© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Corona-Streßtest
Schaffen wir das? Die Versorgung mit Strom und Lebensmitteln ist sicher, kritisch könnte es mit Krankenhäusern werden
Martina Meckelein / Mathias Pellack / hermann Rössler / Christian Rudolf

Corona hat sich in kürzester Zeit zu einer Pandemie entwickelt: 173.344 Infektionsfälle, 152 Länder sind betroffen, 7.019 Tote, meldet die Weltgesundheitsorganisation. Die Deutschland-Zahlen sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) am 16. März 2020: 6.012 laborbestätigte Infektionen einschließlich 13 Todesfälle durch das Virus Sars-CoV-2. Das sind 1.174 mehr Covid-19-Erkrankungen als am Vortag. Das RKI stufte das Risiko für die Bevölkerung am Dienstag als „hoch“ ein. Bislang galt die Gefährdung als „mäßig“. Das RKI begründete die Verschärfung mit dem starken Anstieg der Fallzahlen.

Bars, Kneipen, Theater, Museen, Kitas, Schulen wie auch die Landesgrenzen sind geschlossen, öffentliche Gottesdienste abgesagt. Die Folgen: Menschen verlieren ihre Arbeit, kleine Unternehmen werden Konkurs anmelden. Der Dax verzeichnet Rekordverluste und notierte bei Redaktionsschluß am Dienstag abend um 19 Uhr bei 8.900 Zählern. Vor einem Monat, am 17. Februar, stand der deutsche Aktien-Leitindex noch bei 13.750 Zählern. Homeoffice lautet zur Zeit das Zauberwort in vielen Firmen. Doch wenn Hunderttausende von Arbeitnehmern, Millionen von Schülern sich zu Hause langweilen, werden sie im Netz surfen. Das Internet ist nicht unbegrenzt belastbar. Ausfälle bei der Telekom gab es massiv und landesweit am vergangenen Montag. Telefonkonferenzen, so rät ein Anbieter, sollten nicht zur vollen Stunde, sondern zu ungeraden Zeiten starten, da der Dienst sonst überlastet werden könnte.

Welche Auswirkungen hat die Seuche auf Deutschland, wie werden wir damit klarkommen?





Krankenhäuser

Über 1.400 internistische Abteilungen und über 1.200 Intensivstationen (ITS) stehen mit ca. 28.000 Intensivbetten bereit, um Patienten zu versorgen. Das meldet jüngst die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der Dachverband der deutschen Krankenhausträger, um Zuversicht im Falle eines massiven Corona-Ausbruchs zu verbreiten.

Damit kommen in Deutschland auf 100.000 Einwohner 34 Intensivbetten. Bei einer Durchseuchung von bis zu 70 Prozent der Bevölkerung könnte es allerdings eng werden. Denn von den rund 28.000 ITS-Betten sind nur 25.000 Beatmungsbetten. „Bei uns ist doch schon ohne Corona alles auf Kante genäht, technisch und personell“, sagt ein Klinikmitarbeiter aus Berlin gegenüber der JF. „Das Problem ist nicht nur die Bettenanzahl, es fehlt schlicht an ITS-Personal.“

Er sieht den Grund in der Abrechnung über Fallpauschalen statt der früheren Liegedauerberechnung. „Deshalb haben wir auch immer weniger Kliniken der Maximalversorgung und immer mehr Kliniken, die Knie operieren oder Brüste aufpumpen, da gibt es kaum Komplikationen, und die Patienten haben eine kurze Verweildauer. Lange Liegezeiten kosten die Kliniken, dann lieber sogenannte blutige Entlassungen, also Leute raus, die eigentlich noch bleiben sollten. Das ist Streß pur für das Personal. Deshalb haben viele gekündigt, bei uns im vergangenen Jahr 43 Kollegen. Hatten wir in den neunziger Jahren einen Pflegeschlüssel von 1:1, haben wir heute einen von 1:6 bei Beatmungspatienten.“

Doch Corona macht auch bei den benötigten Pflegemitteln Probleme: „Wir haben seit drei Wochen kein Material mehr, jetzt hat unsere Klinikverwaltung 50.000 Masken in Polen gekauft, diese sind aber seit 30 Jahren im OP-Bereich verboten. Wir haben acht ABC-Anzüge – die Anzahl ist zu gering, und in die Benutzung ist keiner eingewiesen. Einen Engpaß gibt es jetzt schon bei Medikamenten: „Bei Antibiotika, Ibuprofen und blutdruckbeeinflussenden Medikamenten ist es eng“, so der Klinikmitarbeiter.

