© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Das antifaschistische Ende der Geschichte
Alles Faschos außer Mutti: In Umberto Ecos Sinne ist der Antifaschismus auch die unablässige Schädlingsbekämpfung der bürgerlichen Mitte, die nicht antifaschistisch denkt
Eberhard Straub

Die Geschichte befindet sich in dauernder Bewegung. Alles hat seine Zeit und verändert sich im Laufe der Zeiten. Der Wandel und die Unbeständigkeit aller Verfassungen und Institutionen, Ideen und Prinzipien ist der Inhalt der Geschichte. Die Rede vom ewigen Faschismus, die Umberto Eco 1995 in New York hielt, und die jetzt mit einigen anderen Artikeln zu Migration und Intoleranz auf deutsch erschienen ist, entrückt den Faschismus seiner Zeit und damit seiner konkreten Geschichtlichkeit. Umberto Eco ist der Gegenwart verfallen. Er ist ein Chauvinist der westlichen Wertegemeinschaft und der antifaschistischen Ordnung nach dem Sieg über den Faschismus. Deren Ewigkeit soll endlich das Ende der Geschichte und den Triumph über den Faschismus besiegeln. 

Der Antifaschismus ist für ihn die Erlösung von allen heillosen und damit bösen Kräften, die vor der bunten Welt und ihren köstlichen Versprechen verzagen und sich in ihrer engen Provinz als Menschenfeinde verbarrikadieren, um ihre begrenzte Identität nicht zu verlieren. Umberto Eco unterscheidet sich nicht sonderlich von diesen für ihn sehr beschränkten Patrioten. Denn er beschränkt sich leidenschaftlich auf den Antifaschismus, der ihm in der Gemeinschaft mit allen Antifaschisten eine Identität verleiht, auf die er unter keinen Umständen verzichten mag. Der Antifaschismus ist eine längst massenhaft verbreitete identitäre Bewegung, die zur eindeutigen Legitimation der Neuzeit geworden ist. Das erfreut den enthusiastischen Antifaschisten. 

Antifaschisten müssen aber weiterhin wachsam bleiben, weil der Ur-Faschismus mit seinen dunklen Instinkten und unauslotbaren Trieben, wie er fürchtet, weiterhin fortlebt, gerade in der Mitte der Gesellschaft, die noch nicht vollständig antifaschistisch denkt und fühlt und daher für gefährliche Schwächeanfälle und Unheil sorgt. In der bürgerlichen Mitte lauern für jeden identitären Antifaschisten Gefahren, die beherzt im Krieg gegen Intoleranz, Machismo, virilen Sexismus und Rassismus möglich dauerhaft unschädlich gemacht werden müssen. Antifaschismus ist in Ecos Sinne unablässige Schädlingsbekämpfung vorzugsweise in der bürgerlichen Mitte, weil der Faschismus die Erbsünde der politisch unreifen und deshalb immer noch zum Bösen geneigten Menschen ist, die sich politisch als Mitte und Vermittler ausgeben. Der Antifaschismus wirkt für Umberto Eco mit Erlösungsmacht wie eine neue Religion, um das mysterium iniquitatis, das Geheimnis des Bösen, das sich im satanischen Ur-Faschismus offenbart, zu entlarven und zu vernichten. 

Zum Ur-Faschismus gehört der Kult mit der nationalen Überlieferung, die Ablehnung jedes Anderen, das Mißtrauen gegen Intellektuelle, gegen jede Meinungsverschiedenheit überhaupt, der Hang zur Autorität und autoritären Staaten und Gesellschaften, die Verherrlichung wehrhafter Kämpfer und die Verachtung des Pazifismus und der Friedfertigkeit. 

Der Wille zur Macht drängt die ur-faschistischen Eliten dazu, als Populisten dem Volk ihre Vorstellungen vom populus und seinen Rechten einzuschärfen und sie zu bevormunden und in ihrem Sinne zu erziehen. Vor allem verdächtigen Ur-Faschisten die Demokratie und den Parlamentarismus, korrupt und nur darauf bedacht zu sein, ihr verrottetes System vor jedem Widerspruch abzusichern. Faschisten sind insgesamt Feinde der Modernität, der Toleranz, des Gewährenlassens und der großherzigen Humanität, die jedem Menschen als Menschen und nicht als Wolf und Unmensch begegnet. 

