© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

„Wir brauchen eine Revolution“
Neuwahlen, Reform, politische Wende – all das reicht nicht mehr, sagt der Publizist und Krisenökonom Markus Krall. In seinem eben erschienenen Buch fordert er ein „zweites 1989“, den bürgerlichen Umsturz unserer Verhältnisse. Warum?
Moritz Schwarz

Herr Dr. Krall, Sie rufen in Ihrem neuen, gleichnamigen Buch nach einer „bürgerlichen Revolution“. Meinen Sie das ernst  oder ist das nur ein Vermarktungstrick?   

Markus Krall: Nein, wir brauchen eine Revolution der inzwischen sozialistischen Verhältnisse hier, um wieder die freie Republik zu werden, die wir waren und gemäß Grundgesetz sein müßten. 

So mit Forken und Dreschflegeln?

Krall: Gewalt unterstellen mir gerne  linke Kritiker. Ich fordere aber eine bürgerliche Erhebung in der Tradition der Friedlichen Revolution von 1989.

Sie sind also kein Verfassungsfeind?

Krall: Im Gegenteil, dem Grundgesetz soll ja wieder Geltung verschafft werden, indem, wie 1989 in der DDR, die Kraft der bürgerlichen Freiheit ein sozialistisches System besiegt. Es gibt aber Leute, die einen gewaltsamen Umsturz wollen. Doch finden Sie die nicht auf der bürgerlichen, sondern auf der linken Seite. Leute, die etwa gerne, wie jüngst in Kassel geäußert, „das eine Prozent Reiche“ erschießen würden – was übrigens 800.000 Menschen wären. 

Die Uno sprach im Bosnienkrieg ab 200.000 Opfern von „Völkermord“. 

Krall: Eben, doch angeblich war das ein Scherz. Nur konnte ich keine Ironie heraushören. Auch nicht aus Parteichef Riexingers zynischer Gulag-Andeutung: „Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein.“ Tatsächlich hat die Linke der Gewalt nie abgeschworen. Das zeigt nicht nur, daß sie von ihr träumt, sie lebt sie in Gestalt der Antifa auch aktiv aus – was in den Medien tabuisiert wird. Denn sie unterstützt diese gewalttätige Organisation, die in den USA von der Regierung als „terroristisch“ eingestuft wird, wie nicht erst der weitere Vorfall auf dem Linken-Strategietag in Kassel gezeigt hat, als ein Kreisvorsitzender sagte, es ginge darum „Staatsknete aus dem Parlament abzugreifen“ und „Informationen aus dem Staatsapparat den Bewegungen zuzuspielen“ und darauf hinwies, daß es „in jeder Stadt eine vernünftige Antifa“ gebe, der man Geld zukommen lassen solle.

Sie sagen „bürgerliche Revolution“, aber wir sind doch eine bürgerliche Gesellschaft.

Krall: Sie täuschen sich. Und das zeigt sich auch daran, wie das sogenannte bürgerliche Lager auf diese jüngste Offenbarung der genozidalen Natur der Linken reagiert hat. Nämlich wie immer, wenn diese zutage getreten ist: Erst gespielte Aufregung, dann Achselzucken. Tatsächlich gibt es kaum noch eine bürgerliche Mitte. Vor allem in der Union, die weitgehend sozialistisch unterwandert ist. Die FDP spricht viel von bürgerlicher Freiheit, paßt sich aber doch dem linken Mainstream an. Und die angeblich bürgerlichen Grünen unterscheiden sich nur graduell von der Linken. Während die verzweifelte SPD mit diesen in einen linken Überbietungswettbewerb eingetreten ist, den sie nur verlieren kann. Doch muß man einräumen, daß die Sozialdemokraten dabei ein so spektakulär bizarres Schauspiel bieten, daß sie dafür eigentlich Eintritt nehmen könnten.

Als Demokratie brauchen wir keine Revolution, wir haben Wahlen, um politische Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Krall: Nein, so einfach ist das nicht. Allerdings sind Wahlen Teil meines revolutionären Programms: Ich rufe dazu auf, alle friedlichen Mittel für die Revolution zu nutzen, natürlich auch Wahlen. 

Mancher wird Sie fragen, warum nicht einfach AfD wählen?

