© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Machterhalt mit allen Mitteln
Johannes Kahrs I: Der SPD-Bundestagsabgeordnete ist die graue Eminenz im Norden / Will er nun den Wehrbeauftragten ablösen?
Peter Möller

Für Johannes Kahrs ist immer alles „traumschön“. Ob er mit der S-Bahn unterwegs ins Fitneßstudio zum „Turnen“ ist, oder mit dem Zug aus Berlin in die „schönste Stadt der Welt“ fährt. Seine Follower auf Twitter läßt der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Hamburg wissen: „traumschön“. Und so twitterte Kahrs denn auch am 23. Februar nach Schließung der Wahllokale in Hamburg etwas voreilig: „Traumschön. Fantastisch. Die AfD fliegt raus. Mega. Ich bin so stolz auf meine Freie und Hansestadt. Toller Wahlkampf der großartigen Hamburger SPD und unseres 1. Bürgermeisters Peter Tschentscher. Bester Mann.“

Falsche Versprechungen, Intrigen, Drohungen

Der 56 Jahre alte gebürtige Bremer Kahrs ist einer der umtriebigsten und einflußreichsten SPD-Politiker im Bundestag. Seine Macht stützt er auf seine Stellung als Obmann der SPD-Fraktion im wichtigen Haushaltsausschuß sowie als einer von drei Sprechern des Seeheimer Kreises der SPD, dem Zusammenschluß des rechten Parteiflügels. Seine Machtbasis indes ist die Hamburger SPD, genauer gesagt der Kreisverband Hamburg Mitte, dessen Vorsitzender Kahrs seit 2002 ist. Innerhalb der vergangenen dreißig Jahre hat sich Kahrs hier ein enggeknüpftes Netzwerk geschaffen, dessen Mitglieder nur halb im Scherz als „Kahrsianer“ bezeichnet werden. Der Einfluß, der Kahrs zugeschrieben wird, reicht von der Besetzung von Stellen in der SPD und der Hamburger Verwaltung über die Aufstellung von Kandidaten auf aussichtsreichen Listenplätzen für die Bürgerschaftswahl bis hin zur Vergabe von Senatorenposten. Dabei gehe es nicht immer zimperlich zu, klagen Kritiker. Von falschen Versprechungen, Enttäuschungen, Intrigen und sogar Drohungen ist die Rede.

Unbestritten ist Kahrs Mobilisierungsfähigkeit. Bereits 2014 hat die Zeit „Das System Kahrs“ in einem langen Artikel analysiert, der nicht zufällig den Titel „House of Kahrs“ trug – in Anlehnung an die amerikanische Fernsehserie „House of Cards“ um rücksichtslos geführte Machtkämpfe in Washington. Detailliert wird in dem Artikel beschrieben, wie Kahrs durch die Vergabe von Jobs und Praktika in seinem Abgeordnetenbüro „persönliche und finanzielle Abhängigkeiten“ schaffe (siehe Beitrag unten). Indem er die Möglichkeit der Bundestagsabgeordneten, Besuchergruppen nach Berlin einzuladen ausreizt, arbeitet er an seiner Popularität. Nach eigenen Angaben hat sein Büro bislang schon 990 solcher Tagesfahrten organisiert – das dürfte ein Rekord sein.

Nun greift Kahrs offenbar nach einem neuen Amt: Der Oberst der Reserve, so wird in Berlin vermutet, möchte Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages werden. Dieses Amt hat seit 2015 der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels inne. Und bis zu den Haushaltsberatungen Ende vergangenen Jahres galt es in Berlin als Formsache, daß die in diesem Jahr auslaufende erste Amtszeit des parteiübergreifend angesehenen Bartels um fünf Jahre verlängert wird. Doch dann sorgte Kahrs in der sogenannten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am Ende der Etatverhandlungen dafür, daß dem Wehrbeauftragten die Mittel für vier neue Stellen für Mitarbeiter eingeräumt wurden. Der Haken an dem Stellenaufwuchs: Der Wehrbeauftragte hatte die Stellen überhaupt nicht beantragt. Wollte Kahrs also seinem Parteifreund Bartels ungefragt etwas Gutes tun?

In Berlin gibt es eine andere, weniger freundliche Lesart dieses Vorgangs: Kahrs habe es auf den Posten abgesehen und vorausschauend bereits Stellen für Vertraute geschaffen. Denn, so heißt es in der Hauptstadt, der SPD-Politiker fürchte, angesichts des bundespolitischen Niedergangs der SPD, seinen Hamburger Wahlkreis bei der nächsten Bundestagswahl an die Grünen zu verlieren. Das Amt des Wehrbeauftragten biete sich für den bundeswehraffinen Kahrs daher als Anschlußverwendung geradezu an.

Kahrs kungelte für fünf Korvetten

Es ist nicht das erste Mal, daß unter maßgeblicher Beteiligung von Kahrs der Haushaltsausschuß quasi in letzter Minute Geld für Projekte bewilligt, die zuvor überhaupt nicht diskutiert wurden, geschweige denn auf der Tagesordnung standen. Das spektakulärste Beispiel ist die Beschaffung von fünf weiteren Korvetten vom Typ K 130 für die Marine für rund eineinhalb Milliarden Euro, die Kahrs Ende 2016 zusammen mit seinem Rostocker CDU-Kollegen Eckhardt Rehberg eingefädelt hatte – auch zur Überraschung der Marineführung. Mittlerweile sind die ersten Korvetten im Bau. Nicht ganz so aufsehenerregend, aber ebenfalls überraschend war 2016 der vermutlich auch von Kahrs unternommene Versuch, das heftig umkämpfte Einheitsdenkmal auf dem Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals in Berlin durch die Bewilligung von 18 Millionen Euro zur Rekonstruktion der Kolonnaden des ehemaligen Denkmals zu kippen – obwohl dieses bis dahin überhaupt nicht zur Diskussion stand. Anders als der Bau der Korvetten verlief dieser Überrumpelungsversuch indes im Sande.

Bald könnte sich entscheiden, ob Kahrs’ Griff nach dem Amt des Wehrbeauftragten gelingt. Gefährlich werden könnten ihm dabei Berichte, die kurz vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg die dortige SPD in Unruhe versetzen: Im Zusammenhang mit Steuerhinterziehungen der Warburg-Bank bei sogenannten Cum-Ex-Geschäften war auch über eine Spende der Bank an Kahrs’ Kreisverband berichtet worden (JF 9/20). Doch trotz der Anwürfe wird Kahrs in Berlin zugetraut, daß ihm in Absprache mit der Fraktionsführung auch dieser Überraschungscoup gelingt und er am Ende stolz twittern kann: „Wehrbeauftragter. Bester Job. Traumschön“.