Auf Anordnung der Regierung werden jetzt Operationen verschoben. „Bei uns üben wir jetzt die Triage: Wer eine gute Überlebenschance hat, kommt ins Zimmer, der mit geringerer auf den Gang, und der Rest geht nach Hause.“





Ernährung

Bilder leergekaufter Regale in Supermärkten und Drogerien. Wie sich das Coronavirus auf die Handelsströme auswirkt, würde im April und Mai sichtbarer werden, zitiert topagrar den Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes, Franz-Josef Holzenkamp (CDU), vergangene Woche in Berlin. Probleme gäbe es bisher bei der Verfügbarkeit von Kühlcontainern, da die in China wegen der Corona-Krise nicht schnell genug gelöscht werden könnten. „Die Corona-Entwicklung zeigt, wie wichtig die Grundversorgung mit Lebensmitteln im eigenen Land ist“, so Holzenkamp.

Laut Statista gab es im Jahr 2019 rund 266.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Der Selbstversorgungsgrad von Lebensmitteln in Deutschland liegt bei 88 Prozent, allerdings ist das Land gerade bei Milch und Fleischerzeugnissen vom Ausland abhängig. Allein Milch- und Milcherzeugnisse importierte Deutschland für 6,9 Milliarden Euro, der Gesamtwert der Lebensmittelimporte betrug im vergangenen Jahr 49,2 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu exportieren wir jährlich Nahrungs- und Futtermittel für 56 Milliarden Euro.

Ungeachtet dessen lagert der Bund an rund 150 geheimgehaltenen Standorten in Deutschland Notreserven. Zum einen die Getreidenotreserve aus Weizen, Roggen und Hafer, zum anderen gebrauchsfertige Lebensmittel wie Mehl, Reis, Erbsen, Linsen und Kondensmilch. Die sollen in „Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen vor allem an Verbraucher in den Ballungsregionen abgegeben werden“, so das Bundeslandwirtschaftsministerium. Nach dem Grundsatz: Einmal am Tag eine warme Mahlzeit. Allerdings halten die Notreserven nur für ein paar Tage bis Wochen vor – je nach Zahl der Betroffenen.

Zwar sieht das Ministerium keine Infektionsgefahr durch importierte Lebensmittel. Doch berichten Virologen der Universitäten Greifswald und Bochum, daß sich „Coronaviren bei Raumtemperatur bis zu neun Tage lang auf Oberflächen halten und infektiös bleiben können. Kälte und hohe Luftfeuchtigkeit steigern ihre Lebensdauer noch“. Forscher des US-Gesundheitsinstituts NIH ermittelten dagegen eine Lebensdauer der Viren auf Kunststoff und Edelstahl von bis zu drei Tagen.





Energieversorgung

Als 2006 durch einen plötzlichen Wirbelsturm Hochspannungsleitungen in Hamburg-Harburg durchtrennt wurden, waren 70.000 Haushalte eine Nacht lang ohne Strom. Im Hamburger Süden fiel stundenlang die Wasserversorgung aus, weil die Pumpen im Wasserwerk lahmgelegt waren. In den Straßen kam es sofort zu Plünderungen, wie dieser Zeitung ein Bewohner jener Gegend mitteilte.

Solche Szenarien von Stromausfällen unter allen Umständen zu vermeiden, ist bei Politik und Übertragungsnetzbetreibern die Priorität Nr. 1. Was geschieht, wenn Mitarbeiter in Größenordnungen erkranken oder in Quarantäne geschickt werden? Höchstspannungsnetzbetreiber wie 50Hertz, Tennet und TransnetBW „arbeiten vorausschauend“ und sind „trainiert und vorbereitet“, beschreibt ein früherer Manager im Energiesektor der JF, der die Situation aus dem Effeff kennt. Die Steuerzentralen für die Stromnetze zu schützen ist oberstes Ziel. Die Vorsichtsmaßnahmen sehen vor, die spezialisierten Mitarbeiter in der Systemsteuerung vor Infektionen zu schützen. Das gilt bei Grippewellen mit Influenzaviren genauso wie gegenwärtig beim neuartigen Coronavirus. Neben den Leitwarten gibt es auch Ersatzleitwarten. „Als wirklich letztes Mittel werden dann eben Feldbetten aufgestellt, und das Fachpersonal bunkert sich ein“, berichtet unser Informant. Beim hochmodernen Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg würden zunächst einmal Kollegen aus der Verwaltung nach Hause geschickt, die Kohleeinfüllung geschieht ohnehin automatisch.