Krall: Die AfD ist ein notwendiges Korrektiv, auch wenn sie, wie die anderen auch, nicht „meine“ Partei ist. Mir geht es aber nicht einfach um eine andere Regierung, sondern darum, vom Parteienstaat wegzukommen und den freiheitlichen Bürgerstaat wiederherzustellen. Die Revolution soll die Parteien auf die Rolle zurückdrängen, die das Grundgesetz für sie vorsieht, nämlich „am Willensbildungsprozeß des Volkes mitzuwirken“. Realität ist derzeit, daß sie ihn übernommen haben. Der Parteienstaat, der sich entwickelt hat, ist der Usurpator der Freien Republik des Grundgesetzes.  

Sie betonen auch, Ihre Revolution sei keine Frage von links oder rechts.

Krall: Ja, nehmen Sie die AfD: Sie hat einen „rechten Rand“, den sie wegen unseres mißratenen Parteiengesetzes kaum los wird. Das muß sie aber, auch weil es bei der Bürgerrevolution in der Tat nicht um rechts gegen links, sondern um Freiheit contra Sozialismus geht. Und der rechte AfD-Rand ist sozialistisch, also ebenso gefährlich wie linke Sozialisten.  

Sie warnen: Auch die planen eine Revolution, allerdings keine bürgerliche. 

Krall: Kein Zweifel, daß die Linke nur auf die kommende Krise wartet, um, wenn sie kann, diese zu nutzen, hierzulande wieder eine Gewaltherrschaft zu errichten. Das „eine Prozent Reiche erschießen“ war kein „Unfall“, sondern eine Art  „Freudscher Versprecher“, der offenbart, was tatsächlich gewollt ist. 

Ist das nicht übertrieben? 

Krall: Ganz und gar nicht, Sie verstehen nicht, daß die Linke sich nur scheinbürgerlich gibt und auf ihre Stunde wartet.  

Könnte es nicht sein, daß die Ursache Ihrer radikalen Sicht, Herr Dr. Krall, Ihre eigene Radikalität ist, und gar nicht die anderer?

Krall: Natürlich habe ich eine Position: die eines Libertären in der sozialphilosophischen Tradition der „Österreichischen Schule“, wie sie von den Ökonomen Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises entwickelt wurde. Deshalb sehen mich einige als „Wirtschaftsradikalen“. Tatsächlich aber kann diese Schule als einzige empirisch evident das erklären, was wir in der Realität erleben. 

Sind Sie sich da so sicher? Denn nach Ihrer Ansicht ist die Lage revolutionär. Das sehen die meisten Bürger nicht so. Ist das nicht ein weiterer Hinweis darauf, daß sich die Ereignisse vielleicht eher in Ihrem Denken überschlagen als in der Wirklichkeit? 

Krall: Ich verstehe, daß dieser Eindruck entstehen kann – wenn man nicht durchschaut, daß wir nur in einer Wohlstandsblase, einer Scheinblüte leben. Die nämlich immer entsteht, wenn sich eine Gesellschaft, so wie wir es getan haben, für Planwirtschaft entschieden hat. 

Warum das? 

Krall: Weil die Ausgaben dann nicht nach ökonomischer Notwendigkeit, sondern politischer Erwünschtheit erfolgen. So wird zum Beispiel statt in Infrastruktur das Geld lieber in Transfergeschenke an die Bürger gesteckt, die es verkonsumieren. Dieser Geldsegen erzeugt natürlich zunächst den Eindruck einer Blüte. Die aber gar nicht existiert, weil sie nicht Folge erwirtschafteter Überschüsse ist, sondern des Verbrauchs der Substanz. Denn das Geld, mit dem diese eigentlich regeneriert werden müßte, wird ja an die Wähler verteilt. Am Ende ist es alle, die Infrastruktur verrottet und keine Mittel vorhanden, sie zu sanieren.       

Laut Lenin entsteht die revolutionäre Situation dann, „wenn die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen“. Sind wir wirklich schon soweit? 

Krall: Noch nicht, aber bald. Weil die Wirtschaftskrise, der wir uns bisher schon mit Siebenmeilenstiefeln genähert haben, so epochal sein wird wie die von 1929. Sie wird offenbaren, wie viel Substanz unsere Wirtschaft bereits verloren hat. Etwa unsere Autoindustrie, deren massive Erosion die Regierung, fast könnte man sagen, absichtlich herbeigeführt hat – aus ideologischer Verblendung und fachlicher Inkompetenz. 

Im Buch behandeln Sie unter anderem vier bürgerliche Institutionen, die so erodiert seien, daß sie einer friedlich-revolutionären Revision bedürfen – eine ist die Elite. 

