bis an Oder und Neiße reichte. Der Anspruch führte zu einem ständigen Spagat zwischen den Wünschbarkeiten und den Möglichkeiten. Er gelang mit einer Kombination aus Liberalität und einem – allerdings beschränkten – Konservatismus.

Das reichte hin, um den weltpolitischen Umbruch von 1989 souveräner als andere zu bewältigen. Wobei eine Rolle spielte, daß die entscheidenden Herausgeber jener Jahre sowie der politische Ressortchef aus Berlin, Sachsen und dem Sudetenland stammten und somit über einen lebensgeschichtlichen Hintergrund verfügten, der über den Geltungsbereich des Grundgesetzes hinausreichte. Die FAZ war engagiert, ohne sich mit der Politik im einzelnen gemein zu machen. Im Prozeß der Wiedervereinigung nahm sie eine nachgerade monarchische Funktion wahr: Sie erteilte Rat, ermunterte, kritisierte und warnte.

An diese Niveau-Höhe muß erinnert werden, um die Berichterstattung der FAZ über die AfD gerecht einzuschätzen: Sie ist ein Sturz in die Gosse des Kampagnenjournalismus. Der für Politik zuständige Herausgeber Berthold Kohler klaubt eigenhändig Straßenkot zusammen und knetet daraus Wurfgeschosse. Unter der Überschrift „Hanau und die AfD: Der Gipfel des Zynismus“ monierte er nicht etwa den reflexhaft hergestellten Konnex zwischen der Tat eines geistig Kranken mit dem AfD-Parteiprogramm, sondern die Kühnheit ihrer Funktionäre, sich gegen die Injurien zu verwahren. Kohler weiß es besser: „Wer AfD wählt, stärkt radikalen, völkischen Wahn in den Parlamenten und auf den Straßen.“ Auch mit einem sofortigen Schuldbekenntnis hätte sie vor ihm keine Gnade gefunden. Denn nach der verbalen Demutsgeste ihrer Bundessprecher („rassistisches Verbrechen“) kommentierte er, die Partei fresse „zur Not auch Kreide bis zur Selbstverleugnung“. Sein Verdikt bleibt unumstößlich: „Die Gaulands, Höckes und Klonovskys kann man nicht bekehren. Die haben Blut geleckt, die wollen mehr. Ihr Geschäftsmodell ist eines der Aufwiegelung, der Untergrabung der liberalen Demokratie und der Selbstzerfleischung ihrer Bürgergesellschaft.“

Nun bedarf es in der aufgeklärten Gesellschaft keiner Bekehrung; die sachliche Widerlegung genügt vollauf. Bloß  womit? Feuilleton-Herausgeber Jürgen Kaube fühlte sich bemüßigt, seinem Kollegen beizuspringen. Im glossierenden Internet-Tagebuch des Autors und Gauland-Mitarbeiters Michael Klonovsky („Ich komme aus der DDR. Ich komme aus der Zukunft.“) ist ihm eine ganz bestimmte Stelle böse aufgestoßen. Klonovsky hatte die Hanau-Tat mit den „Verwerfungen“ in Beziehung gesetzt, die der Harvard-Politologe Yascha Mounk zum vertretbaren Preis für die ethnisch-kulturelle Transformation der europäischen Gesellschaften erklärt hatte. Unter der Überschrift „Jetzt soll also der Multikulturalismus schuld sein“ wettert Kaube: „Die feinsinnige Niedertracht weist für jede rechte Untat, jeden Fremdenhaß nach, im Grunde gehe sie kraft irgendeiner Fernkausalität auf das Konto der Bundesregierung und des Multikulturalismus.“ Um der „Niedertracht“ zu begegnen, hat er freilich nur den dümmlichen Hinweis auf spanische Strände parat, die von deutschen Urlaubern überfremdet werden.

