© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Außer Spesen nichts gewesen
EU und Türkei: Brüssel und Ankara beschwören den Dialog, kommen sich aber nicht näher
Albrecht Rothacher

Seit der türkische Präsident Recep T. Erdo?an den EU-Türkei-Flüchtlingspakt vom 18. März 2016 mit der EU brach und per Bus Tausende Migranten aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien und dem Iran, die sich in türkischen Großstädten angesammelt hatten, an die griechische Landgrenze in Thrakien karren ließ, herrschte in der EU hektischer Verbalaktivismus. 

Die Innenminister der 27 trafen sich in Brüssel und stärkten mit markigen Worten den ihre Grenze mannhaft verteidigenden Griechen den Rücken. Frontex, die EU-Grenzschutztruppe, soll einmal mehr aufgestockt werden.  

Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bezeichnete das türkische Verhalten als unakzeptabel und verkündete, die EU Außengrenzen blieben dicht. Das meinte auch Josep Borrell, der Außenbeauftragte der EU. 

Doch Ankara zeigte sich unnachgiebig. Vergangene Woche unterstrich Erdo?an, daß die Türkei ihre aus dieser Vereinbarung resultierenden Verpflichtungen bis dato erfüllt habe, und fügte hinzu: „Unsere Erwartungen an eine faire Verteilung der Lasten und Verantwortlichkeiten bleiben hingegen unerfüllt. Die Europäische Union hat die Anforderungen des Abkommens vom 18. März nicht genau erfüllt.“ Und überhaupt, so der türkische Präsident weiter, stehe es den Flüchtlingen frei, das Land, in dem sie sich derzeit aufhalten, zu verlassen und zu wählen, wohin sie gehen wollen. Zudem verbiete es das Völkerrecht, diese Menschen mit Gewalt in einem Land festzuhalten. „Sie verlassen unser Land auf eigene Faust.“ Dennoch sei Ankara in diesem heiklen Prozeß, der ganz Europa betreffe, bereit zu kooperieren. 

Will Erdo?an schlicht mehr Geld? Bislang hat Brüssel von den avisierten sechs Milliarden Euro 4,7 Milliarden vertraglich vergeben und rund 3,2 Milliarden Euro ausbezahlt. Die Mittel wurden für den Bau von Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern und als Subventionen für den Schulbesuch und für Lebensmittelhilfen in den Flüchtlingslagern und -vierteln mit ihren 3,6 Millionen Syrern projektbezogen den türkischen Behörden ausbezahlt. Weil nicht immer alles mit rechten Dingen zugegangen war, erklärte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn, die Mittel kürzen zu wollen – die Schulen seien schließlich schon gebaut – und nur noch direkt an die Hilfsorganisationen vor Ort zu zahlen. 

Kein Wunder, daß Ankara zürnt. Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) wollte beim jüngsten Außenministertreffen in Zagreb nachgeben und die EU-Zahlungen an die Türkei erhöhen. Er scheiterte am Veto Frankreichs, Ungarns, Polens und Österreichs. 

Parallel besuchte EU-Kommissar für Krisenmanagement Janez Lenar? in Gaziantep Hilfsprojekte für syrische Flüchtlinge. Nochmals unterstrich der Slowene, daß die EU ihre Zusagen, den Flüchtlingen in der Türkei zu helfen, eingehalten habe und weiter fortsetzen wolle. Gerade habe man zusätzliche 50 Millionen Euro an humanitärer Hilfe bereitgestellt, um Schutz- und Gesundheitsprojekte in der Türkei fortzusetzen, betonte Lenar?.

Differenzen bei der Auslegung des Paktes 

Kurz vor Erdo?ans Besuch in Brüssel am Montag beschwor Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Kooperation. „Wichtig ist, daß wir heute abend den Dialog wieder starten. Die Vorkommnisse an der türkisch-griechischen Grenze waren unerträglich und dürfen sich nicht wiederholen“, erklärte die ehemalige CDU-Verteidigungsministerin. EU-Ratspräsident Charles Michel sekundierte: „Wir haben unterschiedliche Meinungen zu verschiedenen Punkten und deshalb ist es wichtig, einen klaren und offenen Dialog zu führen und zu schauen, wie wir die verschiedenen Probleme überwinden können.“

Erdo?an kam nach Brüssel, bezeichnete die ihm zujubelnden Anhänger als seine „Ohren, Augen und Arme in Eu­ropa“ und forderte bei seinem Gespräch mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Nato-Verbündeten ultimativ auf, mehr Bündnissolidarität zu zeigen. Seine Gespräche mit von der Leyen und Michel bezeichnete er als „fruchtbar“. Die „bilateralen Beziehungen“ seien „gründlich erörtert“ und „Schritte zur Stärkung der Zusammenarbeit diskutiert“ worden. 

„Heute war ein guter Anfang“, betonte auch von der Leyen, „wir haben offen miteinander gesprochen.“ Als Resultat präsentierte Michel den Auftrag an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und den türkischen Außenminister Mevlüt Çavu?o?lu. Beide sollen die weiterhin existierenden Differenzen bei der Auslegung des Paktes in den kommenden Wochen ausloten.