© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Reemtsmas große Show
25 Jahre Wehrmachtsausstellung: Eine fehlerhafte Kollektivanklage gegen eine ganze Generation
Alexander Graf

Vor einem Vierteljahrhundert löste die Wehrmachtsausstellung in Deutschland eine mitunter erbitterte Debatte über die deutsche Armee und den Krieg gegen die Sowjetunion aus. Dabei ging es um die Rolle, die sie bei Kriegsverbrechen gespielt haben soll. Rund 800.000 Besucher strömten in die Wanderausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung, die den Titel „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ trug. Für die Mehrheit der Medien gebührte den Verantwortlichen, dem Institutsleiter Jan-Philipp Reemtsma und Ausstellungsleiter Hannes Heer, das Verdienst, die angebliche Legende von der „sauberen Wehrmacht“ zerstört zu haben. 

Auch Historiker teilten diese Auffassung. Der Professor für Neuere Geschichte an der Universität Jena, Norbert Frei, lobte die Ausstellung rückblickend gegenüber dem NDR: „Durch die Ausstellung wurden die Verbrechen der Wehrmacht erstmals in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Das ist das große Verdienst dieser Ausstellung.“ 

Das erklärte Ziel von Reemtsma und Heer war es, den angeblich verbrecherischen Charakter der Wehrmacht zu belegen. Wie besessen der Geschichtslehrer Heer davon auch Jahrzehnte später noch war, zeigte er im Interview mit der linksradikalen Jungen Welt 2019. In der ganzen Gesellschaft der Bundesrepublik seien ehemalige Nationalsozialisten am Werk gewesen, die das Bild der Wehrmacht in der kollektiven Erinnerung reingehalten hätten, so Heer. Dagegen habe die Ausstellung angehen sollen. 

Die am 3. März 1995 eröffnete Ausstellung sorgte jedenfalls mit den gezeigten Fotos von Hinrichtungen, Massenerschießungen und ähnlichen Vorgängen im Hinterland der Ostfront in Rußland und auf dem Balkan für Aufsehen und Bestürzung bei den Betrachtern. Die bis zum November 1999 in 34 deutschen und österreichischen Städten gezeigte Ausstellung setzte dazu insgesamt rund 1.400 Fotos ein. 

Unter Wissenschaftlern war die Beteiligung von Wehrmachtseinheiten an Kriegsverbrechen seit Jahren unbestritten. Für die breite Bevölkerung bedeuteten die von Reemtsma und Heer vorgetragenen Kollektivanschuldigungen jedoch zugleich einen Angriff auf ihre Familiengeschichte. Zudem lebten noch zahlreiche Weltkriegsveteranen, die sich nun schweren Vorwürfen ausgesetzt sahen. Plötzlich schien jeder Mann, der das Feldgrau getragen hatte, ein Massenmörder zu sein. Zwar hieß es im Ausstellungskatalog, es solle „kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten“ gefällt werden, doch genau das geschah. 

„Daß man das generell der Wehrmacht anlastet, das finde ich sehr beschämend. Wir sind Nestbeschmutzer, so nennt man das, wir machen uns selber lächerlich“, sagte ein Ausstellungsbesucher in Hamburg damals dem NDR. In einigen Städten demonstrierten Veteranenverbände und ihre Unterstützer gegen die Ausstellung. Dabei kam es in Dresden, Kassel und Kiel zu Zusammenstößen mit linken Gegendemonstranten. 

Am 9. März 1999 verübten Unbekannte in Saarbrücken einen Sprengstoffanschlag auf die Wanderausstellung. Menschen kamen dabei nicht zu schaden. Mittlerweile wird ermittelt, ob die Tat eventuell auf das Konto der rechtsextremen Terrorzelle NSU gehen könnte. 

Erlebnisgeneration unter Generalverdacht gestellt

Politischer Protest gegen die Ausstellung regte sich in jener Zeit bei CDU und CSU. Der damalige CSU-Chef Peter Gauweiler kritisierte die Darstellung der deutschen Soldaten als Mörder scharf und legte in München als Zeichen des Protests einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten nieder. Der bayerische Politiker, den auch Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) unterstützte, verband das mit dem Vorwurf, Reemtsma wolle sich „zum Richter über eine ganze Generation aufschwingen“. Zugleich erinnerte er daran, daß der Tabakmillionär die linksextreme Szene in Hamburg finanziell unterstützte. 

Doch Kritik kam nicht nur aus der Bevölkerung und aus dem politischen Spektrum von Union bis hin zur NPD. Der ungarische Historiker Krisztian Ungvary und sein polnischer Kollege Bogdan Musial nahmen die Bilder der angeblichen deutschen Kriegsverbrechen genauer unter die Lupe. Sie konnten nachweisen, daß mehrere Bilder Mordaktionen von sowjetischen Einheiten darstellten. Weitere Wissenschaftler warfen den Machern neben solchen Ungenauigkeiten den mitunter reißerischen Ton und pauschalierenden Urteile über die Wehrmacht vor. Als die fehlerhaften Bebilderungen bekannt wurden, schloß Reemtsma die Ausstellung und entließ den Kurator Heer. Eine Historikerkommission überarbeitete die Bildauswahl und die Begleittexte, und 2001 ging sie für weitere drei Jahre erneut auf Tour. 

Es sei der Ausstellung gelungen, den Blick auf die deutsche Armee des Zweiten Weltkriegs zu verändern, lobte sich Reemtsma vor drei Jahren im Gespräch mit der Welt selbst. Sie hat jedenfalls dazu beigetragen, die Erlebnisgeneration unter Generalverdacht zu stellen und die Wehrmacht zu verteufeln.