© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Reiter der Apokalypse
Die Grünen erleben derzeit einen Höhenflug. Der Journalist Ansgar Graw wirft einen kritischen Blick auf deren verzerrte Weltsicht und ihren Hang zur Apokalypse. Das hält Claudia Reshöft allerdings nicht davon ab, Robert Habeck in ihrer Biographie des Grünen-Vorsitzenden lauter Kußhände zuzuwerfen
Ludwig Witzani

Pausenlos halten uns die Medien mit dem Klimawandel auf Trab. Unwetter, Hitzerekorde, Mißernten und weltweite Fluchtbewegungen werden dem Publikum als Folgen des Klimawandels auf allen Kanälen verkauft. Und geht man sonntags in die Kirche, haut der Pfarrer in die gleiche Kerbe: Der Untergang der Welt steht unmittelbar bevor, und die Menschheit hält Ausschau nach ihren Rettern. Das ist die schlechte Nachricht. 

Die gute Nachricht ist: Diese Retter stehen bereit, genauer gesagt: „sie haben die Macht bereits übernommen“, wie der Welt-Journalist Ansgar Graw behauptet. Die Rede ist von den Grünen, der Partei der Stunde, die sich im Gefolge der Klimapanik in einem beispiellosen demoskopischen Hoch befindet und möglicherweise im nächsten Jahr den Bundeskanzler stellen wird.   

„Es ist gut, daß es die Grünen gibt“, schreibt Graw in bewußter Pointierung, aber „schlimm, daß es so viele sind.“ Denn parallel zum Wachstum der Grünen als Partei entwickelte sich ein „Ökokonformismus“, der inzwischen alle anderen Parteien außer der AfD überwältigt hat. Grund genug für Ansgar Graw, die grüne Bewegung in seinem Buch „Die Grünen an der Macht“ einer systematischen Kritik zu unterziehen.  

Der Hauptvorwurf, den Ansgar Graw den Grünen macht, bezieht sich auf ihre verzerrte Weltsicht. Wir leben im Känozoikum, einer erdgeschichtlichen Kaltzeit, die langsam zu Ende geht, so daß es auch ganz ohne menschlichen Einfluß auf jeden Fall wärmer werden wird. Möglich, daß der Mensch durch die Bevölkerungsvermehrung und den damit verbundenen höheren CO2-Ausstoß zur Erderwärmung beitragen wird, schreibt Graw, aber ausschlaggebend ist dieser anthropogene Einfluß nicht. Dankenswerterweise entlarvt Graw in diesem Zusammenhang den bekannten Obama-Tweet, nach dem 97 Prozent aller Wissenschaftler vom menschengemachten Klimawandel überzeugt seien, als einen der großen Fakes der Wissenschaftsgeschichte. 

Womit wir beim zweiten Kritikpunkt wären: der permanenten Überspitzung sogenannter Gefahrenlagen. Allein sieben Szenarien hat ein Expertengremium der UN entwickelt, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sahel-Zone darzustellen. Einige von ihnen sind durchaus positiv, von grünen Aktivisten werden aber nur die negativen kommuniziert. Diese selektive Rezeption des wissenschaftlichen Forschungsstandes führt Graw auf einen rigorosen „Ökomoralismus“ zurück, nach dem jede Relativierung apokalyptischer Prognosen als „unverantwortlich“ und „menschenverachtend“ gegeißelt wird. Dieser weitgehend kenntnisfreie Ökomoralisms hat inzwischen weite Teile der schulischen Jugend erfaßt, die auf den Marktplätzen unserer Städte hüpfend und skandierend gegen den Klimawandel demonstriert. Eine lückenlose ökomoralische Einheitsfront vom Grundschulkind bis zum Papst ist entstanden, deren Leitfiguren einen gesellschaftlichen Wandel anstreben, der zu den weitgehendsten gehört, den die Weltgeschichte kennt. 

Dabei ist der Unsinn, der den grünen Großprojekten zugrunde liegt, mit Händen zu greifen. Obwohl selbst der maximale Ausbau regenerativer Energien niemals den Energiebedarf einer vollständigen Mobilitätswende zum Elektroauto befriedigen könnte, werden die Abschaffung von Benziner und Diesel ebenso vorangetrieben wie die Abkehr von Kohle und Kernkraft. Diese und andere Beispiele offenbaren für Ansgar Graw den ganzen Irrsinn der ohne wirkliche Folgenabschätzung in Gang gesetzten großen Transformation in die ökologische Sackgasse.   

Dabei stehen längst, wie Graw in den abschließenden Kapiteln zeigt, marktwirtschaftliche Lenkungsinstrumente und technologische Mittel in Aussicht, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. Beispielhaft beschreibt Graw die gesamteuropäische Kernfusionsforschung, deren Finanzierung von den Grünen abgelehnt wird. Ähnlich verhält es sich mit der Gentechnik, Treibstoffoptimierung oder neuartigen Recyclingmethoden.  