Krall: Deren Inkompetenz Folge adverser Selektion, also Negativauswahl, ist. Warum? Erstens weil unser politisches System Unqualifizierten ein Einkommen ermöglicht, das weit über ihren sonstigen Möglichkeiten liegt. Tatsächlich hat ein großer Teil unserer Abgeordneten de facto einen Hartz-IV-Lebenslauf. Nicht einmal 1.000 Euro würden sie im Monat verdienen, in der Politik aber sind es über 10.000 Euro. Zweitens werden Kompetente durch die Inkompetenten immer mehr verdrängt. Oder aber, und das sind jene, bei denen sich Kompetenz mit Skrupellosigkeit paart, sie passen sich opportunistisch der Inkomptenz an, weil ihr Interesse nicht gute Politik, sondern Karriere ist. 

Ist das nicht stammtischhaft simplifiziert?  

Krall: Meinen Sie? Lieber Herr Schwarz, Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Kompetente in der Politik nicht längst auf institutionalisierte Imkompetenz treffen, so daß sie keine Chance haben, wenn sie sich ihr nicht unterwerfen.

Folgt man Ihrem Buch, kommen zwei Momente zusammen, die im Leninschen Sinne die Zeit bald reif sein lassen: ökonomische Krise und Entbürgerlichung. 

Krall: Ja, die Wirtschaftskrise wird zu einem massiven ökonomischen Vertrauensverlust der Bürger führen. Dazu kommt ein moralischer Vertrauensverlust, den die Entbürgerlichung unserer Eliten seit Jahren bewirkt. So haben sie in den letzten knapp zehn Jahren die Herrschaft des Rechts in Wirtschaft und Finanzen systematisch untergraben: Die Regierung stellt sich über das Recht, beugt und bricht es. Und das Proporzwahlsystem, das die Richter unserer obersten Gerichte bestimmt, sorgt dafür, daß diese der Politik nie ernsthaft in den Arm fallen. Mit der Grenzöffnung 2015 wurde die Verkehrung der Herrschaft des Rechts in eine Herrschaft über das Recht auf einen weiteren wichtigen gesellschaftlichen Bereich ausgedehnt. Und als sich viele Bürger dagegen wehrten, begann ein dritter Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit: indem man Mittel schuf, die Kritik zu zensieren und indem jeder, der sich kritisch frei äußert, von beruflichen und gesellschaftlichen Konsequenzen bedroht sein kann.

Sie fordern, zur Eindämmung der Macht der Elite das Wahlrecht der Bürger zu beschneiden. Das ergibt doch keinen Sinn.  

Krall: Das ist keine Forderung, sondern ein Vorschlag – auf den sich natürlich alle gestürzt haben, inklusive der SPD mit einem Video. Damit würden tatsächlich die Parteien und nicht die Bürger beschnitten, auch wenn das im ersten Moment andersherum erscheinen mag. Denn unsere Demokratie beruht inzwischen auf Stimmenkauf, wozu die meisten Bürger für ein Linsengericht bereit sind – sprich für Transferleistungen, von Hartz IV bis zu Unternehmenssubventionen, die ihnen die Parteien im Wahlkampf versprechen. Deshalb mein Vorschlag: Entweder man erhält Transfers oder man übt sein Wahlrecht aus – jeder Bürger muß sich entscheiden.

Viele sind auf Sozialtransfers angewiesen und können gar nicht „entscheiden“.

Krall: Irrtum, sie glauben darauf angewiesen zu sein, weil sie sich davon abhängig gemacht haben. Was würde denn passieren? Zum einen würden die meisten erstmals über ihr Wahlrecht nachdenken – und daß dies ein wertvolles staatsbürgerliches Recht und keine Selbstverständlichkeit ist. Zum anderen würde wohl, aus dem von Ihnen genannten Grund, die Zahl der Wähler erheblich sinken. Wählen würden dann vor allem jene, die nichts von Transfers halten und die Politik würde Transfers abbauen, da sie keinen Nutzen davon hat. Das würde jene, die sich für Transfers entschieden haben, zwingen, sich wirtschaftlich auf eigene Beine zu stellen. Übrig blieben die, die wirklich Transfers brauchen, weil sie zu Eigenverantwortung wirklich nicht in der Lage sind. Das System würde also die Bequemen und Faulen von den Schwachen, für die der Sozialstaat ja eigentlich nur da sein soll, trennen und erstere anleiten, sich, erzogen von der Realität, von Leistungsempfängern zu Staatsbürgern zu entwickeln. Die schließlich ihre neue Selbständigkeit genießen und künftig lieber wählen, statt ihr Wahlrecht zu verkaufen. Es wäre die Bürgergesellschaft, die sich das Grundgesetz eigentlich wünscht!

