© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Da-da-da-daa
Das 250. Jubiläumsjahr Ludwig van Beethovens geht auch am Büchermarkt nicht spurlos vorbei. Matthias Henkes Beitrag ist aber kein großer Wurf
Markus Brandstetter

Es gibt zwei Arten von Biographien. Einmal, diejenigen, in denen das Leben eines berühmten Mannes (oder einer berühmten Frau) chronologisch darstellt wird. In denen fängt der Biograph mit der Geburt an, berichtet von Elternhaus, Schule und Ausbildung, schildert danach die Kämpfe, Irrungen und Wirrungen zur Lebensmitte, welche die Grundlage für die Werke und Taten bilden, weshalb die Person wichtig ist, und berichtet schließlich von Alter, Tod und Nachruhm. 

Und dann gibt es die anderen Biographien. jene, die irgendwo anfangen, woanders weitermachen und ganz woanders aufhören. Diese Autoren schmeißen Leben und Werke, Freunde und Feinde, Förderer und Konkurrenten und die Welt darum herum in einen großen Topf und rühren solange darin herum, bis ein dicker Brei entstanden ist, der aber keinem schmeckt, weil er schon bald den Durchblick verloren hat.

Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen wie den großartigen Mozart-Biographen Wolfgang Hildesheimer, der den Salzburger Genius nicht als marmorglatten Monolithen präsentiert, sondern als ein zackig aufragendes Gebirge, das er dann von allen Seiten gründlich beleuchtet. Aber solche Leute sind selten.

Matthias Henke, ein emeritierter Professor für Musikwissenschaft an der Universität Siegen, hat sich in einer neuen Beethoven-Biographie für die diskontinuierliche Herangehensweise entschieden, aber er beherrscht sie nicht. Er beginnt mit Beethovens Tod, erwähnt seine Geburt erstmals auf Seite 57, erzählt dann aber kapitellang von Beethovens Brüdern und Freunden und der schwierigen Beziehung des Komponisten zu ihnen allen. Das führt dann dazu, daß die traurige Geschichte von Beethovens Kampf um die Vormundschaft des Sohnes seines Bruders bis zum Buchende insgesamt vielmal berichtet wird.

Aber vielleicht ist der Autor kein großer Erzähler, dafür aber ein um so besserer Kenner der Materie, der Beethoven und seine Werke in einem neuen Licht zeigt? Leider auch nicht. Von Beethovens Werken, wie sie entstanden und aufgebaut sind und wie sie sich von denen der Zeitgenossen unterscheiden, erfährt der Leser fast nichts, im ganzen Buch gibt es nicht ein Notenbeispiel. Erfährt er doch einmal etwas, ist es entweder trivial oder falsch. Daß das Hauptthema von Beethovens fünfter Sinfonie – das berühmte Da-da-da-daa – ein „Viertonmotif mit dreifacher Tonrepetition und anschließendem Terzfall“ ist, sagt dem Leser gar nichts. Daß die mittlere Variation im vierten Satz der Eroica aus einem Verbunkos, also einem ungarischen Werber-Tanz, den Henke dann auch noch als „Roma-Musik“ etikettiert, bestehen soll, ist unfreiwillig komisch, wenn man weiß, daß der ganze Satz von großen fugierten Variationen über Beethovens eigenes Prometheus-Thema dominiert wird, die der Autor aber nie erwähnt. Und die alten Geschichten, daß Beethoven 1792 nach seiner Ankunft in Wien weniger bei Haydn, als bei einem gewissen Johann Schenk Kontrapunkt studiert hätte und Antonie Brentano und nicht Josephine von Deym die „unsterbliche Geliebte“ des Komponisten gewesen sei, sind von der Forschung widerlegt (Schenk) oder auch stark in Frage gestellt (Brentano). 

Ohnehin erstaunen die vielen Fehler in dieser Biographie: So ereignete sich Beethovens Bruch mit seinem ersten wichtigen Mäzen, dem Fürsten von Lichnowsky, 1806 und nicht 1807, und ob der Komponist die denkwürdigen Sätze: „Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen“, überhaupt gesagt hat, ist nicht bewiesen. Deshalb kann man Beethoven auch nicht als „Jakobiner im Geiste“ bezeichnen, was man auch daran sieht, daß der Komponist lebenslang der Darling des österreichischen Adels war, seine Werke fast ausschließlich Menschen mit einem „von“ vor dem Namen gewidmet hat, sein Haupteinkommen jahrzehntelang aus Apanagen adeliger Mäzene bezog und sich mehrfach in seine durchweg adeligen Klavierschülerinnen verliebte.

Und dann wäre da noch der Schreibstil. Der Autor bedient sich eines angestaubten Spiegel-Tonfalls, der sich, wie bei seinem großen Vorbild, durch eine garantiert humorfreie Ironie auszeichnet, die sich wie Mehltau über alles legt, was da geglaubt, gemeint und gemutmaßt wird. Dazu kommen jede Menge gesuchter Wörter wie „schubladisiert“, „alludiert“ oder „soziabel“, während jeder Klavierschüler Beethovens, auch der längst erwachsene Erzherzog Rudolph von Österreich, ausnahmslos als „Eleve“ betitelt und alles, was der Autor mißbilligt, als „krude“ abgetan wird. Der Philosoph Arthur Schopenhauer hat einmal treffend festgestellt, daß ein Autor, der solche Ausdrücke braucht, nichts zu sagen hat.

Matthias Henke: Beethoven. Akkord der Welt. Biografie. Carl Hanser Verlag, München 2020, gebunden, 432 Seiten, 26 Euro