© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Plötzlich ist die Provinz in aller Munde
Frankreich: Nervosität vor der ersten Runde der Kommunalwahl / Ein wichtiger Test für Rechts und Links
Jürgen Liminski

Die Kommunalwahlen in Frankreich sind ein nationaler Test für alle Parteien. Das ergibt sich schon aus der kommunalen Struktur der Bevölkerung. Wer in Frankreich dauerhaft regieren will, muß das Volk der „France profonde“ gewinnen. Dieses tiefe Frankreich wohnt in den ländlichen Provinzen. Wer politische Wurzeln schlagen will, muß sich auf dem Land verankern.

Das ist der Einsatz der Präsidentenpartei La République en Marche. Sie ist bislang eine Partei der städtisch-bürgerlichen Klientel, und die Unbeliebtheit von Staatspräsident Emmanuel Macron hat viel damit zu tun, daß die Menschen in Kommunen mit weniger als zehntausend Einwohnern mit dem intellektuellen Gehabe und Gerede des Präsidenten nicht viel anfangen können. 

Ländliche Kommunen leiden unter Abwanderung   

Sie haben konkrete, ganz alltägliche Probleme: Die Abwanderung in die Städte, der Niedergang der kleinen Geschäfte, das Fehlen einer Kita oder Grundschule und vor allem das Fehlen von Ärzten. Wer durch Orte zwischen zehn- und dreißigtausend Einwohnern fährt, stößt irgendwann auf ein großes Schild, auf dem Ärzten ganze Praxen und geregelte Zeiten angeboten werden, wenn sie sich in dem Ort niederlassen. Das ist beruflich angesichts der Streßsituationen in den Kliniken für viele junge Ärzte schon eine Überlegung wert, vor allem wenn größere Städte mit einem Kulturangebot nicht allzu weit entfernt sind.

Auf diese Städte mit mehr als zwanzig- und fünfzigtausend Einwohnern hat sich der Wahlkampf, dessen erste Runde am kommenden Sonntag stattfindet, konzentriert. In den kleineren Kommunen ist die Persönlichkeit der Kandidaten entscheidend, und da fragen die Leute nur selten nach dessen Partei. Es sind Personalwahlen. In den mittleren Städten dagegen gewinnt das Programm der Kandidaten an Bedeutung. Dort hat der Sieg eines Kandidaten auch symbolische Bedeutung für das politische System insgesamt. Deshalb schaut das politische Paris auch wie gebannt auf Perpignan. Denn in dieser Stadt mit mehr als 120.000 Einwohnern in der Südwestecke Frankreichs, gerade mal dreißig Kilometer von der spanischen Grenze entfernt, hat ein Parteiloser, den alle dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zurechnen, gute Chancen, im drittem Anlauf zum Bürgermeister gewählt zu werden. Die Umfragen sehen Louis Aliot weit vorne. Die Frage allerdings ist, ob er im zweiten Wahlgang am 22. März gegen eine Phalanx von Verhinderern antreten muß. Aliots Programm läßt sich auf die Stichworte Sicherheit und Migration herunterbrechen. Perpignan hat sein Problemviertel im Zentrum der Stadt (Drogenhandel, hohe Arbeitslosigkeit, illegale Migranten aus Nordafrika, verfallene Häuser, sichtbare Armut).

Paris gilt als Sprungbrett für höchste Ämter

 Es wäre die erste größere Stadt in der Hand des RN. Wenn Aliot hier gewinnt und in den nächsten zwei Jahren Erfolge vorzeigen kann, wäre das ein Pfund im Präsidentenwahlkampf 2022.

Aliots Kampagne zielt vor allem auf Wähler der Mitte. Die Konservativen, Les Républicains sind in der Tat etwas verwaist, seit sie bei der Europawahl vor knapp einem Jahr unter die zehn Prozent fielen und ihr Präsident Laurent Wauquiez daraufhin zurücktrat. Zwar haben sie vielerorts lokale Matadore, aber ihnen fehlt eine charismatische Persönlichkeit mit nationaler Ausstrahlung. Deshalb setzen sie auf die großen Städte wie Paris, Marseille, Bordeaux, Nantes, Straßburg, Lille oder Nizza. Dort könnte die eine oder andere Persönlichkeit erwachsen. 

Ähnlich verhält es sich mit den linken Parteien, insbesondere den Sozialisten. Vor allem in Paris zeichnet sich ein Zweikampf zwischen der Republikanerin Rachida Dati und der Amtsinhaberin und Sozialistin Anne Hidalgo ab. Der Freund und Gefolgsmann Macrons, Benjamin Grivaux, hatte nach einer dubiosen Sex-Affäre seine Kandidatur zurückgezogen, die Gesundheitsministerin Anne Byzin liegt nicht chancenlos im Rennen auf dem dritten Platz. Paris gilt als Sprungbrett für höchste Ämter. Es ist, ähnlich wie „France profonde“, auch ein Thermometer für die politische Befindlichkeit Frankreichs.