© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Globale Ausmaße und regionale Wahrnehmungen
Marian Füssel reflektiert den Siebenjährigen Krieg und bleibt an der Frage hängen, ob der Konflikt vormodern oder modern war
Eberhard Straub

Der Siebenjährige Krieg (1756–1763 ) bestätigte endgültig den Rang Preußens, zum Konzert der europäischen Großmächte zu gehören. Die Erzherzogin von Österreich und Gemahlin des Kaisers Franz I. hatte ihr erklärtes Ziel, den preußischen König Friedrich II. zum Markgrafen von Brandenburg zu degradieren, nicht erreicht. Seitdem bestimmte die Konkurrenz zweier europäischer Großmächte, Österreich und Preußen, die weitere deutsche Entwicklung. Ja, durch die Taten und die Selbstbehauptung König Friedrichs II., inzwischen als der Große überall gewürdigt, kam, wie der alte Goethe rückblickend bemerkte, der erste und wahre Lebensgehalt in die deutsche Poesie. 

Konflikte in Europa betrafen auch zuvor andere Weltteile

Der Sieg der Preußen über die Franzosen Ende 1757 bei Roßbach wurde sofort auch als Befreiung von der kulturellen Hegemonie der Franzosen aufgefaßt. Insofern war der Siebenjährige Krieg für alle Deutschen, auch in Österreich, vorzugsweise ein Krieg mit weitreichenden Folgen für ihre Zukunft. Was sich gleichzeitig auf den Ozeanen und in Amerika und Asien abspielte, blieb für sie ohne Belang.

Insofern ist „Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges“, von der Marian Füssels Werk handelt, für Deutsche unerheblich. Ihr Krieg untereinander und mit Franzosen und Russen fand in der Alten Welt statt, weitgehend unabhängig von den Auseinandersetzungen der Seemächte fernab von Europa. Jeder erlebte damals wie heute Geschichte in seinem begrenzten Lebensraum. Die Welt als große Einheit und gemeinsamer Erlebnisraum ist eine Fiktion der Ideologen, die massiv die Globalisierung vorantreiben wollen. Die Tendenz zum Weltkrieg war unvermeidlich, seit Portugiesen und Spanier mit ihren Entdeckungen ein neues Weltbild ermöglichten, das tatsächlich die ganze Welt umfaßte. 

Die Kette von Kriegen, die von 1618 bis 1659 dauerten und mit dem Pyrenäenfrieden zwischen Frankreich und Spanien ihren Abschluß fanden, beschränkte sich nicht auf Europa. Die Ozeane, Brasilien und das heutige Indonesien  waren Kriegsschauplätze mit unmittelbaren Folgen für Europa, weil die Niederlande dort zur kolonialen Großmacht aufstiegen. Dennoch wurde der sogenannte Dreißigjährige Krieg meist als ein mitteleuropäisches Ereignis behandelt. Deshalb möchte Marian Füssel das modische Konzept des Weltkrieges nicht allzu sehr strapazieren, obschon der Untertitel demonstrativ auf dieses Narrativ verweist. 

Der Göttinger Historiker zerbricht sich den Kopf, ob der Krieg noch ein vormoderner oder schon ein moderner war, ohne näher zu definieren, was einen modernen Krieg ausmache. Denn einen totalen Krieg, als umfassenden Volks- und Eroberungskrieg, führten erst die wehrhaften Demokraten im revolutionären Frankreich seit 1793 und der Soldatenkaiser Napoléon. Ein herkömmlicher Kabinettskrieg ist ihm zu sehr auf Europa konzentriert und nicht global genug. Doch es gehörte immer zu den Absichten der europäischen Großmächte, ihre außereuropäischen Konflikte möglichst unabhängig von den europäischen Verwicklungen zu halten. 

Die koloniale Welt war eine Welt für sich. Die Vorherrschaft Europas und eine Weltordnung mit Europa als Mittelpunkt beruhten auf dieser für die Europäer heilsamen Trennung. Da sich Marian Füssel vorzugsweise für das Kriegserlebnis der Soldaten und Zivilisten interessiert, ist es im übrigen ziemlich unerheblich, ob der Krieg vormodern oder schon modern war. 

Gewaltakte, Zerstörungen, Bombardierungen – wie in Dresden durch die Preußen – oder Repressionen aller Art, um Gelder oder Nahrungsmittel zu erpressen, gewannen keine noblere Dimension, wenn sie zum Projekt der Moderne im modernen Krieg gehörten, oder wirkten etwa barbarischer weil immer noch vormodern. Sie wurden von davon Betroffenen, ohne Grübeln über den „Ereignistyp“ Schlacht oder der des Krieges insgesamt erlitten, betrauert oder begrüßt und als unvermeidlich erachtet. Kriegsgewinnler gab es ganz selbstverständlich in allen Klassen der Gesellschaft. Sie verdienten an den Mühen für den Ruhm der königlichen Staaten, für deren Machterhalt oder Machtverlust. Macht ist nicht böse und verwerflich – ohne Macht läßt sich im Krieg und Frieden nichts machen. 

