© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Schlag ins Wasser
Konterrevolution: Der Kapp-Lüttwitz-Putsch Mitte März 1920 scheiterte am Dilettantismus der Aufständischen und einem Generalstreik
Karlheinz Weißmann

Am 19. Dezember 1919 veröffentlichte Ernst Troeltsch, einer der führenden Köpfe des deutschen Liberalismus, einen Text mit der Überschrift „Welle von rechts“. Die Formel hatte Troeltsch nicht erfunden, aber sie charakterisierte seiner Meinung nach treffend die aufgeheizte Stimmung in Deutschland, die Abwendung von den linken Leitideen, die nach der Novemberrevolution vorgeherrscht hatten, und eine wachsende Bereitschaft zum Umsturz von der Gegenseite. Als Hauptmotiv stellte er neben die Angst vor dem Ausgreifen des russischen Bolschewismus das Andauern der chaotischen Verhältnisse und die Deklassierung des Bürgertums, die nationale Demütigung: „die patriotische Scham und Empörung über das Schicksal Deutschlands, den Betrug von Versailles und die Schwäche der Regierung“. Troeltsch zeigte durchaus Verständnis für diese Haltung, betrachtete sie aber gleichzeitig als unproduktiv, da eine Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Alliierten ausgeschlossen sei und sogar die Wahrscheinlichkeit „deutschnationaler Putsche“ gering.

An diesem Punkt sollte er sich irren. Tatsächlich gab es ein Vierteljahr später mit dem „Kapp-Lüttwitz-Putsch“ ein Unternehmen, das ohne Zweifel dieser Kategorie zugerechnet werden konnte. Die Bezeichnung leitet sich her von den Namen der beiden Anführer des Unternehmens: Wolfgang Kapp, ein hochrangiger preußischer Beamter – zuletzt Generallandschaftsdirektor mit Sitz in Königsberg – und General Walther von Lüttwitz, ein vielfach dekorierter Berufsoffizier, der 1918 von der Übergangsregierung zum vorläufigen Oberkommandierenden der Streitkräfte in Berlin und Umgebung ernannt worden war und den Spartakusaufstand niedergeschlagen hatte.

Kapp gehörte schon in der wilhelminischen Zeit zur „Nationalen Opposition“, als deren Zentrum der Alldeutsche Verband agierte. Während des Krieges verfocht er einen Siegfrieden und gründete in dessen letzter Phase (zusammen mit dem Großadmiral Alfred von Tirpitz) die „Deutsche Vaterlandspartei“. Nach dem Zusammenbruch schloß er sich der DNVP an, arbeitete aber gleichzeitig an Plänen, die auf die Schaffung eines „Oststaates“ abzielten, der bei Preisgabe westlichen Reichsgebiets zum Ausgangspunkt eines neuen Waffengangs gegen die Alliierten werden sollte.

Die Anziehungskraft eines entsprechenden Konzepts erklärte sich aus der Empörung über die im Frühjahr 1919 bekanntgewordenen Bedingungen des Versailler Vertrages. Zu dem Zeitpunkt kam Kapp auch in engeren Kontakt mit Erich Ludendorff, dem ehemaligen Ersten Generalquartiermeister des Heeres, der allerdings keine militärische Funktion mehr besaß, einflußreichen Industriellen wie Hugo Stinnes, und Lüttwitz, der zu jenen Offizieren gehörte, die der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung massive Vorwürfe machten, vor allem in bezug auf deren Bereitschaft, das Diktat der Sieger zu akzeptieren und die Verminderung der Heeresstärke voranzutreiben.

Empörung in den Reihen der Freikorps 

Allerdings gab es innerhalb des Offizierskorps keine geschlossene Front gegen die Regierung, und die Oststaats-Pläne erwiesen sich rasch als obsolet. Zu einer Beruhigung der Lage kam es trotzdem nicht. Das hatte mit der Unfähigkeit der Regierung zu tun, sich den notwendigen Respekt zu verschaffen, der zweifelhaften Legitimation des Parlaments – die Nationalversammlung tagte weiter, obwohl die Verfassung ausgearbeitet war und man Neuwahlen versprochen hatte –, der drastischen Erhöhung der Steuern und der Preise bei gleichzeitig wachsender Inflationsrate.

