© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Falsche Spuren gelegt
Narziß und Goldmund 2020: Regisseur Stefan Ruzowitzky ersetzt in seiner Verfilmung den Geist der Hermann-Hesse-Erzählung durch Zeitgeist
Dietmar Mehrens

Die alten Griechen unterschieden die sinnliche Liebe („Eros“) von der das eigene Ich zurücknehmenden „Agape“, die eher eine Herzens- und Geisteshaltung und frei von körperlichem Begehren ist. Die Agape ist auch das Standardwort für Liebe im Originaltext des Neuen Testaments. Es ist ein Indiz für die geistig-moralische Verarmung unseres Zeitalters, daß die meisten Menschen sich von der Agape keinen Begriff machen können, während sich bei Eros sofort ein Trommelfeuer von Assoziationen einstellt.

Hermann Hesse hat in seiner 1930 erschienenen Erzählung keinen Zweifel daran gelassen, daß es sich bei der Beziehung zwischen den beiden ungleichen Klosterschülern Narziß und Goldmund um einen Fall von Agape handelt: Der alte Abt Daniel weiß um die Gefahren, die Klosterschülern drohen, wenn ihre Freundschaft zu eng ist, doch bei Narziß und Goldmund ist er von der Reinheit ihrer Gefühle überzeugt. „Wunderbar schön war es“, heißt es im sechsten Kapitel, „daß es auch diese Art von Liebe gab, diese selbstlose, ganz vergeistigte.“

Zwar hütet sich Regisseur Stefan Ruzowitzky, dem mit seinem oscar-prämierten Film „Die Fälscher“ über eine großangelegte Geldfälschaktion der Nationalsozialisten 2007 ein großer Wurf gelang, aus Hesses Geschichte einer Freundschaft ein „Brokeback Mountain“ hinter Klostermauern zu machen; aber er legt falsche Spuren. Die fast schon zum Schema erstarrte Dichotomie zwischen Geist- und Naturmensch, die der Nobelpreisträger in seinem Buch durchexerziert, ist in der Verfilmung höchstens noch ein blasses Subthema, das einem mehr zeitgeistorientierten Blick auf die Handlung weichen mußte. „Man kann dem Buch nur gerecht werden, indem man mit Liebe und Respekt herangeht, aber trotzdem den Mut hat, gewisse Dinge zu ändern“, so Ruzowitzky. Er glaubt, ihm sei es gelungen, „Hesse treu zu bleiben und ihn zugleich mutig in die heutige Zeit zu verpflanzen“.

Da der 1962 verstorbene Sohn eines pietistischen Missionspredigers zu den Autoren gehört, die man – wie der Regisseur – vornehmlich in jungen Jahren liest, sei kurz in Erinnerung gerufen, worum es in „Narziß und Goldmund“ geht: Im Kloster Mariabronn begegnen sich der ehrgeizige und hochbegabte Novize Narziß und der jüngere Goldmund, ein holder Knabe im lockigen Haar, den sein Vater nicht mehr bei sich zu Hause haben wollte. Die beiden freunden sich rasch an, werden ein Herz und eine Seele. Narziß ist im Kloster wegen seiner besonderen Klugheit bereits als Lehrer tätig und wird zu einer Art Mentor für den jungen Blondschopf. Er redet Goldmund die von diesem angestrebte geistliche Karriere aus, weil er als Menschenkenner durchschaut hat, daß dem Naturburschen ein anderer Weg bestimmt ist: eine Existenz, die der klösterlichen diametral entgegengesetzt ist.

Antrieb und zugleich Leitmotiv der Hesse-Erzählung ist dabei Goldmunds Suche nach seiner Mutter, einer wilden Tänzerin, die sich dem gesitteten christlichen Leben an der Seite ihres Mannes durch Flucht entzog. Hinter ihr verbirgt sich die aus dem „Steppenwolf“ bekannte „böse Urmutter“, bei Hesse eine Chiffre für die instinkthafte, ungezähmte natürliche Disposition des Menschen. Ihr gegenüber steht die von Narziß verkörperte Welt des Geistes, des gebändigten Triebes, der klösterlichen Disziplin und Askese.