Am Ende der Lektüre ist man beeindruckt von der Vielfalt der Aspekte, die der Autor mit einbezieht, aber doch ohne Hoffnung, daß sein Buch irgend etwas bewirken wird, denn die massenmediale Präsenz des Ökomoralismus ist ungebrochen. Diese Verquickung von Ökomoralismus und Presse noch etwas stärker zu beleuchten, würde man dem Buch in einer zweiten Auflage wünschen.   

Wie ausschlaggebend die Macht der Presse ist, zeigt der Werdegang von Robert Habeck, dem Parteichef der Grünen, der wie ein politischer Komet aus der schleswig-holsteinischen Provinz am grünen Himmel auftauchte und den der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges allen Ernstes mit Willy Brandt verglich. Mitten hinein in den aktuellen Habeck-Boom führt das Buch von Claudia Reshöft „Robert Habeck. Eine exklusive Biographie“.  

Um mit dem Positiven zu beginnen: Jedermann, der sich auf der rein erzählerischen Ebene für den Werdegang Robert Habecks interessiert, wird von Claudia Reshöft gut bedient, allerdings so, wie Karl May Winnetou beschreiben würde: voller Ehrfurcht und Bewunderung. Zweifellos muß man zugeben, daß sich der promovierte Habeck von der Mehrheit grüner Mandatsträger mit ihren extrem hohen Studienabbrecherquoten positiv abhebt. Außerdem, auch darin muß man der Autorin zustimmen, besitzt Habeck die seltene Eigenschaft, trotz seiner schwachen Rhetorik eine Wahrhaftigkeit und Authentizität auszustrahlen, die ihn weit über seine politischen Mitbewerber heraushebt. Nach allem, was man in der vorliegenden Biographie lesen kann, repräsentiert er ebenso wie seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock die nicht-kommunistische, bürgerlich-hedonistische und insofern realitätsangepaßtere Variante des grünen Führungspersonals. 

Aber gerade das macht eine Gestalt wie Robert Habeck so problematisch. Denn wie die vorliegende Biographie mehr unfreiwillig als freiwillig enthüllt, ist Robert Habeck in all seiner Modernität doch Fleisch vom Fleisch der Grünen. Bei Ansgar Graw liest man, daß die Grünen regelmäßig die Feierstunden zur deutschen Einheit am 17. Juni schwänzten und daß sie darauf dran-gen, das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes zu streichen. Aus Robert Habeck spricht der gleiche Geist, wenn er in seinem Buch „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“ schreibt: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wußte mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“ Später hat Habeck dieses Bekenntnis abgeschwächt, aber man wird ihm nicht zu nahe treten, wenn man es trotzdem für einen Ausdruck seiner wirklichen Überzeugung hält. Leider verkennt die Autorin völlig die Reichweite dieses Satzes, wenn sie bemerkt, damit hätte sich Habeck lediglich den Zorn der „Ultrarechten“ zugezogen. In Wahrheit schockierte dieser Satz bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein, denn den Menschen außerhalb der politisch-medialen Blase ist das Bewußtsein noch nicht abhanden gekommen, daß Deutschland eine Solidargemeinschaft ist und daß Verzicht und Opfer in einer Solidargemeinschaft leichter fallen als in einer heterogenen Gesellschaft, in der die Lebensverhältnisse „jeden Tag neu ausgehandelt werden“ müssen. 

Mit anderen Worten: Mit Habeck verhält es sich wie mit Gregor Gysi: Eine sympathische Ausstrahlung überdeckt verstörende Einstellungen, ganz zu schweigen von der noch viel brisanteren Programmatik der Parteiorthodoxie, die sich hinter dem Frontmann verbirgt. Es ist kennzeichnend für die vorliegende Biographie, daß die Autorin, ehemalige Reporterin bei Bild der Frau, dergleichen Problemhorizonte einfach rechts liegenläßt. Nirgendwo wird die grüne Binnenbefindlichkeitszone verlassen, nirgendwo wird eine kritische Distanz aufgebaut, die es auch Nichtgrünen möglich machen würde, über das rein Narrative hinaus dieses Buch mit Gewinn zu lesen. Diese „exklusive“ Biographie ist ein Fan-Artikel.

Ansgar Graw: Die Grünen an der Macht. Eine kritische Bilanz. FinanzBuch Verlag, München 2020, gebunden, 304 Seiten, 22,99 Euro

Claudia Reshöft: Robert Habeck – Eine exklusive Biographie. FinanzBuch Verlag, München 2020, gebunden, 208 Seiten, 22,99 Euro