© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

„Ernsthaft in Gefahr“
Verfassungsschutz I: Die AfD debattiert über das Beobachtungsobjekt „Flügel“
Christian Vollradt

Ein „schonungsloses Lagebild“ wollte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, abgeben, als er am Donnerstag vergangener Woche zur Pressekonferenz zum „Stand der Bekämpfung des Rechtsextremismus“ lud. Dort bestätigte der Behördenchef, was zuvor bereits durchgesickert war: Der „Flügel“ der AfD, der laut Schätzungen rund 7.000 Mitglieder umfaßt, ist nun als „gesichert extremistische Bestrebung“ vom Verdachtsfall zum Beobachtungsobjekt des Inlandsnachrichtendienstes hochgestuft worden. Die führenden Köpfe Björn Höcke und Andreas Kalbitz bezeichnete Haldenwang als „Rechtsextremisten“.  

Mit seinem System von Obleuten, eigenen Veranstaltungen, Orden, Abzeichen und einem „Personenkult“ sei der Flügel auch ohne feste Vereinsstrukturen sehr wohl ein feststellbarer Personenzusammenschluß. Man könne dort, so Haldenwang, nunmehr „Verstöße gegen prägende Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ im Flügel konstatieren. So würden beispielsweise in Reden Minderheiten ausgegrenzt und „Zuwanderern mit muslimischem Hintergrund pauschal eine kulturelle Rückständigkeit und ein überproportional stark ausgeprägter Hang zu Kriminalität und Gewalt allein aufgrund ihrer Herkunft und Religion angelastet“. Außerdem äußerten Vertreter der Gruppierung häufig ihre „Verachtung der derzeitigen demokratischen Ordnung und der legitimierten Repräsentanten des Volkes“. Zudem sei ein „Bedeutungszuwachs“ Höckes und Kalbitz’ innerhalb der AfD festzustellen. Die innerparteilichen Gegner seien in die Defensive geraten, meinten die Verfassungsschützer. Mit der neuen Einstufung stehe dem Kölner Bundesamt nun der gesamte nachrichtendienstliche Werkzeugkasten zur Verfügung, verkündeten Haldenwangs Beamte. Die Anwendung erfolge jedoch „strikt nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit“. Daß ihnen die offenen Quellen ausreichend Material boten, daraus machten sie kein Geheimnis.    

Anders als der „Flügel“ wurde die Junge Alternative (JA), die im vergangenen Jahr noch genauso als „Verdachtsfall“ eingestuft worden war, nicht zum Beobachtungsobjekt erklärt. Die Frage, ob das vielleicht daran liege, daß die Jugendorganisation Konsequenzen gezogen hatte, ihre Satzung änderte, um etwaige Verstöße leichter ahnden zu können, beantwortete ein Verfassungsschützer am Rande der Pressekonferenz mit der vielsagenden Andeutung, man könne davon ausgehen, daß das Bundesamt nicht ohne Grund zu unterschiedlichen Bewertungen gekommen sei. 

„… daß die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden“

JA-Chef Damian Lohr meinte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, auch „unabhängig von der Entscheidung des Verfassungsschutzes waren alle ergriffenen Satzungsreformen und Maßnahmen gegen einzelne Irrlichter absolut richtig und notwendig“. 

Auffällig war, daß am Tag des Haldenwang-Auftritts in Berlin eine ursprünglich anberaumte Stellungnahme der Fraktionsführung im Bundestag zu den Vorwürfen gegen den „Flügel“ zunächst verschoben und schließlich ganz abgesagt worden war. Aus Parteikreisen hörte man, daß es an der Spitze der AfD wenig Neigung gab, die Parteirechten demonstrativ in Schutz zu nehmen. Die wiederum äußerten sich nach dem Motto, der Verfassungsschutz schlage zwar den Sack, wolle aber den Esel, sprich die gesamte Partei, treffen. Doch obwohl strömungsübergreifend die offensichtlich politisch motivierte Argumentation des obersten Verfassungsschützers harsch kritisiert wird, haben viele in der AfD erkennbar keine Lust (mehr), eine Suppe auszulöffeln, die andere einbrockten. 

Insbesondere nachdem sich Kalbitz erneut dem Vorwurf ausgesetzt sieht, er sei Mitglied der 2009 verbotenen und auf der AfD-Unvereinbarkeitsliste stehenden „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) gewesen. Laut Spiegel liegt dem Verfassungsschutz eine entsprechende Liste vor. Mitgliedsnummer 01330 „Familie Andreas Kalbitz“. Das sei „schlicht falsch“, behauptet Brandenburgs Landesvorsitzender und kündigt gegenüber der JF an, „mit allen juristischen Mitteln“ dagegen vorzugehen. Dann machte am Wochenende ein Video-Ausschnitt eines Flügeltreffens  die Runde. Darin sagte Höcke über AfD-interne Gegner: „Die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten haben, nämlich die Einheit, daß die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden.“

Danach riß bei einigen in der AfD der Geduldsfaden: „Björn Höcke ist der König der Eigentore“, empörte sich Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf. „Allzu viele Äußerungen von ihm haben der Partei in den vergangenen Jahren geschadet – und machen die Partei für viele im Westen unwählbar“, sagte der Hamburger Fraktionschef der JF. „Es ist perfide, daß ausgerechnet er einmal mehr Solidarität und Einheit einfordert, der laufend innerparteiliche Kontrahenten diffamiert als ‘Feindzeugen’, als ‘Bettnässer’, als ‘Halbe’ und sie ‘ausschwitzen’ will.“ 

Der Parteivorstand werde sich auf seiner Sitzung am Freitag intensiv mit den Themen „VS und Flügel“ befassen. „Die Unruhe in der Partei ist enorm und der Bundesvorstand nimmt das sehr ernst.“  Der Flügel müsse jetzt seine Strukturen offenlegen. „Das wird zeigen, daß er eine deutlich geringere Größe hat als von vielen angenommen. Er ist nicht prägend für die Partei.“ Wenn die Gruppierung dazu nicht bereit sei, müsse sich der Flügel „zum Wohle der Partei auflösen“. Denn, daran läßt Wolf keinen Zweifel: „Das Projekt AfD ist ernsthaft in Gefahr.“