© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Ausnahmezustand als Normalfall
Pandemie: Im Kampf gegen das Virus verordnen Bund und Länder weitreichende Einschränkungen
Peter Möller

Erfahrene Beobachter des politischen Betriebs in Berlin reiben sich die Augen: Selten zuvor hat ein Ereignis eine derartige Dynamik entfaltet, wie der Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus in Deutschland. Galt vor wenigen Tagen noch das Motto „Bloß keine Panik“ hat die Politik mittlerweile in den Krisenmodus umgeschaltet. Und mußte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zunächst vorwerfen lassen, sie sei trotz der steigenden Fallzahlen abgetaucht, gibt sie seit ihrem außerplanmäßigen Auftritt in der Bundespressekonferenz in der vergangenen Woche mittlerweile fast täglich Pressekonferenzen. Das beabsichtigte Signal: Die Corona-Pandemie ist endgültig zur Chefsache geworden, der qua Amt zuständige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) tritt wieder ins Glied zurück. Wie ungewöhnlich die Situation ist, zeigte sich auch am vergangenen Sonntag, als Merkel in einer Telefonkonferenz die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen über die aktuelle Situation informierte. Ein außergewöhnlicher Schritt.   

Auch an den mittlerweile täglich auf Landes- wie auf Bundesebene verkündeten neuen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zeigt sich die dramatische Dynamik der aktuellen Situation. Dabei gelingt nicht immer allen zuständigen Regierungsstellen, den plötzlichen Strategiewechsel rechtzeitig vorauszuahnen beziehungsweise nachzuvollziehen. So twitterte das Bundesgesundheitsministerium noch am Samstag mittag: „Achtung Fake News. Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit/die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT!“ Bereits am Sonntag war diese Warnung vor „Fake News“ von der Entwicklung überholt, als mehrere Landesregierungen das öffentliche Leben massiv einschränkten und neben dem Verbot von Versammlungen auch die Schließung unter anderem von Kneipen, Bars, Museen, Theatern oder Fitneßstudios anordneten. Am Montag dann beschloß die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern eine umfassende Liste von Schließungen, die auch weite Teile des Einzelhandels betreffen. Dagegen wirken die noch vor wenigen Tagen verhängten ersten Veranstaltungsbeschränkungen, nach denen lediglich alle Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern abgesagt werden mußten, wie aus einer anderen Zeit. Trotz dieser Entwicklungen war die Fake-News-Warnung des Ministeriums auch am Dienstag noch online.

Kann Krisenmanager     Söder auch Kanzler?

Doch auch andere Ministerien haben es schwer, mit der rasanten Verbreitung des Coronavirus Schritt zu halten. Warnte etwa das Auswärtige Amt zunächst lediglich vor Reisen in die Krisenregionen Italiens und Frankreichs und riet allgemein von unnötigen Reisen ab, erließen Bund und Länder am Montag eine weitreichende Regelung, nach der „Übernachtungsangebote im Inland nur zu notwendigen und ausdrücklich nicht zu touristischen Zwecken genutzt werden können“. 

Welche mittel- und langfristigen Auswirkungen die heraufziehende Corona-Krise neben den drohenden wirtschaftlichen Verwerfungen für das politische System haben könnte, läßt sich bislang nur in Umrissen erkennen. Bereits jetzt deutet sich aber an, daß die Krise einen gewichtigen Einfluß auf das Rennen um den CDU-Vorsitz und sogar um den künftigen Kanzlerkandidaten der Union haben dürfte. Während vor allem Jens Spahn durch sein Amt als Gesundheitsminister in der öffentlichen Wahrnehmung bislang ein unaufgeregtes Krisenmanagement bescheinigt wird, muß sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der zusammen mit Spahn kandidiert, kritische Fragen gefallen lassen, warum sich ausgerechnet sein Bundesland zum Hauptverbreitungsgebiet des Corona-Virus in Deutschland entwickeln konnte. Der Hauptkonkurrent von Laschet und Spahn im Kampf um den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, geriet dagegen als Betroffener in die Schlagzeilen: als am Dienstag bekannt wurde, er habe sich mit dem Coronavirus infiziert. Und Mitbewerber Norbert Röttgen bringt der Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag in der derzeitigen innenpolitischen Krise keine Vorteile.

Dagegen ist es dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) durch seine zupackende Art innerhalb kürzester Zeit gelungen, sich als entschlossener Krisenmanager zu präsentieren. Der Freistaat, der am Montag sogar den Katastrophenfall ausgerufen hat, gilt in Deutschland mittlerweile als Vorreiter im Kampf gegen die Pandemie und ihre wirtschaftlichen- und gesellschaftlichen Auswirkungen. Dadurch hat sich Söder bereits jetzt eine gute Ausgangsposition für den anstehenden Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union gesichert. Vorausgesetzt, die Corona-Krise hat nicht auch für Markus Söder Überraschungen parat, die derzeit noch nicht absehbar sind.

Durchaus langfristige Folgen könnte die Krise und ihre Bekämpfung für den deutschen Föderalismus haben. Denn vor allem Ende vergangener Woche, als sich mehr und mehr abzeichnete, daß zur Eindämmung der Pandemie Schulschließungen unvermeidlich sind, gaben die Bundesländer mit ihrer zunächst sehr uneinheitlichen Haltung kein gutes Bild ab. Einige Länderchefs, wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), wirkten überfordert und wartete buchstäblich hilfesuchend auf einen Fingerzeig der Bundesregierung, bevor sie sich zu einem selbständigen Handeln durchringen konnten. Nicht ausgeschlossen, daß am Ende der Corona-Krise eine Diskussion über die Zukunft des Föderalismus stehen wird.