© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Der letzte macht das Licht aus
Corona-Krise: Harte Zeiten für Künstler, Mittelständler und Selbständige / Wie lange reicht das Geld?
Paul Leonhard

Theater, Kinos, Museen, Kleinkunstbühnen geschlossen, Sportveranstaltungen und Konzerte abgesagt – das Kulturleben in der Schockstarre. Auch viele kleine Geschäfte haben die Rolläden heruntergelassen. Wo bisher geschäftiges Leben herrschte, ist gespenstische Stille eingezogen. „Wir haben im März bereits zwischen 80 und 90 Prozent Ausfälle“, zitiert der Wiener Standard Christoph Ainedter, dessen Salzburger Videoproduktionsfirma Liveübertragungen von Sport- und Kulturveranstaltungen anbietet.

Ein Eventausstatter, der unter anderem Absperrgitter und Bodenschutz vermietet, beklagt für März einen Auftragsausfall von 98 Prozent. Reiseführer haben mangels Touristen nichts zu tun, selbstständige Altenpfleger dürfen nicht mehr zu ihrer Kundschaft – Österreich zeigt, was nun in Deutschland kommt.

Angeblich soll kein Arbeitsplatz verloren gehen

Die verspäteten Versuche, die Ausbreitung des Coronavirus aufzuhalten, treffen viele der 2,2 Millionen heimischen Selbständigen und Kleinstunternehmer ins Mark. Fehlen diesen bereits wenige Einnahmen, ist ihre Existenz gefährdet. Viele leben von der Hand in den Mund, verfügen weder über Rücklagen noch über eine starke Lobby. Haben sie eine Chance, die Krise zu überstehen? Sind sie auch gemeint, wenn die Bundesregierung Garantien verspricht?

„Wir haben so viele Reserven, daß wir versprechen können, daß wir alles tun, daß kein Arbeitsplatz verlorengeht und kein gesundes Unternehmen schließen muß“, versicherte Wirtschaftsminister Peter Altmaier in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. Man sei bereit, „notfalls auch Schulden zu machen, wenn es anders nicht geht“, so der CDU-Politiker. Sprich: Die VW-Stelle ist sicher, und wichtigen Firmen wird geholfen – „What­ever it takes“, wie Mario Draghi formulieren würde – für ohnehin angeschlagene oder „verzichtbare“ Zombiefirmen reicht der Schutzschirm von einer halben Billion Euro (das Fünfeinhalbfache der jährlichen Mehrwertsteuereinnahmen bzw. 1,4fache des Bundeshaushalts 2020) nicht. Denn Existenzsicherungen wie Kurzarbeitergeld und Hartz IV oder Zusatzausgaben im Gesundheitswesen haben Vorrang. Und großzügige Kredite können Messebauer, Imbißstände oder Taxifahrer nie stemmen.

In der Schweiz hat der Bundesrat zunächst zehn Milliarden Franken für die „große“ Wirtschaft zugesagt, Selbständige und Kleingewerbler sollen nun auch bedacht werden – doch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Eidgenossen liegt bei 83.716 Dollar – in Deutschland waren es 2019 nur 46.563 Dollar. Dennoch fordern die Grünen einen Rettungsfonds für „Ich-AGs“ und Kulturschaffende. Die FDP plädiert dafür, daß der Staat Kleinunternehmen und Selbständigen Bargeld auszahlen soll. Steuervorauszahlungen sollten gestundet und die Vorfälligkeit der Sozialversicherung gestrichen werden.

Reichen die zugesagten KfW-Kredite nicht aus, „sollte die Bundesregierung über weitere Sonderprogramme für Selbständige und Freiberufler nachdenken“, fordert Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. In Italien würden beispielsweise Selbständige über drei Monate hinweg je 500 Euro als staatliche Unterstützung beantragen können – das ist, rechnet man die Mietübernahme hinzu, aber weit weniger als der Hartz-IV-Satz.