Der Energieversorger Eon mit zahlreichen Tochtergesellschaften hat „eine zentrale Krisenorganisation eingerichtet“, die sich „ausschließlich um die Koordination aller mit der Pandemie in Zusammenhang stehenden Themen“ kümmere, sagte der JF ein Sprecher der Eon-Zentrale in Essen. Die vom Coronavirus ausgehenden Risiken nehme man ernst: „Ziel ist der sichere Betrieb unserer Infrastruktur bei gleichzeitiger Minimierung der Infektionsrisiken für unsere Mitarbeiter und die Gesellschaft allgemein.“ Zu den Maßnahmen, um soziale Kontakte zu minimieren, zählten „Home-Office-Regelungen bis hin zum besonderen Schutz von kritischem Personal, das für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit unerläßlich ist“.





Katastrophenschutz

Die Bundeswehr (183.000 Soldaten) ist im Corona-Streßtest viel gefragt: So leistet sie Amtshilfe für das Gesundheitsministerium. Für 163 Millionen Euro hat sie Medizingüter wie Masken und Schutzanzüge beschafft. Die Flugbereitschaft hatte deutsche Bürger aus Wuhan ausgeflogen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) stellte darüber hinaus Laborkapazitäten dem zivilen Bereich zur Verfügung.

Am 13. März rief das Kommando Sanitätsdienst seine Reservisten auf, sich zu melden. Die Netzseite augengeradeaus.net meldet, daß sich bis zum Montag 730 Reservisten gemeldet hätten, zeitnah könnten 380 eingesetzt werden.

Interesse am Know-how der Armee bekundet ebenfalls Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Er malt sich aus, daß Lieferengpässe in der Transportlogistik durch Soldaten abgefangen werden könnten. Wegen der Coronavirus-Pandemie hat die Bundeswehr das Manöver „Defender Europe 2020“ in Deutschland vorzeitig beendet: „In besonderer Verantwortung für die Gesundheit der beteiligten Soldatinnen und Soldaten sowie der Zivilbevölkerung“, heißt es.

Das Technische Hilfswerk (81.400 Mitarbeiter und Ehrenamtliche) ist eine Bundesanstalt, die dem Bundes­innenministerium untersteht. Sie soll einzig die Zivilbevölkerung in Notlagen unterstützen. Pünktlich in der Corona-Krise hat der Bundestag am 13. März das THW-Gesetz geändert. Demnach soll die vorübergehende Freistellung seiner Helfer während der Arbeitszeit erleichtert werden. Das Gesetz muß noch den Bundesrat passieren.

Doch es geht nicht nur um technische Unterstützung. Anfang der Woche riefen Linksextremisten im Internet zu Plünderungen auf. Die Gefahr, daß Krankenhäuser belagert oder sogar angegriffen werden, ist real. Ärzte, Pflegepersonal und Sanitäter berichten wöchentlich von Übergriffen (JF 5/20). Um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erhalten, kann die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt, daß der Einsatz der Soldaten beim sogenannten „inneren Notstand“ und dann auch mit dem Einsatz „militärischer Mittel“ rechtlich zulässig, wenn auch bisher nur theoretisch ist.





Seuchenschutzgesetz

Deutschland kontrolliert seit Montag seine Hauptgrenzübergangsstellen. Die Bundesregierung verbietet das Öffnen und den Besuch von Bars, Kneipen, Clubs, Museen, Theatern, Schauspielhäusern, Sportveranstaltungen. Sogar Gottesdienste und heilige Messen mit anwesenden Gläubigen sind untersagt, Synagogen und Moscheen sollen schließen. Welche rechtlichen Grundlagen hat die Bundesregierung für die Einschränkung des öffentlichen Lebens?