Alle Kulturen vor der postfaschistischen Ära geraten in Verdacht, urfaschistisch zu sein. Die weltbeherrschenden Römer hielten sich für das hervorragendste Volk, sie hingen an ihren Traditionen und an römischen Tugenden, gerade um ihr Imperium zu erhalten und das leidenschaftliche Volk durch die Führung der Besten zu domestizieren und mit der Vernunft vertraut zu machen. Den Parlamentarismus fürchteten die republikanischen Aristokraten, die wie Caesar als Populisten die Wähler und die Massen von sich überzeugten, so daß sie sich seiner Führung überließen. Immerhin war Rom für sämtliche Europäer das unvergessene Vorbild. Ganz Europa blieb also offensichtlich urfaschistisch. 

Selbstverständlich redet der begeisterte Antifaschist nicht von den Kommunisten, die jede geistige und politische Bewegung, die sich gegen sie wehrte, als faschistisch verdammte, also auch die Sozialdemokratie als „Sozialfaschismus“. Wie so viele Antifaschisten stört ihn die Geschichte mit ihren Überraschungen. Die Französische Revolution mag er daher nicht als urfaschistisch verstehen. Die totale Demokratie, die sich in der Schreckensherrschaft 1793/94 im demokratischen Staatsterror vollendete, entsprach allen Kriterien, die Umberto Eco für urfaschistisch hält. Sie war autoritär, intolerant, militaristisch, nationalistisch, energisch im Einsatz gegen die anderen: Katholiken, Aristokraten, Volksfeinde aller Art. Sie wurden als unzuverlässige Demokraten und Verfassungsfeinde eliminiert und liquidiert, um die humanistische Demokratie vor „Ur-Faschisten“ und ihren finsteren Anschlägen zu bewahren. 

Umberto Eco ist wie der Terrorist Robespierre ein Freund der Toleranz. Aber wie die Tugendheroen der Toleranz weiß er, daß es keine Toleranz für Intolerante geben darf, daß Unerträgliches nicht geduldet werden darf. Die demokratischen Terroristen von 1793/94 haben deshalb für Umberto Eco nichts mit Ur-Faschisten zu tun. Sie waren vielmehr wehrhafte Demokraten im Einsatz für die Freiheit. Es lebe der Tod, der neues, wahres Leben ermöglicht! 

Da er jenseits der wechselnden Wirklichkeiten genußvoll in seinen antifaschistischen Phantasien schwelgt, entgeht ihm, wie sehr sein Antifaschismus dem  Faschismus gleicht. Die unhistorischen Antifaschisten, die den besiegten und erledigten Faschismus am Leben erhalten, sind sehr effiziente Faschisten von heute, die Krieg gegen abweichende Meinungen führen müssen, wie der menschenfreundliche Umberto unbedingt fordert. Die Toleranz kennt Grenzen! Der Tolerante muß bereit zum Krieg sein, zum Krieg gegen alle, die aggressive, einfältige Provinzler sind!  

Europa war während seiner langen Geschichte immer bunt, eine Gemeinschaft aller möglichen Kulturen und Lebensformen. Der dauernde, homogenisierende Antifaschismus des Umberto Eco ist freilich der Feind der Vielfalt und der Buntheit. Ruhe und Glück kann es nur geben, wenn Antifaschisten endlich den Ur-Faschismus besiegt haben. Der Antifaschist strebt nach einem tausendjährigen Reich des kämpferischen und kriegerischen Antifaschismus. Wie alle Ideologen verweigert er sich der Wirklichkeit. Sie taugt nichts und muß überwunden werden, bis endlich alle zu Antifaschisten und aus Ur-Faschisten Menschen geworden sind. 

Umberto Eco: Der ewige Faschismus. Carl Hanser Verlag, München 2020, gebunden, 77 Seiten, 10 Euro