© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

„Das Ziel müssen alle sein“
„Seebrücke“: Wer steckt hinter den Forderungen nach offenen Grenzen?
Hermann Rössler

Vor dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin demonstrieren am Montag mittag an die hundert Leute mit orangefarbenen Transparenten, auf denen Sätze wie „Build bridges not walls“, „Grenzen auf“ und „Wir haben Platz“ zu lesen sind. Im Gebäude werden auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis erwartet, die neben den wirtschaftlichen Beziehungen auch die Lage der Migranten an der türkisch-griechischen Grenze besprechen wollen.

Zum Protest rief die Organisation „Seebrücke. Schafft sichere Häfen!“ auf, die seit der Grenzöffnung durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdo?an allein in Berlin bereits drei Demonstrationen für offene Grenzen veranstaltete. Rund 4.000 Personen folgten den Aufrufen während der ersten zwei Demonstrationen durch die Innenstadt. Am Montag sind es nicht halb so viele.

Auf der Demo erzählt ein Migrant von seinen Erfahrungen im Flüchtlingslager, eine Mitarbeiterin der privaten Seenotrettungsorganisation „Sea-Watch“ berichtet von ihren Erlebnissen auf dem Schiff, eine andere Rednerin trägt Forderungen an die Regierung heran. Teilnehmer schwenken Fahnen der Antifaschistischen Aktion. Die Veranstaltung kündigte die „Seebrücke“ zusammen mit der linksextremen Interventionistischen Linken (IL) an. 

 Zentrale Ziele der „Seebrücke“ sind das „Ende der EU-Abschottungspolitik“, ergo offene Grenzen, eine Unterstützung der zivilen und staatlichen Seenotrettung und eine „deutliche Ausweitung bestehender Programme zur legalen Aufnahme von Menschen“. Die Kommunen sollen sich dafür zu „sicheren Häfen“ erklären und der Bundesregierung damit signalisieren, daß sie bereit sind, Migranten aufzunehmen. Die „Seebrücke“ gründete sich im Sommer 2018 und beschreibt sich selbst als dezentrale, „zivilgesellschaftliche Bewegung“.

Mit ein paar Klicks wird auf der Internetseite suggeriert, Teil der Bewegung sein zu können. „Grenze auf, Leben retten – mach mit.“ Sticker, Flyer, Buttons und andere Materialien sowie Anleitungen, wie man eine Demo organisiert, Petitionen und Aufrufe schreibt, stehen im Netz frei zur Verfügung. Gestalter der Seite ist Gustav Pursche, der unter anderem schon für die Kampagnenorganisation Campact und den Verein Pro Asyl arbeitete.

In den Medien ist die NGO stets präsent

Der Vereinsvorstand der „Seebrücke“, bestehend aus Lisa Wegst, Nike Wilhelms und Isabella Pinno, hat auch den Vorsitz des seit 2014 existierenden Trägervereins „Mensch Mensch Mensch“ inne. Gefördert wird dieser durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die Uno-Flüchtlingshilfe und die Stadt Berlin. Für das Jahr 2017 sind 157.478,03 Euro an Einnahmen und 197.067,49 Euro an Ausgaben angegeben.

Selbiger Verein initiierte bereits die Plattform „Zusammenleben Willkommen“, die Einwanderer an Wohngemeinschaften vermitteln soll, produzierte Videos mit antirassistischen Botschaften, die bei der Suche bestimmter Schlagwörter (zum Beispiel „Pegida“) eingespielt wurden und eine App, um sexuelle Belästigungen melden zu können. 

Die „Seebrücke“ schafft es, die Migration mit anderen linken Themen zu verknüpfen, wie ein Tweet zum Frauentag am 8. März verdeutlicht: „Auch migrationspolitische Maßnahmen, wie beispielsweise die Aussetzung des Familiennachzugs, treffen insbesondere Frauen.“ So lassen sich unter dem Motto „Kämpfe verbinden“ verschiedene Kampagnen verflechten.

Praktisch ist das auch für die NGO Campact, der im Oktober die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Campact ist bei den Unterstützern der „Seebrücke“ aufgezählt. Mitbegründer von Campact, Christoph Bautz, sitzt auch im Vorstand der gemeinnützigen „Bewegungsstiftung“, die wiederum die „Seebrücke“ finanziell fördert.

Seit Entstehung der „Seebrücke“ erklärten sich 140 Städte und Kommunen mit den Forderungen der Organisation solidarisch. Auf der Internetseite läßt sich überprüfen, inwieweit die Städte, diese Forderungen bereits umgesetzt haben. Im Sommer 2019 gründete sich zudem auf einem Kongreß der „Seebrücke“, unter der Schirmherrschaft des Berliner Bürgermeisters Michael Müller (SPD) und zusammen mit der Stadt Potsdam, das Bündnis „Städte Sicherer Häfen“, dem inzwischen 46 Kommunen angehören. 

Die Städte verlangen von der Bundesregierung „die schnellstmögliche Zusage, daß wir aufnahmebereiten Kommunen und Gemeinden, die aus Seenot im Mittelmeer geretteten Geflüchteten auch aufnehmen können“. Aufgrund der Unruhen an der türkisch-griechischen Grenze drängten vergangene Woche sieben Oberbürgermeister darauf, Migranten aufnehmen zu wollen und verwiesen dabei auf ihre Mitgliedschaft beim Bündnis „Städte Sicherer Häfen“.

Über zu wenig finanzielle oder mediale Zuwendung kann sich die „Seebrücke“ jedenfalls nicht beklagen. Am Montag abend nimmt Mitbegründerin Liza Pflaum an einer Diskussionsrunde der ARD-Sendung „Hart aber fair“ teil. Zuvor stellt sie auf Twitter klar: „Das Ziel müssen ALLE sein (...). Menschenrechte kennen keine Zahlen.“