Im Falle einer Pandemie regelt das Infektionsschutzgesetz (IfSG) seit 2001, wie weitreichend die Regierung in die Rechte der Bürger eingreifen darf. Zweck des Gesetzes ist es, der Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten vorzubeugen oder sie einzudämmen. Covid-19 ist Ende Januar als meldepflichtige Krankheit klassifiziert worden, der Arzt hat binnen 24 Stunden dem Gesundheitsamt die Infektion anzuzeigen. Die Landesregierungen sind dafür verantwortlich, die Maßnahmen umzusetzen.

Paragraph 32 verfügt: „Die Grundrechte der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung und des Brief- und Postgeheimnisses können insoweit eingeschränkt werden.“ Infizierte und potentiell Infizierte sollen zum Beispiel „in einem geeigneten Krankenhaus abgesondert werden“. Wer dieser Anordnung nicht nachkommt, ist zwangsweise unterzubringen.

Das IfSG sieht für Zuwiderhandlungen gegen die Schutzmaßnahmen als letztes Mittel die Anwendung körperlicher Gewalt sowie Haftstrafen bis zu fünf Jahren vor. Die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt, wie nötig solche Bestimmungen sein können: Am Montag widersetzten sich Asylbewerber im thüringischen Suhl ihrer angeordneten Quarantäne. Neben einem infizierten Afghanen befinden sich nach Angaben der Polizei vier weitere Verdachtsfälle in der Erstaufnahmeeinrichtung, die rund 500 Personen bewohnen. Den Sicherheitskräften gelang es nur mit einem großen Polizeiaufgebot mit bis zu 50 Beamten, die Asylbewerber in Schach zu halten.

Die Verordnungen schneiden tief in den Betrieb von Restaurants, Hotels, aber auch des Einzelhandels ein. Im IfSG ist durch Paragraph 31 festgelegt, „die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise zu untersagen“. Dabei besteht ein Anspruch auf finanzielle Entschädigung (Paragraph 56), der jedoch „unter Berücksichtigung des durch die gesamten Schädigungsfolgen bedingten Grades der Schädigungsfolgen“ (Paragraph 63) festgesetzt wird. Das IfSG bestimmt zudem, wie eine sichere Lebensmittel- und Wasserversorgung zu bewerkstelligen sei. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte am Montag, er rechne damit, die Situation werde sich mindestens bis Ende Mai nicht entschärfen. Der Minister versicherte indessen, die Bundesregierung stelle Gelder, Kredite und Bürgschaften bereit, um Geschäfte vor der Insolvenz zu bewahren.





Arzneimittel

Ein Großteil der Wirkstoffe von Arzneimitteln wird mittlerweile in China, Indien und Brasilien hergestellt. Geringere Kosten und weniger strenge Arbeits- und Umweltschutzauflagen haben zur Standortverlagerung in Schwellenländer geführt – wie in anderen Branchen auch. Lieferengpässe können folgen.

In manchen Fällen genüge es nicht mehr, auf andere Medikamente umzustellen oder durch die Auflösung von Lagerbeständen die Engpässe zu überbrücken, sagte Fabian Locher, Sprecher des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, gegenüber der dpa. „Für manche Wirkstoffe, gerade im Bereich der Antibiotika, gibt es nur noch wenige Anbieter, meistens in China.“

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sagte gegenüber der JF, es stehe in einem kontinuierlichen Austausch mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur und den pharmazeutischen Unternehmen hinsichtlich der Entwicklung der Ausbreitung des Coronavirus. Bislang gemeldete Lieferengpässe stünden nicht im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Im Hinblick auf die chinesische Provinz Hubei lägen „keine Hinweise auf eine kurzfristige Einschränkung der Arzneimittelversorgung aufgrund des Coronavirus vor“.

Zwar würden auch dort Wirkstoffe für den deutschen Arzneimittelmarkt hergestellt werden. Für die Versorgung der Patienten in Deutschland seien diese „jedoch nicht marktrelevant, da dieselben Wirkstoffe auch in anderen Wirkstoffherstellorten produziert werden, oder es stehen noch größere Wirkstoffkontingente zur Verfügung“.