Wenn die Herausgeber sich in der Sickergrube übler Tagespolemik suhlen, brauchen die unteren Chargen sich erst recht nicht zu genieren. Seit Jahren betreibt eine Nachwuchskraft der FAZ eine gezielte Negativberichterstattung. Den Schreiber interessiert nicht, ob die Kritik aus der AfD sachlich berechtigt ist und eine diskursive Lücke füllt, sondern die Kritik an sich erscheint ihm als Skandal. Blind vor Jagdeifer, tappt er schon mal in die Falle. Als der Verleger Götz Kubitschek 2018 die Meldung lancierte, in die Politikberatung zu wechseln, präsentierte er den dadaistischen Coup als Exklusivmeldung und fügte hinzu: „Für die Materialsammlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz über die AfD wäre eine Beratung durch Kubitschek recht relevant.“

Die Zeitung ist Teil des „Systems Merkel“

Das sieht der Ressortchef für Innenpolitik, Jasper von Altenbockum, genauso. Nach der Wahl des FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum flüchtigen Ministerpräsidenten von Thüringen – kurz vor Hanau – forderte er unter dem Titel „Wir wissen genug“ den Inlandsgeheimdienst auf, endlich zur Tat zu schreiten. Die Stimmabgabe der AfD-Abgeordneten für Kemmerich sei der Beweis, daß die Partei auch im Großen „vor dem Mittel der Täuschung und Irreführung nicht zurückschrecken wird“. De facto erklärte Altenbockum die AfD-Mandate für ungültig, so wie die Nationalsozialisten im März 1933 die 81 Reichstagsmandate der KPD für ungültig erklärt hatten, um sich eine Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz zu sichern.

Nach Hanau verfiel Altenbockum vollständig in das Tourette-Syndrom. Er erklärte die Tat des mutmaßlich schizophrenen Tobias Rathjen zur „nächsten Ausgeburt eines Zivilisationsbruchs“. Es geht der FAZ nicht um Tatsachen und ihre logische Verknüpfung, sondern um „die dauerhafte Beobachtung der gesamten AfD“, um die der „Verfassungsschutz (…) wohl nicht herumkommen“ wird.

Mit unfreiwilliger Komik fragt Herausgeber Kohler: „Woher aber kommt diese Wut auf ‘das System’ und seine Repräsentanten, von der auch die AfD so profitiert? Es ist das freiheitlichste der deutschen Geschichte. Den Deutschen geht es insgesamt besser als jemals zuvor. Es gibt keinen Krieg, keine Arbeitslosigkeit und keine Inflation ...“ Das erinnert an den drolligen Hauslehrer Pangloss aus Voltaires „Candide“, der auf jeden Einwand monoton erwidert: Alles zum Schönsten, alles zum Besten!, und sogar für die Syphilis, an der er erkrankt ist, und für das Erdbeben von Lissabon eine optimistische Erklärung findet.

Die FAZ ist Teil des „Systems Merkel“, so einfach ist das. Die servile Nähe zur politischen Macht soll ausgleichen, was ihr durch den Anzeigen-, Auflagen- und den – im Internet-Zeitalter unvermeidbaren – Bedeutungsverlust abhanden gekommen ist. Die gemeine Behandlung des 2016 durch Freitod geendeten Universalhistorikers Rolf Peter Sieferle war der Abschluß eines sukzessiven Kotaus. Dieser überlegene Geist hatte in den nachgelassenen Publikationen „Das Migrationsproblem“ und „Finis Germania“ die Situation nach Merkels Grenzöffnung analysiert und prognostiziert, die Kanzlerin werde als „Unheilsfigur“ und „eine der großen Katastrophengestalten in die deutsche Geschichte eingehen“. Für die FAZ war das eine „ebenso ekelhafte wie stellenweise unverständliche Endzeitdiagnostik“. Sieferle wurde sogar für unzurechnungsfähig erklärt.

Dahinter steckt mehr als bloß subjektives Versagen. Darin zeigt sich der Zerfall des BRD-typischen Zerknirschungs-Konservatismus, der außerstande war, „die nationale und staatliche Dekomposition“ (Günter Maschke) vollständig auszumessen und der Kulturrevolution von links, die in den frühen sechziger Jahren eingesetzt hatte, nichts entgegenzusetzen wußte. Inzwischen prägt sie auch die DNS der FAZ, was sich exemplarisch im Vorwurf von Altenbockum äußert, die AfD wolle „die Institutionen, Mandate und Verfahren nur nutzen, um einen anderen Staat, eine andere Gesellschaft, ein neues Volk, ja, gar einen neuen Menschen zu schaffen“.

Was der wackere FAZler hier skizziert, ist jedoch eine typisch linke Utopie und ihre Verwirklichung längst im Gange. Als „Zeitung für das Neue Deutschland“ und Transmissionsriemen ins bürgerliche Lager wirkt die FAZ daran aktiv mit. Daß sie die AfD als die konservative Gegenkraft nun mit Kriegsrhetorik überzieht, ist so folgerichtig wie ihr Sturz aus der Kurfürsten-Sphäre in die Niederungen des Bütteltums.