Daher begleiteten die Truppen und das Kriegsgeschehen Propagandaschriften aller Art, um die eigene Sache als die für Europa und alle Freunde eines vernünftigen Friedens und der europäischen Ordnung bekömmlichste zu rechtfertigen. Auch ein „Medienkrieg“ war nichts Neues, denn seit Erfindung des Holzschnittes im 15.Jahrhundert wurden Flugblätter eingesetzt, um den Feind wankelmütig zu machen oder die eigenen Kräfte vor Schwächeanfällen zu bewahren. Der zäheste und längste Medienkrieg – auch im Frieden – wurde vom 16. Jahrhundert bis zum 20. Jahrhundert mit der „schwarzen Legende“ über Spanien geführt. Man sollte die Moderne nicht überschätzen und die „Vormoderne“ nicht unterschätzen. Als guter Demokrat schenkt Marian Füssel den einfachen Soldaten und den Zivilisten, die Opfer des Kriegs wurden, viel Aufmerksamkeit, vermutend damit näher dem Preis zu kommen, den der Ruhm kostete. 

Der „Augenzeuge“ kann freilich nur über einen begrenzten Ausschnitt des Geschehens berichten. Er hat keinen Überblick über die größeren Zusammenhänge. Zuweilen verwirrt sich auch für den Feldherrn die Übersicht wegen der verschiedenen Kriegsschauplätze aufgrund ungeplanter Improvisationen. Dem schlichten einfachen Mann ist nicht unbedingt mehr zu trauen als dem hohen Offizier oder König. Wenn er lesen und schreiben kann, kommen unweigerlich literarische Pathosformeln oder Erinnerungen aus der Bibel ins Spiel. 

Das gilt erst recht, sobald Pfarrer, Mönche oder akademisch gebildete Beobachter ihre Eindrücke zu einer Geschichte verdichten meist im händeringenden Ton, um den Schrecken der entfesselten Kriegsfurie eindringlich dem Gemüt einzuprägen. Da Augenzeugen vornehmlich immer das gleiche erleben, langweilen ihre Schilderungen und Erfindungen bald. Um die Qualität eines Weines charakterisieren zu können, genügen ein paar Schlucke, man muß nicht gleich das ganze Faß leeren.  

Das Kriegstheater wechselte. Die Bewohner der vielen Schauplätze, selbst in unmittelbarer Nähe, kannten den Krieg nur vom Hörensagen und lebten weitgehend bequem weiter, ohne sich belästigt zu fühlen. Doch die gerade in der Ferne verweilenden Schriftsteller oder Kriegsberichterstatter schufen – vor allem in Preußen – die erstaunliche Bereitschaft, für König und Vaterland erhebliche Opfer zu bringen. Jetzt lernten zum ersten Mal die verschiedenen Landschaften vom Niederrhein bis zur Memel, was es heißt, im Staats-  und Königsdienst ein Preuße zu werden. Berlin sey Sparta! Das hoffte der sanfte preußische Menschenfreund und Dichter Johann Wilhelm Gleim, der mit seinen Grenadierliedern einen preußischen Patriotismus schuf. 

Die Feind-Kriminalisierung widersprach der Staatsräson

Die Militärmonarchie Sparta war immer vorsichtig im Gegensatz zum kriegslüsternen demokratischen Athen. Für Gleim war der Konflikt ein Krieg der Kayser-Königin Maria Theresia. Sie forderte er dazu auf, über sich zu siegen und damit den schönsten Sieg zu erringen, sich mit dem Feind zu versöhnen und Frieden zu schließen. Er sprach nicht von Kriegsverbrechern und Schurken. Insofern war der Krieg tatsächlich noch vormodern. Denn die Kriminalisierung des Feindes und dessen bedingungslose Kapitulation widersprachen eklatant der Staatsräson und der Absicht, den allgemeinen Frieden auf besseren Fundamenten zu sichern. Kriegsverbrecher gibt es erst seit dem Großen Krieg ab 1914. Doch davon spricht der Freund des Projektes der Moderne und der Globalisierung in seinem doch recht überflüssigen Buch nicht. 

Marian Füssel: Der Preis des Ruhms. Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges. Verlag C.H. Beck, München 2019, gebunden, 655 Seiten, 32 Euro