© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Merkels Undercover-Autokratie
Gertrud Höhler klagt abermals die Regierung von Angela Merkel an und attestiert der Kanzlerin eine Verletzung parlamentarischer Spielregeln
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Das neueste Buch Gertrud Höhlers, langjährige Universitätsprofessorin Politikberaterin und Bestsellerautorin, ist ein erneuter geballter Angriff gegen die Bundeskanzlerin, deren Regierungsstil sie bereits 2012 in ihrer Merkel-Kritik „Die Patin“ ins Visier nahm. 

Höhler erinnert nochmals an Angela Merkels unterkühlte Reaktion auf die freiheitlichen DDR-Montagsdemonstrationen im Herbst 1989, für deren Beteiligung sie keinen Anlaß sah – „das bringt doch nichts“. Ein flammendes Bekenntnis zum endlich erreichten freiheitlichen Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland habe es bei der früheren FDJ-Funktionärin seltsamerweise nie gegeben.

Die größten Vorwürfe an Merkel, welche nachhaltig „Sprengstoff in Europa“ seien, erhebt die Verfasserin einmal gegen deren „Willkommensgruß“, als unter ihrer Schirmherrschaft Hunderttausende Migranten unkontrolliert über unsere Grenzen kamen. Dies war nicht nur eine Verletzung der Spielregeln parlamentarischer Kontrolle (der Bundestag hätte befragt werden müssen), sondern ebenso ein Verstoß gegen EU- und deutsches Recht. Nicht zuletzt begrenzten die enormen Kosten für unser Sozialstaatsprinzip das Asylrecht. Stehe sie mit ihren „glamourösen Humanitas-Ansprüchen“ über dem Gesetz? 

Den deutschen Atomausstieg begründete sie mit dem Seebeben im fernen Japan, das habe bei ihr – nach drei Monaten – „persönliche Betroffenheit“ ausgelöst. Merkels Verstaatlichung der Energiewirtschaft sowie die planwirtschaftliche Umsteuerung der Energiequellen wertet das Buch als „Großangriff auf die soziale Marktwirtschaft“ und als einen „wachsenden planwirtschaftlichen Staatskapitalismus“. So fragt die Autorin mit Recht nach den Juristen, die jene Rechtsbrüche hätten verhindern müssen. 

Merkels Regierungssystem charakterisiert sie mit Autoritätsgläubigkeit und Feigheit der Abhängigen, für Andersdenkende gebe es keinen Platz. Autoritätsgehorsam sei eben einfacher als Selberdenken. Der BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen wurde abgesetzt, weil er der Kanzlerin widersprach; daß Journalisten dies unkritisch hinnahmen und sogar noch bejubelten, werfe ernste Fragen auf. Liegt es in Merkels Vergangenheit begründet, daß sie die CDU nach links schob – was einen Identitätsverlust bedeutete? Linksdrift wurde CDU-Programm, so daß bald auch gemäßigt konservative Positionen vom Verdacht der „Rechtslastigkeit“ erreicht wurden. „War die CDU so autoritätsgläubig, daß ihre Mandatsträger längst gewöhnt sind, den Amtsbonus mit der Weisheit des Amtsträgers zu verwechseln?“ Abschließend heißt es bei der Autorin: „Merkel ist Mainstream in Deutschland, alle schwimmen mit…“

In Deutschland herrsche nicht der Souverän, sondern der Staat. Merkel beanspruche über dem Gesetz Generallizenzen für sich, statt sich demokratisch unter das Gesetz zu stellen wie alle Bürger. Ihre Politik erhöhe die Rechtsunsicherheit und entziehe dem Rechtsstaat somit Vertrauen. Das Plagiat des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg hätte sie nicht mit Phrasen entschuldigen, sondern verurteilen müssen! Nach den recht offenen Worten der Verfasserin strebe Merkel nicht weniger als die Entmachtung des Parlaments an, sie spricht sogar von deren „Undercover-Autokratie“. Ihr Ziel sei ein metademokratischer Überwachungskapitalismus. Die staatliche Gewalt? Sie habe weder die erforderliche Manpower, ebenso fehle es – zumindest nach nicht unbestrittener Ansicht der Autorin – an Bereitschaft, auf die neuen Herausforderungen entschlossen zu reagieren.

Der Leser bekommt in Höhlers Buch aber auch manch harte Worte über die Deutschen serviert. Angela Merkel habe von Anfang an auf unsere Schwächen gesetzt, nämlich „Anpassungsbereitschaft, Ehrfurcht vor Autoritäten, Statusgehorsam, Geltungsbedürfnis“. Fast zwei Drittel der Bevölkerung meinten, man müsse aufpassen, zu welchem Thema man sich wie äußere. Weit über die Hälfte der Deutschen rede von ungeschriebenen Gesetzen, jeder zweite erachte die Political Correctness für übertrieben. Doch daß sie sich dem Druck verweigern, sagten sie auch heutzutage nicht. Wer opfere schon seine Karriere für seine Meinungsfreiheit. Das war aber auch schon vor 1989 recht selten der Fall. 

Der Leser vermißt in Höhlers Buch eine ermutigende Perspektive für das Deutschland von morgen – aber vielleicht ist das für ein „Requiem“ auch zu viel verlangt.

Gertrud Höhler:  Angela Merkel. Das Requiem.  Econ-Verlag, München 2020, gebunden, 351 Seiten, 24,99 Euro