Dazu kam, daß man einerseits dem alliierten Verlangen nach Abrüstung folgen, andererseits eine funktionsfähige Streitmacht aufrechterhalten wollte. Deren Umbau durch Eingliederung eines Teils der Freikorps in die Reichswehr hatte zwar begonnen, verlief aber stockend. Die Stimmung in den Verbänden, deren Loyalität ihren militärischen Führern, kaum der Republik, gehörte, verschlechterte sich immer weiter.

Zu den Ursachen des Unmuts zählte neben der drohenden Auflösung, den ausstehenden Soldzahlungen und gebrochenen Versprechen vor allem die verweigerte Anerkennung. Denn die Freikorps hatten nicht nur die „rote Gefahr“ fürs erste gebannt, sondern auch den Separatismus im Westen bekämpft und die Grenze im Osten geschützt. Daß die „Baltikumer“ seit dem Sommer heimkehrten und sich beschimpfen und bespucken lassen mußten und die Regierung den Verteidigungskampf in Oberschlesien zu sabotieren schien, löste in den Reihen der Freikorps besonders heftige Empörung aus.

Lüttwitz setzte offenbar auf diese Mischung aus Wut und zielloser Kampfbereitschaft, als er mit Kapp in Verbindung trat. Gemeinsam erwogen sie die Möglichkeit, gegen die Regierung loszuschlagen, bevor die weitergehende Entwaffnung jede Aussicht auf Widerstand gegen die Sieger zerstören würde. Nach Veröffentlichung einer Liste mit den Namen von 895 sogenannten „Kriegsverbrechern“, deren Auslieferung die Alliierten verlangten, glaubte Lüttwitz, daß die Zeit zum Handeln gekommen sei.

Allerdings fand er bei den übrigen hohen Offizieren kaum Rückhalt für seine Entschlossenheit zur „Yorcktat“, also kalkuliertem Ungehorsam im Namen vaterländischer Pflicht nach dem Vorbild der Befehlsverweigerung Yorck von Wartenburgs am Beginn der Freiheitskriege. So groß der Unmut in ihren Reihen war, die meisten hielten einen Putsch für aussichtslos. Trotzdem übergab Lüttwitz am 10. März 1920 dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert eine Liste ultimativer Forderungen, mit denen sich die Regierung gegen die alliierten Bedingungen stellen sollte. Wie zu erwarten, wurde das Ansinnen abgelehnt und Lüttwitz seines Kommandos enthoben.

Lüttwitz und Kapp setzten sich ins Ausland ab

Dessen ungeachtet traf er kurz darauf im Lager Döberitz vor den Toren Berlins ein, um mit Kapitänleutnant Hermann Ehrhardt, dem Kommandeur der II. Marinebrigade, zu sprechen. Beide hatten schon vorher die Möglichkeit eines Putsches erwogen. Angesichts der drohenden Auflösung der Marinebrigade als eines der diszipliniertesten Freikorps schien die Zeit zu drängen, wenn man überhaupt noch aktiv werden wollte.

Lüttwitz erteilte den Befehl, am Abend des 12. März mit dem Marsch auf Berlin zu beginnen. Allerdings scheint Ehrhardt noch nicht entschlossen gewesen zu sein. Er ließ sich jedenfalls auf Vermittlungsversuche ein und stellte einen erstaunlich zurückhaltenden Forderungskatalog auf: Wiedereinsetzung von Lüttwitz, Volkswahl des Reichspräsidenten und Neuwahl eines Reichstages, Straffreiheit für die Verschwörer. Nachdem die Regierung nicht reagierte, ließ Ehrhardt die Brigade in Berlin einrücken.

