© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Ein Beuteltier im Kampf gegen Rechts
Verteidiger des bedingungslosen Prekariats: Die Polit-Satire „Die Känguru-Chroniken“ von Regisseur Dani Levy übernimmt zwar etablierte Narrative, ist aber trotzdem sehenswert
Dietmar Mehrens

Was für ein Film wird wohl bei einem Drehbuch mit zwei Hauptfiguren herauskommen, von denen einer ein Kommunist und der andere ein Anarchist ist? Eine filmhistorische Kontroverse zwischen zwei ebenbürtigen Gegnern aus verschiedenen ideologischen Lagern wie dereinst bei „Don Camillo und Peppone“ wird es nicht sein. Bei dem Kommunisten handelt es sich auch nicht wie in der italienischen Kultkomödie von 1952 um einen Bürgermeister, sondern um ein Känguruh, eine zuletzt wegen der großen Buschfeuer in Australien von steigenden Sympathiewerten profitierende Tierart.

Vorschußlorbeeren kann, vermöge eines „FCK AZD“-Aufklebers der Antifa auf seinem Kühlschrank, auch der zweite der beiden charakterlich ungleichen, aber politisch uniform im Gleichschritt marschierenden Protagonisten einheimsen: Marc-Uwe (Dimitrij Schaad), Kreuzberger Kleinkünstler „mit Migränehintergrund“ und Erzähler der Geschichte. Das reale Vorbild für den Filmhelden ist Marc-Uwe Kling, Autor und Liedermacher, der auf der Grundlage seiner eigenen „Känguru“-Bücher auch das Drehbuch verfaßte, und zwar ein politisch höchst relevantes!

Es geht nämlich um die AZD („Alternative zur Demokratie“). Das ist eine neue Partei mit blauem Banner und patriotischem Gesicht. Dieses Gesicht gehört dem Berliner Immobilienmogul Jörg Dwigs (Henry Hübchen), der nach eigenem Bekunden ausgerechnet in Kreuzberg, „dem versifften Herzen der Multikulti-Bewegung“, seinen Eu-ropa-Turm errichten lassen will. Besagter Turm hat mit dem nach dem amtierenden US-Präsidenten benannten Hochhaus in New York mindestens so viel Ähnlichkeit wie Marc-Uwes tierischer Freund mit Skippy, dem legendären Buschkänguruh. Dwigs ist also gleichsam ein Passepartout zum Einlaß von linkem Haß: Er verkörpert in Personalunion Großkapital, US-Imperialismus und AfD.

Ja, es geht ein Riß durch die Gesellschaft, durch die Berliner Gesellschaft, um genau zu sein. Ein Riß, der die Stadt fast so brutal teilt wie einst die Mauer der SED: Auf der einen Seite stehen raffgierige Geldvermehrer und Demokratieverringerer, die ihre Interessen notfalls durch rechte Schläger durchsetzen, auf der anderen Verteidiger des bedingungslosen Prekariats, die ihre Interessen notfalls mit hüpfenden Plüschbeuteltieren im XL-Format durchsetzen.

Zwei gezähmte türkische Krawallbrüder

Das ist jetzt natürlich etwas schablonenhafter wiedergegeben, als es der Film darstellt. Nicht verschwiegen werden sollten wichtige Nebenfiguren: eine hübsche, des Veganismus verdächtige Nachbarin (Rosalie Thomass), die aber in Wahrheit vegane Ernährung gar nicht so dogmatisch sieht, wie immer behauptet wird, eine ordentlich emanzipierte Kneipenwirtin und zwei gezähmte türkische Krawallbrüder, bei denen jeder gern seinen Döner essen möchte, außer er ist Nazi.

In die Pseudo-Veganerin ist Marc-Uwe heimlich oder auch unheimlich verliebt; das australische Beuteltier muß dem mäßig begabten Künstler helfen, diesen dramaturgisch wichtigen Umstand in die richtigen Worte zu kleiden. Und alle zusammen, also Marc-Uwe, Pseudo-Veganerin, Kneipenemanze, gezähmte türkische Krawallbrüder und Känguruh müssen sich dringend was einfallen lassen, um den Dwigs-Turm zu verhindern. Das ganze Theater endet, wie es enden muß: mit viel Klamauk.

Ironische Sticheleien gegen die Antifa-Szene

Dani Levy ist ein Regisseur mit Mut. Er versuchte sich an einer Hitler-Satire („Mein Führer“, 2007) und besetzte die Hauptrolle mit dem exzentrischen Komiker Helge Schneider (der in den „Känguru-Chroniken“ einen Gastauftritt hat). In seiner Erfolgskomödie „Alles auf Zucker!“ (2004) mokierte er sich über jüdische Traditionen im Berlin von heute.

Die jüngste Regiearbeit des Schweizers indes läßt wenig Risikobereitschaft erkennen. Thematisch und technisch tritt er in die Fußstapfen des US-Kassenschlagers „Ted“ (2012), in der ein per Computeranimation zum Leben erweckter Teddybär serienweise freche Kommentare vom Stapel ließ. Hier ist es ein vorlautes Känguruh, das nach Lust und Laune frotzeln und zu allem ungebeten seinen Senf dazugeben darf.

Inhaltlich übernimmt Levy, der Vorlage gemäß, linke Narrative, was sich insbesondere in der Verballhornung der AfD zeigt – das Känguruh als neue komödiantische Speerspitze im Kampf gegen Rechts. Man könnte auch sagen: Sahra Wagenknecht in ihrer Eigenschaft als schönstes Gesicht des Kommunismus hat Konkurrenz bekommen: durch das boshafteste Beuteltier und den frechsten Faustschlag des Kommunismus. Zwar ist die Darstellung der urbanen linken Szene nicht frei von ironischen Sticheleien. Das Känguruh schmarotzt sich bei Marc-Uwe durch, und dessen Beitrag zum Bruttosozialprodukt ist ebenfalls äußerst überschaubar. Die Hälfte des Tages rennt er im Pyjama herum. Das macht die „Känguru-Chroniken“ zu einer visuellen Hilfe, sich den Arbeitsalltag von Antifa-Aktivisten vorzustellen.

Doch die satirischen Seitenhiebe verlassen nie den Rahmen des Augenzwinkernd-Wohlwollenden. Die reale Gefahr, die, gerade in der Hauptstadt, vom Antifa-Milieu ausgeht, wird nicht mit demselben Eifer Gegenstand der filmischen Karikatur wie die durch Neonazis. Dabei sehen viele Bürger gerade in der jakobinischen Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, die Linksdogmatiker auszeichnet, eine ernste Bedrohung für die Demokratie.

Ein Beitrag zur Überwindung der Spaltung der Gesellschaft ist Levys neuer Film daher erkennbar nicht. Aber er ist – und da bleibt sich der Regisseur treu – so witzig, so flott inszeniert, so ingeniös mit Filmzitaten und amüsanten Details angereichert, daß Menschen mit Humor sowohl die klischeehafte Handlung (an der nicht Levy, sondern Autor Marc-Uwe Kling schuld ist) als auch die politische Schlagseite verzeihen können. Gegenstand des Amüsements kann schließlich auch sein, mit welcher Naivität gebildete Menschen die vorgekauten Propagandahäppchen der etablierten Politkasten zu schlucken und als Filmkunst wieder hervorzuwürgen sowohl bereit als auch imstande sind.