© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Politik aus dem Container
Paul Rosen

Die Bundestagsabgeordneten können sich bereits einen Eindruck von dem verschaffen, was auf viele von ihnen nach der Bundestagswahl 2021 zukommen wird: arbeiten im Bürocontainer. Wie zur Demonstration der MdB-Zukunft hat eine Baufirma, die das Dach des Jakob-Kaiser-Hauses sanieren soll, einen zweigeschossigen Bürocontainer-Komplex auf dem Friedrich-Ebert-Platz zwischen Reichstag und Jakob-Kaiser-Haus aufgestellt. Darin sind allerdings keine Politiker, sondern Bauingenieure tätig.

So zentral werden die künftigen Abgeordneten dann wohl nicht untergebracht. Zwischen dem Haus der Bundespressekonferenz und dem Marie-Elisabeth-Lüders Haus am Ostufer der Spree gibt es eine Brachfläche, auf der bisher Baumaterial lagert. Sie wäre für die Errichtung von Containern geeignet, denn noch weiter weg vom Reichstag soll es möglichst keine Abgeordnetenbüros geben. Sonst wäre der Weg zum Plenum zu weit, wenn die Abgeordneten zu kurzfristig angesetzten Abstimmungen eilen müssen. Im Lüders-Hause gäbe es theoretisch Büros, aber Baupannen verzögern die Fertigstellung. 

Die Container-Geschichte veranschaulicht mehr als den Umgang der Bundestagsverwaltung mit der Raumnot in Berlin, die nicht nur bei Wohnungen, sondern genauso bei Gewerbeimmobilien besteht. Politisch bedeutet der Brief des Finanzministeriums an den Haushaltsausschuß, in dem um die Bereitstellung von zusätzlichen 50 Millionen Euro für die Container gebeten wurde (20 Millionen Euro standen im Etat bereits zur Verfügung), daß jede Hoffnung auf eine Verkleinerung des Parlaments ab 2021 aufgegeben worden ist. Damit könnte der gegenwärtig aus 709 Abgeordneten bestehende Bundestag nach der nächsten Wahl aus bis zu 800 Abgeordneten bestehen. Genau das ist die Raum-Kalkulation der Verwaltung: Man will Platz für hundert Abgeordnete mehr. Gerechnet wird pro MdB mit vier Räumen, was die geplanten 400 Büroräume ergibt.

Der Vorgang zeigt, wie stark die Autorität von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) gesunken ist. Offenbar erwarten die anderen Fraktionen (und auch die eigene CDU/CSU-Fraktion) nicht, daß der bei der nächsten Wahl 79 Jahre alte Schäuble noch einmal Präsident wird. Auch deshalb ließen sie ihn abblitzen, als er über eine Begrenzung der Abgeordnetenzahl reden wollte. Ein weiterer Grund ist, daß gar nicht mehr so sicher ist, ob die Union 2021 noch stärkste Fraktion wird oder ob sie hinter den Grünen auf Platz zwei kommt. Dann würde es erstmals einen grünen Präsidenten geben – Claudia Roth wäre das sicher genauso gerne wie Jürgen Trittin, der sich bereits jetzt als Grandseigneur des Parlamentsbetriebs aufspielt.

Für die auf Schrumpfkurs befindlichen Fraktionen der Volksparteien – besonders der SPD – hätte eine Aufblähung auf 800 Abgeordnete einen weiteren Vorteil: Der Rückgang der Prozente würde nicht so stark auf die Zahl der Mandate durchschlagen. Trotz Stimmenverlusts blieben mehr Abgeordnete im Amt als bei einem Parlament mit 709 Plätzen.