© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Lager des Grauens
Das Schreckensregime des polnischen Geheimdienstes in Oberschlesien 1945
Paul Leonhard

Bei Anblick der unterernährten kleinen Mädchen und Jungen aus dem polnischen Konzentrationslager waren die Krankenschwestern in Breslau entsetzt: „Wie sollen wir nur die Kinder anfassen, die zerbrechen uns in den Händen!“ Den Polinnen hätten Tränen in den Augen gestanden. So berichtet es Erna Kelm, eine Diakonisse aus Bromberg, die zwischen November 1945 und September 1947 das Leiden und Sterben von Zehntausenden Deutschen im Arbeitslager Potulice mitdurchleiden mußte. 

„Man braucht gute Nerven, um die noch lebenden Zeitzeugen zu hören und dabei nicht die Fassung zu verlieren“, traute sich noch 2002 die Welt ohne Rücksicht auf „polnische Befindlichkeiten“ zu schreiben: „Was damals in ganz Polen geschah, spielte sich im multinationalen Ballungsgebiet Oberschlesien in besonderer Dichte ab.“

Mit welch unvorstellbarer Brutaltität und mit welchem Sadismus Polen gegen die von der Roten Armee überrollte Zivilbevölkerung im deutschen Osten vorging oder auch gegen jene Geflüchteten, die nach Ende der Kampfhandlungen in ihre Heimat zurückkehrten, davon konnten später nur die Überlebenden berichten. Namen wie Lamsdorf (Lambinowice), Schwientochlowitz-Eintrachtshütte (?wi?toch?owice) und Myslowitz (Myslowice) stehen für diese Verbrechen.

Garantierte in den ersten Wochen noch das sowjetische Militär – nach den eigenen Mord- und Vergewaltigungsorgien – für die Sicherheit der Alteingesessenen, so zeigten nach deren weiterem Vormarsch die nachgerückten Polen, wer jetzt in West- und Ostpreußen, Pommern und Schlesien das Sagen hatte. Die im Kollektiv für die NS-Verbrechen als schuldig geltende deutsche Bevölkerung galt als vogelfrei.

Eingesperrt und gefoltert wurden alle Deutschen, derer die Polen habhaft werden konnten: Frauen, Alte, selbst kleine Kinder. Im Lager Zgoda waren im August 1945 etwa 60 Prozent der Internierten Frauen, 20 bis 25 Prozent Kinder und der Rest alte Menschen.

„Konzentrationslager sind nicht aufgehoben, sondern von den neuen Besitzern übernommen worden“, berichtet ein amerikanischer Diplomat an das Foreign Office: „Meistens werden sie von der polnischen Miliz geleitet. In Schwientochlowitz (...) müssen Gefangene, die nicht verhungern oder zu Tode geprügelt werden, Nacht für Nacht bis zum Hals im kalten Wasser stehen, bis sie sterben.“ Nach einer Berechnung des polnischen Instituts für Nationales Gedenken kamen allein hier 1.855 Menschen ums Leben.

Der neu gegründete polnische Geheimdienst des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit (Ministerstwo Bezpiecze?stwa Publicznego / MBP) übernahm die zuvor vom sowjetischen NKWD genutzten deutschen Lager. Allein in Schlesien gab es nach Angaben des Bundesarchivs 227 Gefängnisse und 1.255 Internierungslager für Deutsche. Von mindestens 110.000 Festgesetzten kamen zwischen 15 und 20 Prozent ums Leben.

Eine der sich bei den Morden besonders hervortat, war der MBP-Offizier Salomon Morel. Der 26jährige war von Februar bis November 1945 Kommandant des Arbeitslagers in Zgoda, einem Ortsteil von Schwientochlowitz. Er ist für die Ermordung von mehr als 1.500 deutschen Zivilisten verantwortlich. Als polnischer Jude habe sich Morel an allen Deutschen, die er unter seine Kontrolle bekam, für die Shoa und die deutsche Besatzung gerächt, schreibt der amerikanische Journalist John Sack in seinem Buch „Auge um Auge“. 

Allerdings wurde Morels Familie nicht von Deutschen ermordet, sondern von Polen. Weil er auch viele Polen umgebracht hat, sollte ihm wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ der Prozeß gemacht werden, aber Morel flüchtete 1992 nach Israel. Dort weigerte man sich, den Kriegsverbrecher auszuliefern, weil die Verbrechen verjährt und der Mörder alt und krank sei.

Mit einem Freispruch endete ein Prozeß gegen den nicht minder sadistischen Kommandanten des Lagers Lambsdorf bei Oppeln, Czeslaw Geborski. Allein 48 Menschen starben, als Geborski den Wachmannschaften beim Brand einer Baracke befahl, auf die aus dem Feuer fliehenden Häftlinge zu schießen. Eingesetzt als Leiter einer MBP-Operationsgruppe war auch der spätere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ab Anfang 1945 im oberschlesischen Kattowitz aktiv. Bis zu seinem Tod schwieg sich der sonst so bereitwillig von seinem widerständigen Leben fabulierende Literaturkritiker über dieses dunkle Kapitel aus. 

„Dem um sich greifenden Sadismus Einhalt gebieten“

Obwohl die unmenschlichen Aktionen – einschließlich Typhusepidemien. Hunger, Schmutz und fehlender ärztlicher Versorgung – exakt der gewünschten und propagierten „Säuberung Polens vom Faschismus“ entsprachen, waren Warschau insbesondere die Anfragen des Internationalen Roten Kreuzes unangenehm. Kommunistenführer W?adys?aw Gomu?ka warnte seine Genossen davor, sich „Gestapo-Methoden“ zu bedienen. Das Ministerium sollte „dem um sich greifenden Sadismus Einhalt“ gebieten.

Längst war da bekannt, daß sich die Lager zu regelrechten Sklavenmärkten entwickelt hatten. Die Deutschen wurden zur Zwangsarbeit im oberschlesischen Industriegebiet, zu Aufräumarbeiten in Warschau, vor allem aber in der Landwirtschaft eingesetzt. Dabei kassierte der Geheimdienst von den „Arbeitgebern“ einen Mietpreis. Das Geschäft war – außer für die Gefangenen – so lukrativ, daß die beteiligten Polen versuchten, die Umsetzung der per Dekret vom 13. September 1946 verfügten Ausweisung und Vertreibung aller Deutschen zu verzögern.

Letztlich erreichte der polnische Staatsterror sein Ziel. Die überlebenden Deutschen, abgesehen von wenigen für das Überleben der Volkswirtschaft unverzichtbaren Spezialisten und zum „Entdeutschen“ vorgesehenen katholischen Oberschlesiern, waren aus den jetzt polnisch verwalteten Gebieten abgeschoben worden. Jetzt konnte sich der Geheimdienst der Unterdrückung des polnischen Widerstands zuwenden. Mit der Ermordung der letzten sieben Partisanen – 1947 gab es noch 46.000 bewaffnete Untergrundkämpfer – in den Wäldern bei Warschau war 1953 auch das erledigt.