Auf Widerstand traf sie nicht, obwohl die Nachricht von ihrem Anmarsch rasch verbreitet wurde. Die Regierung hatte, angesichts der Unzuverlässigkeit der Reichswehr und nachdem die Festsetzung Kapps gescheitert war, beschlossen, die Erhebung mittels Generalstreik zu bekämpfen und die Hauptstadt zu räumen; ihren Sitz verlegte sie zuerst nach Dresden und später nach Stuttgart. Die Putschisten nahmen daraufhin das Zentrum Berlins, Kapp erließ eine Deklaration an die Bevölkerung, in der auch betont wurde, daß man keine Restauration des Kaiserreiches plante und die Errichtung einer Militärdiktatur lediglich für eine Phase des Übergangs notwendig sei. Er selbst amtierte als Reichskanzler, Lüttwitz wurde zum Reichswehrminister und Oberbefehlshaber der Truppen in Berlin und Umgebung ernannt.

Praktisch Folgen hatte das allerdings nicht. Was Kapp und Lüttwitz sehr rasch zu spüren bekamen, als die Rechtsparteien eine vorsichtig abwartende Haltung einnahmen, die Beamten auf Einhaltung der Vorschriften beharrten, wenn sie tätig werden sollten, die wichtigsten Befehlshaber die Gefolgschaft verweigerten und sogar die meisten Freikorps – nicht oder zu spät in Kenntnis gesetzt – als Unterstützung ausfielen.

Spätestens als Sozialdemokraten und Gewerkschaften am 14. März zum Generalstreik aufriefen, war klar, daß der Staatsstreich scheitern mußte. Kapp und Lüttwitz hatte da längst der Mut verlassen; Lüttwitz floh nach Ungarn, Kapp setzte sich nach Schweden ab. Die Marine-Brigade Ehrhardt wurde zum 31. Mai aufgelöst. Treffend meinte ein zeitgenössischer Beobachter, Kapp sei „technisch ein Bonaparte, psychologisch ein Hauptmann von Köpenick“ (Erich Koch) gewesen, und selbst innerhalb der „nationalen Kreise“ war man sich einig, daß er wie Lüttwitz am eigenen Dilettantismus scheitern mußte. Beide waren offenbar der Überzeugung, daß der Putsch auf breite Sympathie rechnen konnte und hatten es versäumt, die notwendigen Absprachen zu treffen, die bei der Planung eines Umsturzes notwendig waren.

Das Ruhrgebiet geriet in kommunistische Hand

Anders die äußerste Linke, die den Generalstreik als günstige Gelegenheit begriff, ihren alten Plan eines „deutschen Oktober“ endlich in die Tat umzusetzen. Seit dem Scheitern des letzten Anlaufs im Frühjahr 1919 hatte die KPD mit Vorbereitungen für den Aufbau einer illegalen „Roten Armee“ begonnen. Ende Dezember gab die Parteiführung im Ruhrgebiet Instruktionen für den Fall eines Generalstreiks aus, der als Initialzündung einer Revolution dienen sollte.

Am 14. März waren die ersten bewaffneten „Arbeiterbataillone“ einsatzbereit und begannen einen äußerst brutalen Kampf gegen die relativ schwachen Freikorps und regulären Einheiten im Westen zu führen. Sehr rasch wurde deutlich, daß es ihnen keineswegs darum ging, die „Konterrevolution“ abzuwehren. Vier Tage später war praktisch das gesamte Industrierevier in kommunistischer Hand. Angeblich soll die „Rote Armee“ zu dem Zeitpunkt aus etwa 60.000 Mann bestanden haben, die auch über schwere Waffen verfügten. Erst am 7. April gelang es der Regierung, wieder Herr der Lage zu werden.

Diese Vorgänge haben auf die Bevölkerung letztlich einen stärkeren Eindruck gemacht als das Kapp-Abenteuer. Die „Welle von rechts“ fand ihren Niederschlag jedenfalls auch darin, daß die völkischen, konservativen und nationalliberalen Parteien bei den Reichstagswahlen im Sommer 1920 mit 32,1 Prozent ihren Anteil gegenüber den Wahlen zur Nationalversammlung fast verdoppeln konnten.