Der Film erzählt eine andere Geschichte

Den Höhepunkt der gemeinsamen Zeit in Mariabronn bildet das von Narziß herbeigeführte Erweckungserlebnis, das Goldmund dem Klosterleben abspenstig macht. Der Film geht andere Wege: Er macht den alten Abt Daniel (Branko Samarovski) zu demjenigen, der früh Goldmunds Bestimmung für ein anderes Leben wittert, was Narziß (Sabin Tambrea) von seiner Rolle als Goldmunds geistiger Führer loslöst und den Weg freimacht für seine gegenwartskompatible Umdeutung zu einem mit eigenen erotischen Gefühlen ringenden, in seiner Identität nicht gefestigten Novizen.

Goldmund (Jannis Niewöhner) hinwiederum macht Ruzowitzky zum Opfer eines falschen Gottesbildes, zu einem Jungen, der glaubt: „Ich muß schnell Mönch werden, weil Gott meine Mutter haßt.“ Narziß’ Mentorenrolle beschränkt sich darauf, Goldmund den Gott der Liebe zu zeigen. Und schließlich tut abends in der Schlafkammer Kindermund Wahrheit kund: „Wir können ja zusammen Freunde sein, du, ich und Gott!“, schlägt Goldmund vor.

Doch alle diese Sätze sind Merkmale einer völlig anderen Matrix als der von Hesse angelegten: Während der von C. G. Jung beeinflußte Dichter den Konflikt zwischen Geist und Welt veranschaulichen wollte, schaut in der Filmfassung der zwischen einer weltfremden und einer weltoffenen Lebenseinstellung durch die Klosterfenster. Als filmisches Vorbild scheint in Konturen Robert Redfords „Aus der Mitte entspringt ein Fluß“ durch, wo ein junger Pastorensohn gegen die als eng empfundene christliche Moral seines Elternhauses rebelliert. Jedenfalls sah Jannis Niewöhner dem jungen Brad Pitt, der mit dem Filmdrama von 1992 seinen Durchbruch hatte, nie ähnlicher als in seiner Rolle als Goldmund.

Nach seinem Erweckungserlebnis beginnen Goldmunds Wanderjahre. Die neuromantische Heldenreise mit vielen – vor allem erotischen – Abenteuern ist im Film stark gerafft. Goldmund wird zum Ehebrecher, zum Totschläger, zum Sünder, zum Atheisten. Doch er findet auch einen Zugang zur Kunst und dadurch einen Weg, seine naturhafte Existenz zu transzendieren: die Kunst als Brücke zur Domäne des Geistes.

Bei seiner Rückkehr nach Maria-bronn, wo er ein großes Kunstwerk fertigzustellen hofft, ist Hesses Goldmund ein lebenssatter, gealterter Mann mit weißem Bart. Stefan Ruzowitzkys filmische Interpretation erzählt etwas völlig anderes. Er baut den Schluß von Hesses Roman zu einem Klosterkrimi im Stil von „Der Name der Rose“ um und ersinnt ein finsteres Komplott, dessen Exekutiv-organ ein bigotter Mönch namens Lothar (André M. Hennicke) ist. Bei ihm stößt Goldmunds künstlerische Tätigkeit auf erbitterten Widerstand. Mit seiner dogmatischen Haltung wird Lothar, den es im Buch gar nicht gibt, zum Wiedergänger von Bruder Jorge aus Umberto Ecos großem Mittelalterroman.

Mit dieser Ummodelung der Hesse-Erzählung zum Schauplatz des ewigen Streits zwischen dogmatischen christlichen Fundamentalisten und weltoffenen kunstverständigen Humanisten, gelingt abermals der konformistische Anschluß an Debatten der Gegenwart. Auch beim Streit um den „synodalen Weg“ innerhalb der katholischen Kirche geht es schließlich um die unterschiedlichen Positionen von Modernisierern und Traditionalisten. 

Somit löst das Ansehen von „Narziß und Goldmund“ zwiespältige Gefühle aus: Einerseits nimmt für den Film ein, daß er wunderbare Bilder für die von Hesse geschilderte mittelalterliche Welt gefunden hat. Andererseits bleibt eine große Unzufriedenheit zurück, weil einem der Geist der Erzählung nirgends begegnet ist. Stefan Rutzowitzky hat ihn nämlich einfach durch Zeitgeist ersetzt.