© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Grüße aus London
Bitte nicht trödeln
Derek Turner

Am 31. Januar hatte ich das erfreuliche Erlebnis, einen Vater zu sehen, der seine Kinder zur Schule brachte, dabei über den Spielplatz tanzte und „Independence Day“ sang. Bisher liegt dieser Mann mit seinem Optimismus nicht falsch.

Bald zwei Monate sind nun seit dem Brexit vergangen, und im Land herrscht vollständige Ruhe. Die EU-freundlichen Propheten des Untergangs, die über Jahre hinweg vor, während und nach der Volksabstimmung von 2016 nicht müde wurden, die Katastrophe vorauszusagen, sind verstummt oder haben ihre abwegige Aufmerksamkeit auf andere Themen gelenkt. 

Wie sieht es bis dato im Vereinigten Königreich aus? Keine internationale Isolierung, kein Zusammenbruch der Märkte, kein Lebensmittelmangel, keine Arzneimittelknappheit, keine Krankenhäuser ohne Personal, keine unbestellten Äcker, kein Raubbau an der Umwelt, kein neues dunkles Zeitalter für die Arbeiterschaft, keine Massenflucht ausländischer Studenten und keine inneren Unruhen.

Wenn die uns kulturell verwandten Osteuropäer diese Jobs nicht mehr erledigen, wer dann?

Diese Atmosphäre der Ruhe und des Friedens wird noch durch die komfortable Mehrheit der Konservativen und die Führer- und Ziellosigkeit der Labour-Partei verstärkt.

Es ist möglich, daß sich die Übergangsperiode bis zum 31. Dezember zu einem „Sitzkrieg“ auswächst. Eine Reihe von Fragen, die der Brexit aufwirft, ist nach wie vor unbeantwortet, insbesondere was Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, als Putzfrauen, auf dem Bau, in Fabriken oder dem Gesundheitswesen betrifft. 

Die Angst davor, daß Einwanderer die einheimischen Arbeiter unterbieten und ihnen damit die Jobs wegnehmen, war eines der Hauptmotive bei der Volksabstimmung 2016 – aber wenn die uns kulturell verwandten Osteuropäer diese Jobs nicht mehr erledigen, wer dann?

Die Regierung spricht davon, Berufsausbildungen für einheimische Arbeitnehmer zu finanzieren und gleichzeitig neue technische Lösungen zu schaffen, so daß viel mehr Arbeitsaufgaben automatisiert werden könnten. Aber bisher waren Ausbildungsplätze nur schwer an den Mann zu bringen, und obwohl diese Regierung der Wissenschaft stärker zugetan ist als die meisten ihrer Vorgänger, ist bei den Technologien außer schönen Reden noch nichts Neues zu verzeichnen. Natürlich ist es noch zu früh, um das definitiv zu beurteilen, aber die Regierung kann sich keine Trödelei leisten.