Der Verband unabhängiger Musikunternehmer (VUT), in dem die kleineren Plattenfirmen sowie Vertriebe und Verlage organisiert sind, fordert ein 3,9-Milliarden-Euro-„Auffangprogramm für die gesamte Musikwirtschaft“. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, will einen Notfallfonds für freischaffende Künstler. Aber was ist mit all den Technikern und den „Stagehands“, die den Bühnenaufbau für Musiker übernehmen?

Bereits jetzt können Betriebe, Selbständige und Freiberufler, die wegen Corona einem Tätigkeitsverbot unterliegen und einen Verdienstausfall erleiden, einen Antrag auf Entschädigung stellen. Grundlage für die Entschädigung ist das Infektionsschutzgesetz. Danach bemißt sich die Entschädigung für die ersten sechs Wochen einer Quarantäne nach dem Netto-Verdienstausfall. Die Behörde habe dem Selbständigen einen Vorschuß in der voraussichtlichen Höhe der Entschädigung zu gewähren. Der Antrag ist bei der zuständigen Landesbehörde zu stellen. Vom Beginn der siebenten Woche an richtet sich die Entschädigung nach der Höhe des Krankengeldes. Bei Freiberuflern und Selbständigen bildet der letzte vorliegende Einkommenssteuerbescheid die Grundlage für die Berechnung der Entschädigung.

„Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen“

Die Krux dabei: Eine Erstattung gibt es nur, wenn der Antragsteller eine Quarantäneanordnung oder ein Tätigkeits-/Beschäftigungsverbot vom Gesundheitsamt erhalten hat. Honorarausfälle wegen abgesagten Veranstaltungen fallen laut Landesdirektion Sachsen nicht unter das Infektionsschutzgesetz und sind somit nicht erstattungsfähig. In diesen Fällen kommt es dann auf die Details in den Verträgen an: Gibt es Schadenersatzregelungen? Das betrifft auch die Messebranche, Caterer, Hotelbetreiber, Sicherheitsdienste und Serviceunternehmen. Da die Rechtslage als „sehr kompliziert“ gilt, ist allein schon die Frage, ob das Coronavirus höhere Gewalt ist, strittig.Und so werben bereits diverse Anwaltskanzleien mit ihrem Spezialwissen.

Außer Trost hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters wenig zu bieten: „Wir haben Ihre Sorgen im Blick und werden uns dafür einsetzen, daß die speziellen Belange des Kulturbetriebs und der Kreativen mit einbezogen werden, wenn es um Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen geht“, so die CDU-Politikerin. Derweil läßt ihre Kollegin, Justiz- und Verbraucherschutzministerin Christine Lambrecht (SPD), ein Gesetz zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vorbereiten. Dieses soll Unternehmen schützen, die infolge der Corona-Epidemie in eine finanzielle Schieflage geraten. Als Vorbild hierfür dienen Regelungen, die anläßlich der Hochwasserkatastrophen getroffen wurden. Vor allem soll die dreiwöchige Insolvenzantragspflicht verlängert werden.

Weiterhin sollen Säumniszuschläge erlassen und auf Vollstreckungsmaßnahmen bis Jahresende verzichtet werden. Häufig gibt es aber aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands keine einheitlichen Regelungen auf Bundesebene, weswegen es auch eine Vielzahl von Hotlines gibt, bei denen Auskünfte eingeholt werden können.

Das betrifft auch den deutschen Mittelstand. Für diesen fordert Carsten Linnemann, Chef der CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), einen mit bis zu 100 Milliarden Euro ausgestatteten „Deutschlandfonds“, um die Liquidität der von der Corona-Krise betroffenen, eigentlich gesunden Unternehmen zu sichern. Praktisch gibt es noch nicht einmal einen gesonderten Corona-Kredit durch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der der Staat erst einmal 20 zusätzliche Milliarden zur Verfügung gestellt hat.

Die Landesbanken kennen noch keine spezifischen Förderprogramme. Ihre Angebote unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Eine Übersicht findet sich in der Förderdatenbank des Bundeswirtschaftsministeriums.

Behördenkontakt zu Hilfsmaßnahmen:

 www.foerderdatenbank.de

 www.bundesgesundheitsministerium.de