Abgesehen davon, ob das in der Realität funktioniert – es ginge auf Kosten der Schwachen, die nur Nachteile hätten. 

Krall: Ziel ist nicht, diese zu benachteiligen, sondern den entpolitisierenden Transferleistungsstaat mit seiner Machtübernahme durch die Parteien zu verhindern. Die Idee ist ja, den Bürger vor eine Wahl zu stellen! Wer wirklich nicht ohne Transfers leben kann, der hat diese Wahl ja gar nicht und soll sich auch nicht entscheiden müssen – sondern darf auch wählen, wenn er Transfers braucht. Für die Faulen darf das aber nicht gelten. 

Ausgangspunkt für Ihr Revolutionskonzept ist eine Wirtschaftskrise, die Sie in unserem letzten Interview für Herbst 2020 prognostiziert haben. Inzwischen haben wir die Corona-Krise. Gilt da Ihr Zeitplan noch?

Krall: Ich habe immer gesagt, meine Prognose steht unter dem Vorbehalt, daß kein außergewöhnliches Ereignis kommt. Und daß unsere ökonomische Situation so erodiert ist, daß wir einen externen Schock nicht verkraften. Beides ist nun durch die Corona-Krise gegeben, die zu einem neuen Schwarzen Montag geführt hat und das Eintreten des von mir prognostizierten Höhepunkts der Wirtschaftskrise eher im Frühjahr oder Sommer wahrscheinlich macht. Bis dahin werden wir wohl noch starke Schwankungen und – vergebliche – Interventionen der Zentralbanken erleben.

Da sind sich die Experten keineswegs einig, viele widersprechen Ihnen: Sie unterschätzten zum einen massiv die Möglichkeiten der Zentralbanken, zum anderen die Komplexität wirtschaftlichen Geschehens, das so genaue Prognosen völlig unmöglich mache. 

Krall: Ja, ja, ich kenne die Argumente. Ich sage auch nicht, daß es garantiert so kommt, sondern nur, daß dies sehr wahrscheinlich ist. Im übrigen, nicht ich unterschätze die Mittel der Zentralbanken, sondern diese überschätzen sie. Ich sage Ihnen, es hat sich „ausbazookat“!   

Mario Draghi rühmte sich bekanntlich, die Eurokrise mit einer geldpolitischen „Bazooka-Panzerfaust“ zu bekämpfen. Doch wie schwer wird der von Corona verursachte Teil der Krise und wann flaut er ab? 

Krall: Man wird uns erzählen, Corona sei schuld an der Wirtschaftskrise, in die wir nun eintreten. Lassen Sie sich das nicht einreden! Wie groß der Anteil ist, darüber wird von nun an zwar viel gestritten werden und zweifellos ist er veritabel. Aber Corona ist nur der erste Dominostein, der Auslöser, nicht Ursache der kommenden Depression. Die liegt, wie wir in unserem letzten Interview ausführlich analysiert haben und wie es in meinen früheren Büchern beschrieben ist, darin, daß EZB, EU und Bundesregierung nichts getan haben, um Ökonomie und Finanzen nach den letzten Krisen auf gesunde marktwirtschaftliche Füße zu stellen. Sondern durch eine ideologische Politik – skrupellos gegenüber den Bürgern, die am Ende bluten müssen – deren Substanz sogar weiter ausgehöhlt haben.    






Dr. Markus Krall, der Volkswirt, Unternehmensberater und Risikomanager, geboren 1966 in Aschaffenburg, ist bekannt durch seine Bücher „Der Draghi-Crash“ (2017) und „Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen“ (2018) sowie durch etliche Medienauftritte. Nun ist sein neues Buch erschienen: „Die bürgerliche Revolution. Wie wir unsere Freiheit und unsere Werte erhalten“.  

Foto: Protestierende Bürger: „Diese Wirtschaftskrise wird zu einem massiven ökonomischen Vertrauensverlust führen, der zum moralischen Vertrauensverlust der Menschen gegenüber der Elite hinzukommt ... Es geht nicht um eine andere Regierung, sondern darum, die Parteien zurückzudrängen und den freiheitlichen Bürgerstaat des Grundgesetzes wiederherzustellen“

 

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