© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Dem Geheimen nur auf der Spur
Der US-Historiker Robert E. Lerner hat eine beachtenswerte Biographie über den Großintellektuellen Ernst Kantorowicz vorgelegt
Karlheinz Weißmann

Das Interesse an Ernst Kantorowicz ist Konjunkturen unterworfen. Als in den 1990er Jahren sein Spätwerk „Die beiden Körper des Königs“ entdeckt wurde, hatte das nicht nur mit einer neuen Aufmerksamkeit für die mittelalterliche Geschichte oder einen strukturalistischen Zugriff zu tun, sondern auch mit dem Enthusiasmus für alles, was zur Exilliteratur gezählt werden konnte. 

Dann folgte einige Zeit später die Forschungswelle zur Konservativen Revolution und zu Stefan George und an deren Rand ein gewandeltes Verständnis für die Disposition Stauffenbergs als Mitglied des „Kreises“. Dementsprechend konnte auch das unerwartet aufgetauchte Manuskript von Kantorowicz mit seiner Rede über das „Geheime Deutschland“ aus dem Jahr 1933 auf Beachtung rechnen. Davon abgesehen, hat Kantorowicz immer Leser gefunden, auch und gerade außerhalb des Fachs Geschichte. Das gilt nicht zuletzt für seinen genialen Erstling, das Buch über den großen Staufer Friedrich den Zweiten.

Eine Biographie bedarf angesichts dessen keiner Rechtfertigung. Allerdings stellt sie an den Verfasser besondere Anforderungen. Das hängt zum einen mit Kantorowicz’ weitgespannten Interessen und dem hohen Spezialisierungsgrad einiger seiner Forschungen zusammen, aber auch mit dem mehrfachen – auch mehrfach erzwungenen – Ortswechsel, der das Zusammentragen der Quellen erschwert. In Posen, der Hauptstadt der gleichnamigen preußischen Provinz, als Sohn eines wohlhabenden deutsch-jüdischen Fabrikanten geboren, siedelte Kantorowicz in Folge der polnischen Annexion seiner Heimat 1918 nach Deutschland über, machte als Außenseiter eine bemerkenswerte akademische Karriere im Reich, bis ihn das NS-Regime zur Auswanderung in die USA nötigte.

Diese ganze Entwicklung zeichnet Robert E. Lerner in seiner aus dem Amerikanischen übersetzten Buch nach. Faktisch handelt es sich um die erste Biographie Kantorowicz’, die wissenschaftlichen Maßstäben genügt. Dabei kann Lerner viele Sachverhalte klären und auch mit Legenden aufräumen, die sich – mangels belastbarer Informationen – in bezug auf die frühen Jahre gebildet hatten. Außerdem ist ihm ein vollständigeres Bild der zweiten Lebenshälfte von Kantorowicz zu verdanken, die er in den Vereinigten Staaten verbrachte.

Was dabei deutlich wird, ist nicht nur, daß Kantorowicz ein origineller, intelligenter und begabter Mann war, sondern auch, daß er ein außergewöhnliches Maß an innerer Unabhängigkeit besaß. Was den zweiten Punkt betrifft, hebt Lerner hervor, mit welcher Festigkeit Kantorowicz in der McCarthy-Ära den Loyalitätseid verweigerte, nicht, weil er zu den „Roten“ zählte, sondern weil ihm staatliche Gesinnungsriecherei zuwider war. An seiner Sympathie für dieses Verhalten läßt der Verfasser keinen Zweifel.

Dieselbe Bereitschaft zum Verstehen läßt Lerner allerdings im Hinblick auf den jungen Kantorowicz und die Zeitumstände der 1920er Jahre vermissen. Man spürt förmlich, wie der Autor darunter leidet, erklären zu müssen, daß sein Held nicht nur ein Dandy und Libertin war – was heute allemal verzeihlich scheint –, sondern auch der Verehrer eines „Meisters“, dessen autoritäres Gebaren als ebenso antiliberal wie antidemokratisch bezeichnet werden muß. Hinzu kommt, daß Kantorowicz als ehemaliger Kriegsfreiwilliger und Frontkämpfer sich mehrfach Freikorps angeschlossen hatte, einmal, um die Abtrennung Westpreußens zu verhindern, ein anderes Mal, um die Räteherrschaft in München niederzuschlagen. Daß Kantorowicz ein Nationalist und Revanchist war, begreift Lerner so wenig wie dessen faktische Nähe zu den Ideen der Konservativen Revolution. 

„Friedrich der Zweite“ dürfte eines der einflußreichsten Werke aus der Feder eines Jungkonservativen gewesen sein. Diese weltanschauliche Verortung erklärte aber nicht nur seine Bereitschaft, alles zu tun, um den Diktatfrieden von Versailles abzuschütteln, sondern auch die prinzipielle Distanz zur Republik, der er weder die Schwäche noch das Biedere, Unansehnlich-Graue verzeihen konnte. Selbst nach Hitlers Machtübernahme hoffte er noch auf die Herabkunft des „deutsch-olympischen Götterreiches“, der „civitas Dei germanica“.

Daß das braune nicht das „Neue Reich“ war, von dem George gesprochen hatte, wurde Kantorowicz aufgrund seiner jüdischen Herkunft rasch und unmißverständlich klargemacht. Das Gerücht, daß sein „Friedrich der Zweite“ auf Hitlers oder Goebbels’ Nachttisch gelegen haben könnte, entlarvt Lerner als Phantasmagorie. Zwar wurde das Buch 1936 noch einmal nachgedruckt, aber nach dem Ende des Krieges äußerte Kantorowicz, daß er bedaure, es jemals geschrieben zu haben. Selbstverständlich kann man auch in den Arbeiten zur mittelalterlichen Geschichte, die er in der amerikanischen Zeit veröffentlichte, noch etwas von der besonderen Perspektive und den Fragestellungen der Anfänge finden. Aber Lerner hebt zu Recht den tiefen Bruch hervor, den „EKa“ vollzogen hat und den man angesichts des eigenen und des Schicksals mancher Angehörigen ebenso begreiflich wie tragisch finden wird.

Robert E. Lerner: Ernst Kantorowicz. Eine Biographie. Klett-Cotta, Stuttgart 2020, gebunden, 554 Seiten, Abbildungen, 48 Euro